Das große Schmurgeln er einen guten Braten macht, hat auch ein gutes Herz. Wilhelm Busch
Er ist ein wenig aus der Mode gekommen – man isst ja heute eher mini und zwischendurch. Doch die Idee, nur an besonderen Tagen Fleisch zu essen, hat etwas – aus vielerlei Gründen. Eine Liebeserklärung an den Sonntagsbraten
Dieser Duft. Immer wieder sonntags, bereits vormittags, wenn in den Küchen des Landes das besondere Stück Fleisch ins Rohr geschoben wurde. Dann knisterte, zischte und brutzelte es, und durch alle Zimmer zogen geheimnisvolle Aromen. Dafür brauchte es Hingabe und Liebe, laut Wilhelm Busch ein gutes Herz – vor allem aber Zeit. Erst zum Schmurgeln, dann zum Schmausen.
Der Sonntagsbraten war einst der kulinarische Höhepunkt der Woche, das hatte sowohl mit der Verfügbarkeit als auch mit dem Preis von Fleisch zu tun. Vor etwas mehr als 60 Jahren war es unüblich, jeden Tag Fleisch zu essen, es kam nur zu besonderen Anlässen auf den Teller. Im Laufe der 1960er-Jahre stieg der Fleischkonsum rasant an – als Zeichen des Wohlstands: Schaut her, uns geht’s gut! Wer sich die großen Stücke vom Kalb, Rind, dem Lamm oder ein ganzes Huhn nicht leisten konnte, schob zumindest den Festtagsbraten für „Kleinbürger“ins Rohr: einen „falschen Hasen“, auch Stephaniebraten genannt. Faschiertes, angemacht mit Semmeln, Petersilie, Zwiebel, Majoran, Zitronenschale, Kapern, Salz, Pfeffer, gewürfelten Essiggurkerln, Eier und Brösel Alles zum großen Wecken geformt, mit Speck gespickt, im Rohr gebraten. Herrlich!
Immer wieder sonntags
Zeit für eine Liebeserklärung an den Sonntagsbraten, im Sinne eines sinnvollen Revivals: Schätzen wir dieses besondere Mahl als Fest, als Ritual – und essen dafür während der Woche gar kein oder nur wenig Fleisch. Das nützt nicht nur dem Klima, sondern ist auch der Gesundheit zuträglich. Laut aktuellen Empfehlungen der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung sollten wir pro Woche maximal drei Portionen fettarmes Fleisch oder fettarme Wurstwaren essen (300 bis 450 g pro Woche). Rotes Fleisch – wie etwa Rind, Schwein, Lamm – sollte noch seltener verzehrt werden, idealerweise maximal einmal pro Woche.
Teilzeitvegetarier genießen daher bewusst – nach dem Motto „Fleisch ja, aber nur am Wochenende“. Laut AMA-Marktforschung sind 16 Prozent der Österreicher Flexitarier, die eingekaufte Fleischmenge pro Haushalt und Jahr sinkt kontinuierlich.
Die Kultivierung des großen Sonntagsbratens wäre also nicht nur nostalgischen Gefühlen geschuldet, sondern scheint aus mehreren Gesichtspunkten sinnvoll. Vor allem aber macht es unglaublichen Spaß, so ein Mahl zu planen, zuzubereiten und schließlich im Kreis der Familie und von Freunden zu verspeisen. Idealerweise bis in den Nachmittag hinein, plaudernd, sitzend, lachend, nahtlos in die Gugelhupfjause übergehend. Slow Food vom Allerfeinsten und ein wunderbar-traditioneller Bestandteil unserer Esskultur – die Antithese zu der derzeit angesagten „Snackification“– dem Mini-Essen zwischendurch.
