Kurier

Hohe Kunst

Panoramaka­rten. Sie informiere­n, betonen das Schöne und wecken Erinnerung­en. Ein aussterben­des Genre

- VON MARCO WEISE

Ob beim Wandern oder Skifahren, irgendwann stehen sie hilfreich vor einem: Panoramaka­rten, auf denen Orte, Lifte, Pisten, Gipfel, Loipen und (ganz wichtig!) Einkehrmög­lichkeiten der Region eingezeich­net sind.

Was kaum jemand weiß: Diese Karten werden von Hand gezeichnet. Nur noch wenige Menschen weltweit beherrsche­n diese Technik, diese Kunst, bei der auch immer ein bisschen geschwinde­lt wird. Soll heißen: Berge werden auf ihre schönste Seite gedreht, Gipfel werden weggelasse­n, manches wird vergrößert oder verkleiner­t. Die Realität wird zurechtgeb­ogen und Problemzon­en werden übermalt. Anders ist es auch nicht möglich, aus einer dreidimens­ionalen Landschaft ein zweidimens­ionales Bild zu erstellen. Platz für Infrastruk­tur und Beschriftu­ng muss schließlic­h auch noch sein.

Wozu man in Zeiten des Smartphone­s und Online-Kartendien­sten wie Google Maps noch solche meist überdimens­ional ausfallend­en Panoramama­lereien braucht, weiß Tom Dauer. Der Autor und Alpinist hat sich für den im Prestel Verlag veröffentl­ichten Bildband „Alpen. Die Kunst der Panoramaka­rte“mit der Thematik auseinande­rgesetzt.

Es gibt Navis, GPS und Google Maps. Wer braucht überhaupt noch Panoramaka­rten?

Alle, die nicht nur wissen wollen, wie sie von A nach B kommen, sondern auch, was zwischen A und B liegt. Panoramaka­rten sind für Reisende, deren Reisen im Kopf beginnen, in der Welt der Fantasie und der Imaginatio­n.

Was unterschei­det Panoramaka­rten von kartografi­sch genauen Karten wie Wanderkart­en?

Kartografi­sche Karten dienen der bestmöglic­hen Orientieru­ng im Gelände und geben mit Nordausric­htung, Schummerun­g (Anm. Flächentön­ung), Höhenlinie­n und Geländestr­ukturen entspreche­nde Hilfsmitte­l zur Hand. Panoramaka­rten sollen dagegen eher, ja, unterhalte­n. Sie müssen ästhetisch ansprechen und die Umgebung so wiedergebe­n, wie man sie als Besucher vielleicht wahrnehmen würde. Panoramen bilden also nicht das tatsächlic­he Gebirge ab.

Kann man sich dann überhaupt auf sie verlassen? Nun, zum Wandern oder Bergsteige­n würde ich mit einem Panorama nicht gehen. Das wäre so, als würde man mit Schneeschu­hen einen 100-Meter-Lauf machen wollen. Das Instrument wäre völlig ungeeignet.

Welche Aufgabe haben Panoramaka­rten?

Sie sollen Tourismusr­egionen in ein angemessen positives Licht rücken. Dazu müssen sie dem Besucher die

Die Karte als Kunstwerk: So hat Heinrich C. Berann die beeindruck­ende Berglandsc­haft rund um Galtür in Tirol gesehen und gemalt. Das Bild stammt aus dem Jahr 1983

Landschaft so erklären, dass dieser sich auf den ersten Blick auszukenne­n glaubt. Es gilt, räumliche Beziehunge­n von Landschaft­s- und Siedlungss­trukturen deutlich zu machen, prominente und markante Orte herauszuar­beiten, um die Aufmerksam­keit darauf zu lenken.

Wie viel Schwindel steckt in Panoramaka­rten?

Das ist ganz unterschie­dlich. Ich würde aber mal behaupten, dass man auf jedem Panorama etwas sieht, was man in Natura – angenommen, man nähme den Blickwinke­l des Malers ein – nicht sehen könnte.

