„Die armen Christen gehen in den Libanon, die reichen nach Europa“
Interview. Griechisch-orthodoxer Bischof Elias Toumeh befürchtet, dass viele Christen Syrien verlassen werden.
KURIER: Ihre syrische Heimatstadt Homs war in den vergangenen Jahren oft Schauplatz von Gefechten. Wie ist derzeit die Situation? Elias Toumeh: Besser. Es gibt derzeit keine militärischen Aktionen oder Kämpfe. Aber wir haben zwei große Probleme. Vor allem Jugendliche wollen das Land verlassen, weil sie sonst zum Militär müssten. Das wollen sie nicht. Und wir haben ein ökonomisches Problem. Die Wirtschaft ist kollabiert. Das Durchschnittsgehalt liegt bei 40 Dollar im Monat. Das ist zu wenig, um zu leben.
Was könnte dagegen unternommen werden?
Für ein Ende der Migration braucht es politische Lösungen. Ohne politische Lösungen können wir das Land nicht wiederaufbauen. Und wenn wir den Wiederaufbau nicht schaffen, werden Jugendliche nicht bleiben, mangels Perspektive.
In Syrien herrscht eine alawitische Minderheit über eine sunnitische Mehrheit. Ist die religiöse Dimension nicht auch ein Problem?
Diese Analyse über Syrien habe ich schon oft gehört: Dass die religiöse Dimension Teil des Problems ist. Ich kann Ihnen da nicht zustimmen. Zumindest hat der religiöse Faktor diesen Krieg nicht ausgelöst. Der Auslöser ist rein politisch. Unterschiedliche Konfessionen lebten in Syrien jahrzehntelang in Frieden. Als Schüler bin ich direkt neben einem alawitischen Mädchen gesessen, vor mir saß ein Sunnit.
Der Krieg hat also keine religiösen Hintergründe?
Die Proteste hatten ihre Wurzeln in sozialen, wirtschaftlichen Fragen. In manchen Gegenden fehlten den Menschen existenzielle, staatliche Leistungen. In den syrischen Protestbewegungen ging es anfangs nicht um eine Revolution oder darum, ein Regime zu stürzen. Die Menschen wollten nur etwas Unterstützung im täglichen Leben – und Würde.
Wie bewerten Sie das Thema Christenverfolgung in Syrien?
Ich finde nicht, dass Christen in Syrien verfolgt wurden oder werden. Es gibt keine Evidenz für diese Theorie. Alle Syrer werden verfolgt, auch Alawiten. Ich will nicht über Christen sprechen, als würden sie über Syrien stehen. Wir sind alle Syrer.
Islamisten sind keine explizite Gefahr für Christen? Wissen Sie, wie viele Schiiten getötet, wie viele Moscheen bombardiert wurden? Wissen Sie, wie viele Sunniten vom Islamischen Staat getötet wurden?
Dennoch sind Christen eine demografische Minderheit.
Ja, die Zukunft der syrischen Christen ist unklar. Die Armen gehen in den Libanon. Die reichen Christen – vor allem Jugendliche – versuchen ein Visum zu bekommen, um in Europa zu studieren. Sie bezahlen die Universitäten und versuchen die Staatsbürgerschaft zu erwerben.
Wenn es keine religiösen Probleme gibt: Was für eine politische Lösung wünschen sich die Menschen?
Lassen Sie mich Klartext sprechen: Wie die politische Lösung in Syrien am Ende aussieht, ist den meisten Menschen egal. Sie machen sich Sorgen, wie sie an Brot kommen. Nach neun Jahren Krieg geht es für die Menschen ums Überleben, nicht um politische Diskussionen.