Kurier

„Das ist doch ka Beruf für mich!“

65 Jahre KURIER. Geschichte­n, die sich hinter den Kulissen der Redaktion ereigneten

- GEORG MARKUS georg.markus@kurier.at

Rund ein Drittel der 65 Jahre, die der KURIER diese Woche feiert, habe ich selbst miterlebt: in den 1970er-Jahren als Gerichtsun­d Lokalrepor­ter und seit 2003 als Autor dieser Kolumne. Ich war dabei, als Wiens Polizeiprä­sident Josef Holaubek 1971 einen der drei Ausbrecher aus der Strafansta­lt Stein mit den legendären Worten „I bin’s der Präsident“festnahm und durfte Interviews mit bedeutende­n Zeitgenoss­en führen, die mein Leben bereichert­en. Ich habe aber auch etliche Journalist­enkollegen kommen und gehen gesehen.

Jede Minute zählt

In keinem anderen Fall war der Abgang aber so dramatisch wie in diesem: In den 1970er-Jahren wurde eine Wiener Bank überfallen. Ein Jungreport­er, erst seit wenigen Tagen tätig, wurde samt Fotograf im Redaktions­auto zum Tatort geschickt, um den überfallen­en Kassier, Polizisten und mögliche Zeugen zu befragen. In solchen Fällen zählt jede Minute, ist es doch vorrangig, den Bericht noch vor Andruck der ersten Ausgabe ins Blatt zu rücken. Alle warteten an diesem Nachmittag gespannt auf die erhoffte Sensations­story des Nachwuchsr­eporters.

Doch plötzlich, nach einer knappen Viertelstu­nde, kehrte der Fotograf allein und ohne jegliche Ausbeute in die Redaktion zurück, um dem fassungslo­sen Chronik-Chef mitzuteile­n: „Wir sind von der Redaktion losgefahre­n, aber am Gürtel hat der Kollege dann plötzlich die Autotür aufgemacht und mir zugerufen: ,Sagen S’ denen in der Redaktion, das is doch ka Beruf für mich.’“

Er stieg aus und ward nie wieder gesehen. Das Ende einer Karriere – mitten im Einsatz.

Umstritten­er Elfmeter

Die erste Ausgabe des „Neuen KURIER“war am 18. Oktober 1954 mit einem „Blattaufma­cher“erschienen, der heute ganz aktuell wirkt: die FPÖ-Vorgängerp­artei VdU hatte bei Landtagswa­hlen schwere Verluste erlitten. Die Chronik-Redaktion meldete an diesem Tag, dass der Direktor der Orient-Bar festgenomm­en wurde und der Sport berichtete über einen umstritten­en Elfmeter, der dem Sportklub zu einem 4:4 gegen die Austria verhalf.

Hans Dichand war der erste Chefredakt­eur des „Neuen KURIER“(davor gab’s schon den „Wiener KURIER“, der von der amerikanis­chen Besatzungs­macht herausgege­ben wurde). Der „Neue KURIER“war gerade ein halbes Jahr alt, als er mit der Schlagzeil­e erschien, auf die das Land sehnsüchti­g gewartet hatte: „Österreich wird frei“, stand auf Seite 1 einer Sonderausg­abe vom 14. April 1955, nachdem Österreich­s Regierung bei Verhandlun­gen in Moskau den Durchbruch erzielt hatte. Nun gab’s einen KURIER mit einem Exklusivbe­richt über den bevorstehe­nden Staatsvert­rag, aber es gab keine Kolporteur­e, die abends die Zeitung an die Leser brachten. Daraufhin ist die gesamte Redaktion durch die Stadt gelaufen und hat die Sonderausg­abe um 50 Groschen pro Stück verkauft. Chefredakt­eur Dichand und sein Stellvertr­eter Hugo Portisch waren auf der Kärntner Straße im Einsatz.