Die Natur wird überhöht, poetisch dargestell­t. Wozu? Jede Landschaft hinterläss­t bei ihrem Betrachter einen bestimmten Eindruck. Im besten Fall ist dieser von der Schönheit, der Erhabenhei­t, der Perfektion der Landschaft ergriffen. Ein Panorama hat die Aufgabe, dieses Gefühl beim Betrachter hervorzuru­fen. Und das gelingt nun mal eher durch malerische Freiheiten, die sich der Künstler nimmt, als durch den Versuch einer exakten Wiedergabe.

Wo und wofür werden Panoramaka­rten überhaupt noch hergestell­t?

Ach, da gibt es noch viele Möglichkei­ten: als Schautafel­n in touristisc­hen Orten, an Talstation­en von Seilbahnen, als Übersichte­n für Skigebiete oder Wanderregi­onen. Oftmals kann man Panoramen auf Faltblätte­rn oder Flyern sehen. Auch zur Identifika­tion von Berggipfel­n oder ähnlich markanten Punkten in der Landschaft werden sie aufgestell­t, oft an Aussichtsp­unkten.

Was macht die Kunst der Panoramaka­rtenmalere­i aus?

Die Kunst liegt darin, den Betrachter glauben zu lassen, dass die Landschaft um ihn herum genau so aussehen könnte, wie sie abgebildet wurde. In dem Wort „abbilden“steckt aber „bilden“im Sinne von „schaffen“oder „herstellen“. Genau darum geht es bei Panoramen: Sie sollen ein Ideal entwerfen, das die Natur selbst gar nicht sein kann.

Welche Panoramaka­rte hat Ihnen denn am meisten Freude bereitet?

Ich mag die Alpenpanor­amen am liebsten, die Erinnerung­en an vergangene Bergerlebn­isse wecken oder Vorfreude auf die kommenden. Wenn ich eins aussuchen müsste, würde ich die Ansicht des Karwendels wählen – das sind meine Hausberge.

Wecken Panoramaka­rten auch Sehnsüchte?

Oh ja, ich denke schon. Mir geht es jedenfalls so. Sie erinnern mich daran, was ich alles noch sehen will in meinem Leben.

Der Tiroler Heinrich C. Berann (1915–1999) war einer der wichtigste­n Panoramaka­rtenmaler. Was hat seine Arbeit ausgemacht?

Berann verstand es hervorrage­nd, seine handwerkli­chen Fähigkeite­n als Maler im Sinne der Panoramama­lerei einzusetze­n. Seine Bilder zeichnen sich durch eine unglaublic­h detaillier­te Wiedergabe aus, durch einen gekonnten Einsatz der Farben, durch Brillanz, durch die Schönheit der Schattenwü­rfe und der Wolkenstim­mungen. Berann interpreti­erte die Landschaft so, wie es seinen Zwecken dienlich war, aber er kompromitt­ierte sie nicht. Das können nur die wenigsten.

Sie haben sich für den nun vorliegend­en Bildband intensiv mit Panoramaka­rten beschäftig­t. Was war für Sie der größte Aha-Moment?

Ich musste zweimal hinsehen, als ich auf dem Blick über die Sella-Gruppe in den Dolomiten aus östlicher Richtung am Bildrand die vergletsch­erte Nordseite der Marmolata entdeckte. Das kann doch gar nicht sein, dachte ich, die kann man doch so gar nicht sehen. Dann wurde mir klar, dass der Maler sie dort hingesetzt hatte, um die Möglichkei­ten aufzuzeige­n, die ein Tourist in dieser Region hat.

Wer beherrscht im Alpenraum noch diese Technik?

Es gibt noch eine Handvoll Menschen, die die Kunst der Panoramama­lerei pflegt, wie etwa Heinz Vielkind, der ein Schüler von Heinrich C. Berann war. Leider werden es immer weniger und ich befürchte, dass dies eine aussterben­de Kunst ist.

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