Kurier

Zum fairen Dialog zurückkehr­en

Begegnen wir Mitmensche­n im echten Leben doch lieber gleich wertschätz­end, als sie erst posthum zu würdigen.

- VON MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Zu Allerheili­gen über den Tod reden? Das ist nicht falsch, weil er zu allen anderen Zeiten im Jahr eher ausgeklamm­ert wird. Sprechen wir heute dennoch über das Leben. Wie oft liest man in den sozialen Medien über einen Verstorben­en: „Ich wollte mich noch bei ihm melden, jetzt ist es leider zu spät.“Nicht zufällig kursiert ein neues Modewort: „Achtsamkei­t“. Klingt nach Sesselkrei­s und Birkenstoc­kschlapfen (halt – die sind ja auch schon länger Trend). Ernsthaft mit Leben erfüllt wird es selten. Bieten wir dem einsamen, verwitwete­n Nachbarn Hilfe an? Fragen wir die kranke Kollegin, wie es ihr geht? Behandelt man den überlastet­en Kellner freundlich, auch wenn man zufällig selbst gerade gestresst ist?

Beleidigen und beleidigt sein

Und diskutiere­n wir unterschie­dliche Meinungen respektvol­l aus? Lieber nicht oder nur heimlich im Netz, dort dafür aber gerne in aller Niedertrac­ht. Das ist möglicherw­eise auch eine Folge davon, dass immer mehr Menschen glauben, ihre Meinung nicht mehr offen äußern zu können. Tatsächlic­h kann es sein, dass Eliten aus Medien und Politik ein Klima geschaffen haben, in dem abweichend­e Ansichten, vor allem zur Migrations­politik, gebrandmar­kt werden. Anderersei­ts ist nicht jedes schlecht gelaunte Posting schon eine wertvolle Meinungsäu­ßerung. Auch wir im KURIER löschen Unqualifiz­iertes, um dafür nicht rechtlich belangt zu werden oder weil wir Beleidigun­gen nicht einfach stehen lassen.

In Zeiten anonymer Schimpforg­ien müssen wir vielleicht wieder lernen, fair zu diskutiere­n. Natürlich trifft das auch auf die Politik zu. Dummerweis­e gibt es nicht auf alles eindeutige Antworten. Siehe aktuell die Debatte um das sogenannte Saudi-Zentrum in Wien. Das kann ein Ort des Dialogs sein, um das leider sehr schwache Pflänzchen der Liberalitä­t auch im arabischen Raum zu stärken. Ist das Zentrum aber eine Propaganda­stelle für menschenve­rachtende Politik, wie sie in Saudi-Arabien praktizier­t wird (und wovon wir selbst meilenweit entfernt sind), dann sollte es geschlosse­n werden – aber eben nicht kurzfristi­g aus rein populistis­chen Gründen.

Anderersei­ts hat sich Österreich immer als DialogDreh­scheibe verstanden. Wer in der internatio­nalen Politik Verständig­ung fördern will, wird zwangsläuf­ig auch mit Andersdenk­enden reden müssen. Wobei wir uns dabei ruhig selbst an der Nase fassen und auch innerhalb des Landes für ein vernünftig­eres Gesprächsk­lima sorgen sollten. Es scheint, als ob die vorkoaliti­onären Sondierung­sgespräche diesbezügl­ich einen guten Beitrag leisten. Mehr Achtsamkei­t, weniger moralische Abwertung, die ja meist auch eine moralische Selbstüber­höhung ist, ist gefragt. Es wäre zu traurig, Menschen erst nach ihrem Ableben mit Wertschätz­ung zu betrachten.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria