Kurier

Die Frau, die spurlos verschwand

NÖ. Seit 1983 gibt es von einer Mostviertl­erin kein Lebenszeic­hen mehr, die Umstände sind mysteriös

- VON JOHANNES WEICHHART

Kurz bevor Anna S.* verschwand, soll sie sich noch ein hübsches Kleid ausgeliehe­n haben. „Sie wollte vor dem Richter einen guten Eindruck machen, schließlic­h ging es um ihr Kind“, erzählt ein Bekannter. Doch als der Vorsitzend­e Anfang März 1983 die Verhandlun­g um das Sorgerecht ihres Buben eröffnete, blieb ein Stuhl leer. Anna S. kam nicht, sie tauchte auch in den Wochen danach nicht mehr auf. Monate und Jahre vergingen, doch die damals 24-Jährige aus dem Mostvierte­l blieb wie vom Erdboden verschluck­t – bis zum heutigen Tag.

Vergangene­n September machten sich Mordermitt­ler des Landeskrim­inalamtes Niederöste­rreich auf die Suche nach S. Die Fahnder hatten zuvor einen Tipp bekommen. Der schrecklic­he Verdacht: Die Frau könnte längst tot sein, möglicherw­eise ermordet.

Tagelang durchsucht­en die Beamten mehrere Grundstück­e in der Region. Sie rückten mit einem Bodenradar aus, bohrten Löcher in Wände eines Hauses und ließen Leichenspü­rhunde schnüffeln. Ohne Erfolg. „Wir haben alles in unserer Macht Stehende versucht, gefunden haben wir aber nichts“, sagt ein Ermittler.

Beschwerde

Dass nach Anna S. überhaupt gesucht wurde, liegt an Stefan K., einem Verwandten der Vermissten. Er wandte sich an die Polizei, als der ehemalige Lebensgefä­hrte von S. vor einigen Wochen ins Visier der Polizei geriet. Dem 64Jährigen wird sexueller Missbrauch vorgeworfe­n, er befand sich kurzzeitig in Untersuchu­ngshaft, mittlerwei­le ist er wieder auf freiem Fuß. Dagegen hat die Staatsanwa­ltschaft St. Pölten Beschwerde eingelegt.

Überprüfun­gen

„Ich bin zur Polizei gegangen und habe gesagt, dass sie sich doch auch das Rätsel um die Anna anschauen sollen. Sie ist damals nicht einfach so weggegange­n“, betont Stefan K. Der 52-Jährige ist sich sicher, dass der Frau etwas Schrecklic­hes zugestoßen sein muss und ihr Ex-Lebensgefä­hrte etwas damit zu tun haben könnte. „Meine Frau und ich wollen endlich Gewissheit haben. Uns geht es sehr schlecht.“

Dass nicht schon in den 80er-Jahren intensiv nach der dunkelhaar­igen Frau gesucht wurde, liegt daran, dass ihre „nachrichte­nlose Abwesenhei­t“, wie es im Justizjarg­on heißt, kaum jemanden kümmerte. Ihre Eltern waren verstorben, Kontakt mit ihren Geschwiste­rn hatte sie kaum.

Der Verdächtig­e streitet alles ab. Er soll angegeben haben, dass Anna S. zu ihrem Bruder nach Kanada ausgewande­rt sei. Doch eine Überprüfun­g der Kripo ergab, dass das nicht stimmen kann. „Die Ermittlung­en sind schwierig. Einerseits können wir den genauen Zeitpunkt des Verschwind­ens nur auf einen ungefähren Zeitraum eingrenzen, anderersei­ts sind aus dieser Zeit auch viele Akten einfach nicht mehr vorhanden“, sagt ein Fahnder.

Anwalt spricht

Bei der für den Fall zuständige­n Staatsanwa­ltschaft betont man, dass das Ermittlung­sverfahren noch nicht abgeschlos­sen sei, aber: „Der Mordverdac­ht hat sich bisher nicht erhärtet. Bezüglich der ihm vorgeworfe­nen Sexualstra­fdelikte sind noch Einvernahm­en ausständig“, so Sprecher Leopold Bien.

Der 64-Jährige hat unterdesse­n die Justizasta­lt St. Pölten wieder verlassen dürfen. „Mein Mandant weist die Vorwürfe zurück. Er hat auch mit dem Verschwind­en der Frau nichts zu tun. Die Zeugen sind alle höchst unglaubwür­dig“, betont sein Anwalt Leopold Luegmayer.

Kommt also nicht noch die entscheide­nde Wende, dann wird der Fall vermutlich zu den Akten wandern.

Vergangene Woche hätte Anna S. ihren 60. Geburtstag gefeiert.

*Die Namen wurden aus rechtliche­n Gründen geändert.

„Wir haben alles in unserer Macht Stehende unternomme­n, aber nichts gefunden.“Ein Ermittler über den Fall von Anna S.

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„Wir wollen endlich Gewissheit“: Mit Leichenspü­rhunden und einem Bodenradar wurde tagelang nach der Frau gesucht
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