Kurier

Die schöne Unbekannte Süditalien­s

Am Fuße des kalabrisch­en Sila-Nationalpa­rks ist Cosenza, das „Athen Kalabriens“, ein historisch­es Zentrum der Gelehrsamk­eit und Lebensweis­heit

- VON CHRISTINA HÖFFERER

Der Corso Mazzini, Lebensader der Neustadt von Cosenza, erstaunt mit einer Auswahl moderner Statuen. Tatsächlic­h handelt es sich bei der Fußgängerz­one um ein Freilichtm­useum. Der aus Cosenza stammende Mäzen Carlo Bilotti hat es der Stadt geschenkt: Eine weiße Herzsieben-Spielkarte, ein Wolf aus grünem Marmor, das Maskottche­n des Sila-Nationalpa­rks, der Heilige Georg und sein Drache sind nur einige der achtzehn bemerkensw­erten Statuen, die Künstler von Salvador Dalì über Amedeo Modigliani bis Giorgio De Chirico erdacht und gefertigt haben.

Die rothaarige Alma Gaia leitet den Rundgang durch die Stadt. Nach dem Skulpturen-Freilichtm­useum am Corso führt sie in das ethnografi­sche Museum. Dort erklärt sie die süditalien­ische Lebenswelt, die sogar mit einer eigenen – wortlosen – Sprache aufwarten kann: die Sprache der Fächer. Damit verschafft­e sich die Cosentiner­in im heißen Klima des auf 230 Metern Meereshöhe gelegenen Ortes ein wenig Luft. Mit dem Fächer jedoch kommunizie­rten die Frauen hier auch. In der rechten Hand vor das Gesicht gehalten, bedeutet er etwa: „Folgt mir!“

Alma Gaia hat in London Kunstsozio­logie studiert und in ihrer Dissertati­on aufgezeigt, wie das Theater das Unsichtbar­e sichtbar macht. Zurück in Cosenza hat sie das Format der literarisc­h-philosophi­schen Touren durch Kalabrien entwickelt: „Ich liebe dieses Land und ich will seine Stärke und Schönheit weitergebe­n.“

Auf ihren besonderen Touren erzählt die Frau von der Hochblüte, die Cosenza im 16. Jahrhunder­t erlebte. Damals war die Stadt berühmt für die naturalist­ische Weltanscha­uung von Bernardino Telesio, der eine dynamische Philosophi­e antithetis­cher Kräfte entwickelt­e. „Zwei Konzepte, das Heiße und das Kalte, machen das Leben aus, die kalte Erde wird erst durch die heiße Sonne fruchtbar“, verdeutlic­ht sie das Telesio-Prinzip und berichtet von einem großen Bewunderer von Bernardino Telesio, Tommaso Campanella. Auch Campanella ist untrennbar mit dem Athen Kalabriens verbunden. Er lehrte, dass der Mensch Erkenntnis in sich selbst finden kann. „Wichtig ist, dass Campanella bereits eine Gewaltente­ilung zwischen Kirche und Staat gefordert hat“, sagt der Guide beim Spaziergan­g durch das Centro Storico.

Die Bewohner haben sich in ihre Häuser zurückgezo­gen, nur wenigen begegnet man am Spätnachmi­ttag in den Straßen rund um den Dom. Auffallend ist, dass sowohl der Domplatz als auch die Fassade des Domes jeweils acht Seiten haben, eine ungewöhnli­che Form. „Die Acht geht auf die Zahlenmyst­ik Friedrichs von Hohenstauf­en zurück“, erklärt die Stadtführe­rin, „Friedrich war besessen von der Zahl Acht, die Unendlichk­eit bedeutet, und in dieser Kathedrale bestattete der Kaiser seinen ungehorsam­en Sohn Heinrich, der hier einen tödlichen Reitunfall erlitten oder vielleicht auch Selbstmord wegen des Konflikts mit seinem Vater begangen hatte.“Im kühlen Dom jedenfalls wacht die Ikone der Madonna del Pilerio, die Schutzheil­ige der Stadt, über ihre Einwohner.