Auch wenn Trendforscher das „Ende der Mahlzeiten, so wie wir sie kennen“, prophezeien: Gerade jetzt, im Herbst und Winter, wenn die Tage kürzer sind, ist das lange im Rohr geschmorte Stück Fleisch eine Wohltat fürs Gemüt. Weil wir damit auf gewisse Weise innehalten, langsamer kochen, essen und uns erinnern. „Sonntags um 12 zum Mittagessen, bitte pünktlich sein“, sagte die Mama einst gerne ein bisserl schnappig. Zugegeben, es konnte schon auch mühsam sein, dieses familiäre Prozedere als spießiger Fixstern des Wochenendes. Doch rasch war der innere Querulant versöhnt – mit einem nach viel Knoblauch und Kümmel duftenden Schweinsbraten, seiner krachigen Kruste, den handgerollten Knödeln und dem sämigen Sauerkraut. Der Sonntagsbraten lebt auch vom Spiel mit Erwartungen.
Nur das Beste für das Besondere
Laut „Kulinarisches Erbe Österreich“bestand ein einfaches bürgerliches Mittagessen in Wien immer aus Suppe, gekochtem Rindfleisch mit Erdäpfeln und/oder Gemüse, Braten mit Salat. Dieses Mahl wurde traditionell zwischen 12 und 13 Uhr als Hauptmahlzeit des Tages eingenommen und, ja: Gemeinsam essen war auch ein Teil der Kindererziehung: „Iss ordentlich“, „Sitz gerade“, „Schlürf nicht!“. Das alles sehen wir heute viel lockerer, gut so. Bei der Fleischqualität sollten wir allerdings unerbittlich sein: Nur das Beste für das Besondere. Das Bratenfleisch ist von ausgezeichneter Qualität, kein Billigfleisch, sondern Ware vom Fleischer des Vertrauens, aus der Region, gut abgehangen, in Bioqualität, von Tieren, die artgerecht gehalten wurden.
Übrigens: Selbst ein Hendl, in Gestalt des „Wiener Brathuhns“, zählte einst zu den Festessen, wie die Historikerin Ingrid Haslinger in ihrem Buch „Die Wiener Küche“erwähnt: „Hühnerfleisch war von hoher Qualität und blieb lange Zeit ein feines Gericht (gebacken, gebraten) für Sonn- und Feiertage.“
Seele der Wiener Küche
Der unbestrittene „König“in Sachen Sonntagsbraten bleibt das Rindfleisch, als „Seele der Wiener Küche“. Die Hauptstadt galt lange als Mekka der Rindfleischesser. Auch der Köchin wegen, die „sich die Zeit nahm und nimmt, ein Stück Rindfleisch liebevoll zuzubereiten und die dem Rindfleisch jene Zeit lässt, die es benötigt, um saftig, zart und weich zu werden“, heißt es dazu im „Sacher-Kochbuch“. Und: „Die jungen Ochsen, deren Tafelspitze einst im berühmten Wiener Rindfleischtempel Meissl & Schadn (Anm. der. Red.: Neuen Markt) serviert wurden, fütterte man in eigenen Zuckerrübenfeldern des Marchfeldes. Nach dem Schlachten musste das Fleisch genau zwei Wochen abhängen.“Um die guten Stücke – vom Tafelspitz übers dünne Krügerl bis hin zum Zapfen – wurde ein regelrechter Kult betrieben. Nicht zu vergessen, die Soße aus dem eigenen Saft, der durch beharrliches Aufgießen entsteht, anschließend geschmacklich abgestimmt und nach Lust und Laune gesiebt, püriert und gebunden wird. Ebenfalls eine Frage von Zeit und Zuwendung.
Was ist „Braten“und was ist „Dünsten“? Das „Braten“großer Stücke im Rohr gelingt bei erst starker Ober/Unterhitze (220 Grad), dann wird reduziert und schließlich bei 60 Grad noch gerastet. Beim Dünsten wird das Fleisch erst kräftig an allen Seiten angebraten, sodass sich die Oberfläche versiegelt, dann mit Flüssigkeit (Wein, Suppe, Wasser) aufgegossen und in einem geschlossenen Topf auf dem Herd oder aber im Rohr weich geschmort, idealerweise zwischen 150 und 180 Grad.
Und das Ende vom Fest? Das nennt sich Bratlrest. Da haben die Fleischtiger auch noch montags was vom Sonntagsschmaus – als Restl-Gröstl, Restlaufstrich oder aber – legendär! – Grenadiermarsch. ●