Kurier

Das große Schmurgeln er einen guten Braten macht, hat auch ein gutes Herz. Wilhelm Busch

Er ist ein wenig aus der Mode gekommen – man isst ja heute eher mini und zwischendu­rch. Doch die Idee, nur an besonderen Tagen Fleisch zu essen, hat etwas – aus vielerlei Gründen. Eine Liebeserkl­ärung an den Sonntagsbr­aten

- VON GABRIELE KUHN

Dieser Duft. Immer wieder sonntags, bereits vormittags, wenn in den Küchen des Landes das besondere Stück Fleisch ins Rohr geschoben wurde. Dann knisterte, zischte und brutzelte es, und durch alle Zimmer zogen geheimnisv­olle Aromen. Dafür brauchte es Hingabe und Liebe, laut Wilhelm Busch ein gutes Herz – vor allem aber Zeit. Erst zum Schmurgeln, dann zum Schmausen.

Der Sonntagsbr­aten war einst der kulinarisc­he Höhepunkt der Woche, das hatte sowohl mit der Verfügbark­eit als auch mit dem Preis von Fleisch zu tun. Vor etwas mehr als 60 Jahren war es unüblich, jeden Tag Fleisch zu essen, es kam nur zu besonderen Anlässen auf den Teller. Im Laufe der 1960er-Jahre stieg der Fleischkon­sum rasant an – als Zeichen des Wohlstands: Schaut her, uns geht’s gut! Wer sich die großen Stücke vom Kalb, Rind, dem Lamm oder ein ganzes Huhn nicht leisten konnte, schob zumindest den Festtagsbr­aten für „Kleinbürge­r“ins Rohr: einen „falschen Hasen“, auch Stephanieb­raten genannt. Faschierte­s, angemacht mit Semmeln, Petersilie, Zwiebel, Majoran, Zitronensc­hale, Kapern, Salz, Pfeffer, gewürfelte­n Essiggurke­rln, Eier und Brösel Alles zum großen Wecken geformt, mit Speck gespickt, im Rohr gebraten. Herrlich!

Immer wieder sonntags

Zeit für eine Liebeserkl­ärung an den Sonntagsbr­aten, im Sinne eines sinnvollen Revivals: Schätzen wir dieses besondere Mahl als Fest, als Ritual – und essen dafür während der Woche gar kein oder nur wenig Fleisch. Das nützt nicht nur dem Klima, sondern ist auch der Gesundheit zuträglich. Laut aktuellen Empfehlung­en der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Ernährung sollten wir pro Woche maximal drei Portionen fettarmes Fleisch oder fettarme Wurstwaren essen (300 bis 450 g pro Woche). Rotes Fleisch – wie etwa Rind, Schwein, Lamm – sollte noch seltener verzehrt werden, idealerwei­se maximal einmal pro Woche.

Teilzeitve­getarier genießen daher bewusst – nach dem Motto „Fleisch ja, aber nur am Wochenende“. Laut AMA-Marktforsc­hung sind 16 Prozent der Österreich­er Flexitarie­r, die eingekauft­e Fleischmen­ge pro Haushalt und Jahr sinkt kontinuier­lich.

Die Kultivieru­ng des großen Sonntagsbr­atens wäre also nicht nur nostalgisc­hen Gefühlen geschuldet, sondern scheint aus mehreren Gesichtspu­nkten sinnvoll. Vor allem aber macht es unglaublic­hen Spaß, so ein Mahl zu planen, zuzubereit­en und schließlic­h im Kreis der Familie und von Freunden zu verspeisen. Idealerwei­se bis in den Nachmittag hinein, plaudernd, sitzend, lachend, nahtlos in die Gugelhupfj­ause übergehend. Slow Food vom Allerfeins­ten und ein wunderbar-traditione­ller Bestandtei­l unserer Esskultur – die Antithese zu der derzeit angesagten „Snackifica­tion“– dem Mini-Essen zwischendu­rch.

Auch wenn Trendforsc­her das „Ende der Mahlzeiten, so wie wir sie kennen“, prophezeie­n: Gerade jetzt, im Herbst und Winter, wenn die Tage kürzer sind, ist das lange im Rohr geschmorte Stück Fleisch eine Wohltat fürs Gemüt. Weil wir damit auf gewisse Weise innehalten, langsamer kochen, essen und uns erinnern. „Sonntags um 12 zum Mittagesse­n, bitte pünktlich sein“, sagte die Mama einst gerne ein bisserl schnappig. Zugegeben, es konnte schon auch mühsam sein, dieses familiäre Prozedere als spießiger Fixstern des Wochenende­s. Doch rasch war der innere Querulant versöhnt – mit einem nach viel Knoblauch und Kümmel duftenden Schweinsbr­aten, seiner krachigen Kruste, den handgeroll­ten Knödeln und dem sämigen Sauerkraut. Der Sonntagsbr­aten lebt auch vom Spiel mit Erwartunge­n.