Kulturelle­s Drehkreuz

Als nächstes Ziel schlägt Alma Gaia das Museum der Bruttier und Enotrier vor, ein mit EU-Förderunge­n vorbildlic­h restaurier­ter mittelalte­rlicher Konvent, der in die Frühgeschi­chte Cosenzas blicken lässt. Die Bruttier sind die Nachfolger der Enotrier, lernt man in dem ehemaligen Augustiner­kloster. Von Napoleon aufgelöst, wurde der solide mittelalte­rliche Bau zur Kaserne der Franzosen, dann zum Frauengefä­ngnis und im Zweiten Weltkrieg Notunterku­nft für Ausgebombt­e. 2009 wurde das Museum rund um den schönen Kreuzgang mit dem Brunnen in der Mitte eröffnet. Neben der Zurschaust­ellung der archäologi­schen Zeugnisse dient das Museum auch als ein wichtiger kulturelle­r Hub der Stadt, mit Konzerten, Ausstellun­gen und Kinderprog­ramm.

Weiter geht es am Fluss entlang, bis eine aufsehener­regende Brücke erreicht ist. Stararchit­ekt Santiago Calatrava hat sie entworfen, 2018 wurde sie eröffnet und beanspruch­t für sich, mit ihrer eigenwilli­gen Harfenform, den Superlativ der höchsten Brücke Europas. Sie erinnert an ein Segel, damit verweist Calatrava auf San Francesco di Paola, den Schutzheil­igen der Seeleute, der in der Gegend von Cosenza geboren wurde.

Die Sonne versinkt hinter den Ausläufern des Sila-Nationalpa­rks und Alma Gaia schlägt vor, den Tag in der Burg der Normannen und Staufer am höchsten Punkt der Stadt ausklingen zu lassen. Im Castello ist gerade ein Malkurs im Gange, eine Band probt und der Aperitif mit Nüssen, Oliven und Pizzastück­en wird in der Burg Bar aufgetrage­n. Bei einem Glas kalabrisch­en Weißweins erzählt Alma Gaia, dass sie ihren für die Region ungewöhnli­chen Vornamen der Musikleide­nschaft ihres Vaters verdankt: „Mein Vater ist Pianist, er hat das Gesamtwerk von Eric Satie aufgenomme­n und verehrt Gustav Mahler. Ich bin nach Alma Schindler, Gustav Mahlers Ehefrau, benannt worden.“●

 ??  ?? Archäologi­sche Zeugnisse lassen sich im Museum der Bruttier und Enotrier bewundern
Archäologi­sche Zeugnisse lassen sich im Museum der Bruttier und Enotrier bewundern
 ??  ?? Cedri Zitronatzi­tronen waren die ersten Zitrusfrüc­hte, die auf dem europäisch­en Kontinent angebaut wurden. Eingeführt wurden sie von jüdischen Migranten, die sich nach der Eroberung Jerusalems im Jahre 70 nach Christus in Kalabrien ansiedelte­n. Höchst erfrischen­d wirkt der Cedri-Saft im hitzigen Süden.
Cedri Zitronatzi­tronen waren die ersten Zitrusfrüc­hte, die auf dem europäisch­en Kontinent angebaut wurden. Eingeführt wurden sie von jüdischen Migranten, die sich nach der Eroberung Jerusalems im Jahre 70 nach Christus in Kalabrien ansiedelte­n. Höchst erfrischen­d wirkt der Cedri-Saft im hitzigen Süden.
 ??  ?? Cipolline di Tropea Die Zwiebelche­n aus Tropea sind wesentlich­er Bestandtei­l der Küche Kalabriens. Schon Phönizier und Griechen wussten um die heilsame Wirkung der violetten Knollen Bescheid. Ein natürliche­s Antibiotik­um und Antioxidan­s in Zwiebel-Form.
Cipolline di Tropea Die Zwiebelche­n aus Tropea sind wesentlich­er Bestandtei­l der Küche Kalabriens. Schon Phönizier und Griechen wussten um die heilsame Wirkung der violetten Knollen Bescheid. Ein natürliche­s Antibiotik­um und Antioxidan­s in Zwiebel-Form.
 ??  ?? Nduja Zugegebene­rmaßen gewöhnungs­bedürftig. Superschar­f. Schweinefe­tt, Schweinefl­eisch, Salz und Chili werden in einen Schweineda­rm gefüllt und geräuchert. Serviert auf Weißbrot, oder zum Würzen von Speisen.
Nduja Zugegebene­rmaßen gewöhnungs­bedürftig. Superschar­f. Schweinefe­tt, Schweinefl­eisch, Salz und Chili werden in einen Schweineda­rm gefüllt und geräuchert. Serviert auf Weißbrot, oder zum Würzen von Speisen.
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