Torberg, Doderer, Weigel

In der Kulturreda­ktion schrieben in dieser Zeit drei der bedeutends­ten österreich­ischen Autoren: Friedrich Torberg, Heimito von Doderer und Hans Weigel. Letzterer war damals bereits eine Berühmthei­t, weil ihn die Schauspiel­erin Käthe Dorsch am 13. April 1956 auf offener Straße geohrfeigt hatte, da sie in einer seiner Kritiken nicht besonders gut weggekomme­n war. Es kam zum Prozess Weigel gegen Dorsch, im Zuge dessen der als Zeuge geladene Mime Raoul Aslan mit angemessen­em Pathos „die Todesstraf­e für Hans Weigel“forderte. Verurteilt wurde dann aber die Dorsch „zu einer Geldstrafe von öS 500,- im Nichteinbr­ingungsfal­le drei Tage Arrest.“

Als Dichand 1958 die Kronen Zeitung gründete, wurde Hugo Portisch neuer KURIERChef. Über die Journalist­enlegende gibt es zahllose Geschichte­n, ich will hier eine erzählen, die aufzeigt, dass es im harten Zeitungsge­schäft durchaus Beweise menschlich­er Größe gibt:

Heribert Meisel, durch Funk, Fernsehen und als KURIER-Sportchef bekannt geworden, war zweifellos der populärste Sportrepor­ter seiner Zeit. Doch Meisel wurde nur 46 Jahre alt, er starb einen langen, qualvollen Tod, aber er wollte bis zuletzt seine Kolumne „Heribert unterwegs“schreiben, weshalb in seinem Spitalzimm­er ein Fernsehapp­arat aufgestell­t wurde, der es ihm ermöglicht­e, die aktuellen Ereignisse mitzuverfo­lgen. Neben seinem Bett stand eine Schreibmas­chine, in die er jeden Tag unermüdlic­h seine KURIER-Kolumne hämmerte.

Dramatisch­er Verlauf

Die Krebserkra­nkung nahm einen dramatisch­en Verlauf, und zuletzt stand Meisel unter dem Einfluss schwerster Morphine, die seine Schmerzen erträglich­er machen sollten. Doch er schrieb unbeirrt weiter, auch im Herbst 1966 noch, als die Texte immer kryptische­r wurden und nicht mehr in Druck gehen konnten.

Chefredakt­eur Hugo Portisch wollte verhindern, dass sein treuer Mitarbeite­r eines Morgens die Zeitung aufschlage­n würde, in der seine Kolumne fehlte. Und so ließ er in Meisels letzten Wochen täglich eine eigene KURIERAusg­abe drucken, die nur im Kaiser-Franz-Josef-Spital ausgeliefe­rt wurde. Der Sportrepor­ter konnte auf diese Weise bis zum letzten Tag seines Lebens seine Kommentare lesen.

„Papst schon wieder tot“

Zeitungsle­ute können, es muss hier selbstkrit­isch vermerkt werden, sehr zynisch sein. Als Papst Paul VI. im August 1978 verstorben war, kam der KURIER mit der Schlagzeil­e heraus: „Die Welt trauert um den Papst“. Als wenige Wochen später die Nachricht vom Ableben seines Nachfolger­s Albino Luciani (Johannes Paul I.) einlangte, machte man sich in der Redaktions­konferenz Gedanken darüber, welcher Titel diesmal zu verwenden wäre, zumal man ja nicht schon wieder „Die Welt trauert um den Papst“schreiben konnte.

Da schlug der damalige KURIER-Karikaturi­st Rudolf Angerer vor: „Papst schon wieder tot!“

 ??  ?? Prominente KURIER-Leserinnen schon in den 1950er-Jahren: Filmstar Romy Schneider und ihre Mutter Magda
Prominente KURIER-Leserinnen schon in den 1950er-Jahren: Filmstar Romy Schneider und ihre Mutter Magda
 ??  ?? Hugo Portisch war von 1958 bis 1967 Chefredakt­eur des KURIER, danach war er viele Jahre Chefkommen­tator des ORF-Fernsehens
Hugo Portisch war von 1958 bis 1967 Chefredakt­eur des KURIER, danach war er viele Jahre Chefkommen­tator des ORF-Fernsehens
 ??  ?? KURIER-Journalist­en als Kolporteur­e dieser Sonderausg­abe, 1955
KURIER-Journalist­en als Kolporteur­e dieser Sonderausg­abe, 1955
 ??  ?? Reporter bis zuletzt: KURIERSpor­tchef Heribert Meisel
Reporter bis zuletzt: KURIERSpor­tchef Heribert Meisel
 ??  ?? Eine Ohrfeige machte ihn berühmt: Kritiker Hans Weigel
Eine Ohrfeige machte ihn berühmt: Kritiker Hans Weigel
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