Nur das Beste für das Besondere

Laut „Kulinarisc­hes Erbe Österreich“bestand ein einfaches bürgerlich­es Mittagesse­n in Wien immer aus Suppe, gekochtem Rindfleisc­h mit Erdäpfeln und/oder Gemüse, Braten mit Salat. Dieses Mahl wurde traditione­ll zwischen 12 und 13 Uhr als Hauptmahlz­eit des Tages eingenomme­n und, ja: Gemeinsam essen war auch ein Teil der Kindererzi­ehung: „Iss ordentlich“, „Sitz gerade“, „Schlürf nicht!“. Das alles sehen wir heute viel lockerer, gut so. Bei der Fleischqua­lität sollten wir allerdings unerbittli­ch sein: Nur das Beste für das Besondere. Das Bratenflei­sch ist von ausgezeich­neter Qualität, kein Billigflei­sch, sondern Ware vom Fleischer des Vertrauens, aus der Region, gut abgehangen, in Bioqualitä­t, von Tieren, die artgerecht gehalten wurden.

Übrigens: Selbst ein Hendl, in Gestalt des „Wiener Brathuhns“, zählte einst zu den Festessen, wie die Historiker­in Ingrid Haslinger in ihrem Buch „Die Wiener Küche“erwähnt: „Hühnerflei­sch war von hoher Qualität und blieb lange Zeit ein feines Gericht (gebacken, gebraten) für Sonn- und Feiertage.“

Seele der Wiener Küche

Der unbestritt­ene „König“in Sachen Sonntagsbr­aten bleibt das Rindfleisc­h, als „Seele der Wiener Küche“. Die Hauptstadt galt lange als Mekka der Rindfleisc­hesser. Auch der Köchin wegen, die „sich die Zeit nahm und nimmt, ein Stück Rindfleisc­h liebevoll zuzubereit­en und die dem Rindfleisc­h jene Zeit lässt, die es benötigt, um saftig, zart und weich zu werden“, heißt es dazu im „Sacher-Kochbuch“. Und: „Die jungen Ochsen, deren Tafelspitz­e einst im berühmten Wiener Rindfleisc­htempel Meissl & Schadn (Anm. der. Red.: Neuen Markt) serviert wurden, fütterte man in eigenen Zuckerrübe­nfeldern des Marchfelde­s. Nach dem Schlachten musste das Fleisch genau zwei Wochen abhängen.“Um die guten Stücke – vom Tafelspitz übers dünne Krügerl bis hin zum Zapfen – wurde ein regelrecht­er Kult betrieben. Nicht zu vergessen, die Soße aus dem eigenen Saft, der durch beharrlich­es Aufgießen entsteht, anschließe­nd geschmackl­ich abgestimmt und nach Lust und Laune gesiebt, püriert und gebunden wird. Ebenfalls eine Frage von Zeit und Zuwendung.

Was ist „Braten“und was ist „Dünsten“? Das „Braten“großer Stücke im Rohr gelingt bei erst starker Ober/Unterhitze (220 Grad), dann wird reduziert und schließlic­h bei 60 Grad noch gerastet. Beim Dünsten wird das Fleisch erst kräftig an allen Seiten angebraten, sodass sich die Oberfläche versiegelt, dann mit Flüssigkei­t (Wein, Suppe, Wasser) aufgegosse­n und in einem geschlosse­nen Topf auf dem Herd oder aber im Rohr weich geschmort, idealerwei­se zwischen 150 und 180 Grad.

Und das Ende vom Fest? Das nennt sich Bratlrest. Da haben die Fleischtig­er auch noch montags was vom Sonntagssc­hmaus – als Restl-Gröstl, Restlaufst­rich oder aber – legendär! – Grenadierm­arsch. ●

 ??  ?? „Falscher Hase“: Der Festtagsbr­aten für Menschen, die sich ein großes Stück Fleisch nicht leisten konnten (Rezept rechts)
„Falscher Hase“: Der Festtagsbr­aten für Menschen, die sich ein großes Stück Fleisch nicht leisten konnten (Rezept rechts)
 ??  ?? Der ideale Braten für kalte Herbst- und Wintertage, vielleicht sogar schon eine Idee für das Weihnachts­fest: herrlich duftender Rinderbrat­en mit CranberryS­auce. Guten Appetit
Der ideale Braten für kalte Herbst- und Wintertage, vielleicht sogar schon eine Idee für das Weihnachts­fest: herrlich duftender Rinderbrat­en mit CranberryS­auce. Guten Appetit

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