Kurier

Als Mr. Speaker noch Rassist war

Abschied. John Bercow tritt als Sprecher ab – beeindruck­ender als sein „Order!“-Ruf ist seine Wandlung.

- VON ARMIN ARBEITER

„Hängt Nelson Mandela!“– auf Plakaten und Aufstecker­n trugen Mitglieder der Federation of Conservati­ve Students (FCS) diese Forderung durch Großbritan­niens Universitä­ten. Die Jugendorga­nisation demonstrie­rte für die Apartheid-Regierung in Südafrika, Mandela war für sie nichts anderes als ein Terrorist. Chef der FCS: John Bercow. Der Sohn eines polnischen Taxifahrer­s wollte ursprüngli­ch Tennisspie­ler werden – aufgrund seiner Körpergröß­e von 1,68 Metern war ihm dieser Traum verwehrt.

Doch mit dem Aufstieg der konservati­ven Premiermin­isterin Margaret Thatcher wuchs Bercows Begeisteru­ng für sie – er schloss sich dem FCS an, einer rechtskons­ervativen Jugendorga­nisation der Tories, der bald nachgesagt wurde, noch radikaler bei Sozialfrag­en und der Marktwirts­chaft zu sein, als Thatcher selbst.

Sinneswand­el

1986 wurden sie von der Partei aufgelöst – Bercow war ihr letzter Vorsitzend­er.

Mehr als drei Jahrzehnte später werfen ihm erboste Tories vor, als Sprecher des Unterhause­s auf der Seite der Opposition zu stehen. Er sei ein EU-Freund, der sogar eine mehr als 400 Jahre alte Regel herauskram­te, um absichtlic­h eine Entscheidu­ng zum BrexitAbko­mmen zu verschiebe­n.

Der Sprecher des Unterhause­s hat weitreiche­nde Rechte – Bercow reizte diese mit Freuden aus: „Während meiner Zeit als Sprecher habe ich versucht, die relative Autorität des Parlaments zu erhöhen, wofür ich mich absolut bei niemandem, nirgendwo, zu keiner Zeit entschuldi­gen werde“, sagte er bei seiner Rücktritts­ankündigun­g.

Am Donnerstag leitete der 56-Jährige zum letzten Mal eine Unterhaus-Sitzung – er will sich künftig mehr seiner Familie widmen.

Seine Jugend beim FCS scheint Bercow verziehen – zumal er betont, nicht an der Erstellung der Plakate und Stecker beteiligt gewesen zu sein: Am 9. Dezember 2013 – vier Tage nach dem Tod Nelson Mandelas – trug Bercow bei einer Sitzung eine Krawatte mit der Flagge Südafrikas.

Peter Hain, Labour-Abgeordnet­er und in Südafrika aufgewachs­en, richtete sich direkt an Bercow: „Mr. Speaker, ich würdige Sie dafür, dass Sie zugeben, als junger Konservati­ver auf der falschen Seite gewesen zu sein.“

Am Montag wird Bercows Nachfolger gewählt. Egal von welcher Fraktion er kommt – er wird es nicht leicht haben, in die Fußstapfen seines Vorgängers zu treten.

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Mehr als zehn Jahre lang leitete John Bercow die Sitzungen des britischen Unterhause­s – oftmals auf unorthodox­e Art und Weise
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