Kurier

„ Resistenz gegen Lernprozes­se“

Gespräch. Alfred Dorfer über die Rätsel der Demokratie und die Dumpf heit der Aggression

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Kabarettis­t Alfred Dorfer schont weder Rechtswähl­er noch die SPÖ

Von „und …“geht dieser Tage allein im Stadtsaal in Wien die 50. Vorstellun­g über die Bühne. Das Solo hatte seit der Uraufführu­ng 2017 mehr als 100.000 Zuschauer – auch in der Schweiz und in Deutschlan­d – „und hat sich immer wieder angepasst an das, was passiert. Und auch an mich“, so Alfred Dorfer im KURIERGesp­räch.

Sie spielen von Hamburg bis Bozen, von Zürich bis Wien, jetzt gerade in Bayern. Wie ist die Wahrnehmun­g des Österreich­ers in Deutschlan­d?

Unterschie­dlich. Der Bayer ist ja durch die CSU-Geschichte­n an Korruption gewöhnt. Aber auch für ihn ist Ibiza überrasche­nd. Während sich der protestant­ische Deutsche im Norden gerne über andere erhebt und meint, er hätte die Moral im Sack. Dass der Chef vom Spiegel schrieb, in Deutschlan­d wäre Ibiza undenkbar, finde ich kurz nach dem Relotius-Skandal ziemlich keck.

Wie erklären Sie sich den Niedergang der Sozialdemo­kraten in Europa?

Die sogenannte­n linken Parteien büßen jetzt für die jahrzehnte­lange Verfehlung, dass man bestimmte Themen nicht in den Griff bekommen hat. Und dass man sich mit denen aus der Wirtschaft ins Bett gelegt hat, die man vorgeblich bekämpfte. Diesen Verrat verzeihen die Leute auf lange Sicht nicht. Von den Rechten ist man diesen Verrat ja gewohnt. So wählen die Leute im Rust Belt, der ältesten und größten Industriez­one in den USA, trotzdem Trump.

Und bei uns?

Da verschiebt sich das jetzt in eine Camouflage: Alle heimatlose­n SPDler und SPÖler wählen jetzt grün. Diese neue, frische Halblinkhe­it mit den grünen Schuhen ist der Trend. Und wer etwas Geld hat, muss sich auch nicht mehr genieren dafür, weil er ja für den Klimawande­l etwas Gutes tut. Da spricht der Zyniker aus dem Satiriker! Und die SPÖ?

Diese Partei stellt sich so dar, dass es einen mehr oder weniger konservati­ven Basisriege­l mit den Gewerkscha­ften gibt, die keine Veränderun­g wollen, aber auch keine Ideen haben. Das ist schlimm. Und bei Thomas Drozda und Pamela RendiWagne­r hatte ich das Gefühl, die agieren wie schauspiel­erisch ausgebilde­te Handpuppen, die die Probleme derer, die SPÖ wählen sollen, gar nicht begreifen.

Dazu kommt, dass die SPÖ die Klaviatur der Neuen Medien nicht spielen kann.

So wie die Franzosen immer noch glauben, sie seien eine Weltmacht, so meint man in der SPÖ nach wie vor, man sei vorne und müsse nichts mehr tun. Diese Saturierth­eit in der Löwelstraß­e finde ich sehr erstaunlic­h.

In Ostdeutsch­land ist die AfD bereits gleichauf mit der SPD.

Das Wahlergebn­is dort ist sehr speziell. Dieses Biotop in diesen fünf Bundesländ­ern ist sehr eigen aufgrund der Geschichte, wie damit umgegangen wurde. Dazu kommt die Eigenschaf­t, sich gern als Opfer zu sehen, die auch wir gut kennen. Dieses Konglomera­t mit dem sehr geringen Ausländer- und Flüchtling­santeil, aber dem größten Ausländerh­ass kennen wir auch, deshalb ist das nicht verblüffen­d.

Dazu kommt der von der AfD geschürte Antisemiti­smus, der zuletzt zum Anschlag in Halle geführt haben soll.

Mich hat sehr schockiert, als man die Porträts von NSÜberlebe­nden heuer in Wien am Burgring in der Schau „Gegen das Vergessen“zerschnitt­en hat, weil ich diese Dumpfheit der Aggression und auch das Ziel der Aggression nicht begreifen kann.

Trump hat laut „Washington Post“seit Amtsantrit­t 12.000-mal gelogen. Aber laut Umfragen glaubten 82 Prozent der republikan­ischen Wähler Trump mehr als den Medien. Das ist ja nicht einmal mehr Tunnelblic­k, sondern absolute Blindheit!

Gegenfrage: Wenn 45.000 Österreich­er dem auf dem Ibiza-Video bei der EU-Wahl ihre Vorzugssti­mme geben, ist das weniger oder genauso erstaunlic­h?

Mindestens genauso erstaunlic­h.

Das sind die Rätsel in der Demokratie: Dass es eine gewisse Resistenz gegen Lernprozes­se gibt. Außerdem eine gewisse Resistenz gegen unangenehm­e Wahrheiten. Und das ist natürlich ein sehr gefährlich­es Potenzial.

Das Ibiza-Video hat der FPÖ weit weniger geschadet als die Spesenaffä­re, die eine viel größere Wirkung entfaltet hat. Denn wie es so schön heißt: Der Neid is a Hund!

Es gibt ja auch den Neid, der beflügelt, dass jemand auch dorthin möchte, wo der andere schon ist. Aber die österreich­ische Variante ist: Ich will nirgendwo hin, ich will nur, dass der andere etwas nicht hat. Dieses Destruktiv­e, diese Intrige ohne Selbstnutz­en, ist schon sehr speziell. Ich glaube, das hat mit Feudalismu­s zu tun. Die Jörg-Haider-Linie war seit 1986: Die FPÖ räumt auf, geht in den Filz hinein, macht alles anders – ohne rot-schwarzen Proporz. Das war für viele eine große Hoffnung. Und für die FPÖ-Führung war der größte Sündenfall, dass sie sich bereichert.

Wobei sich zeigt: Je geringer das Bildungsni­veau, umso mehr wurde FPÖ gewählt.

Darunter sind auch vor allem die, die Angst haben, weil der ökonomisch­e Druck von unten kommt. Da hat die FPÖ immer so getan, als sei sie das beschützen­de Bollwerk. Durch die Spesenaffä­re ist das nun widerlegt.

Alfred Dorfer mit „und...“am 22. und 23. 10. (20 Uhr), Stadtsaal www.stadtsaal.com

 ??  ??
 ??  ?? Alfred Dorfer: Wir leben in einer Zeit, in der nicht mehr das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht
Alfred Dorfer: Wir leben in einer Zeit, in der nicht mehr das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht

Newspapers in German

Newspapers from Austria