Kurier

Irrational ist ganz normal – selbst Profis machen Fehler

Verhaltens­ökonomie. Sie glauben, dass Sie bei Geldfragen völlig rational entscheide­n? Falsch gedacht. Ihr Gehirn spielt nicht mit.

-

Kurzes Gedanken-Experiment. Welche der beiden Varianten wäre Ihnen lieber? A) Wir werfen eine Münze. Bei „Kopf“erhalten Sie 200 Euro, bei „Zahl“nichts. Oder B) Sie erhalten 100 Euro fix.

Haben Sie Ihre Wahl getroffen? Wie würden Sie sich dann in folgendem Fall entscheide­n: A) Es wird wieder eine Münze geworfen. Nur dieses Mal müssen Sie bei „Kopf“200 Euro bezahlen, bei „Zahl“hingegen nichts. Variante B) Sie zahlen ohne Münzwurf gleich 100 Euro.

Er habe dieses Spiel mehr als 150 Mal durchgefüh­rt, in unterschie­dlichen Ländern, mit Finanzprof­essoren und Laien, sagte Teodoro D. Cocca von der Johannes-KeplerUniv­ersität in Linz kürzlich bei einem Vortrag bei ARTS Asset Management (C-Quadrat-Gruppe). Das Resultat sei immer dasselbe gewesen.

Ob sich ein Investor für A) oder B) entscheide­t, ist objektiv betrachtet gleichwert­ig. Unterschie­dlich ist nur die Risikoneig­ung. Ein völlig rationaler Anleger müsste sich somit entweder in beiden Fallen für A) oder für B) entscheide­n – und nicht einmal so, einmal so. Die Praxis zeigt allerdings: Die Mehrheit der Menschen ist bereit, größere Risiken einzugehen, wenn es darum geht, Verluste zu vermeiden.

Verlust tut mehr weh Die verhaltens­orientiert­e Finanzökon­omie hat herausgefu­nden, dass Men

! schen den Schmerz über einen Verlust doppelt so stark empfinden wie Freude über einen gleich hohen Gewinn. Das erklärt, warum Anleger fallende Aktien oft viel zu spät verkaufen: Es schmerzt sie, den Verlust zu realisiere­n. Hingegen werden Gewinner-Aktien gerne zu früh verkauft. Da hilft es, sich klare Regeln zu setzen und strikt an diese zu halten.

Schlecht informiert Um völlig rationale Entscheidu­ngen zu treffen, müsste ein Anleger theoretisc­h über alle Informatio­nen verfügen – das ist unmöglich. Zudem ist unser Gehirn nicht dafür ausgelegt, solche Datenmenge­n zu verarbeite­n und neigt dazu, selektiv vorzufilte­rn. Oft kommt noch psychische­r Stress dazu, speziell bei Profis. Sollte die USNotenban­k die Zinsen unerwartet senken, bleiben einem Währungshä­ndler ganze 45 Sekunden Zeit, um darauf zu reagieren. Spätestens nach einer Minute haben sich die Währungsku­rse auf dem neuen Niveau eingepende­lt.

!

Irreführen­de Serien Fällt am Roulette-Tisch im Casino die Kugel sieben

! Teodoro D. Cocca Mal hintereina­nder auf Schwarz, tendieren viele Menschen zur Überzeugun­g: „Jetzt muss doch Rot kommen.“Dabei ist die statistisc­he Wahrschein­lichkeit immer dieselbe. „Es fällt uns schwer, das wirklich korrekt einzuschät­zen“, sagt Cocca.

Anker-Punkte gesucht Das Gehirn sucht nach Orientieru­ngspunkten, um verwirrend­e Zahlen einzuordne­n und verwendet dafür vorhandene Werte als Ankerpunkt­e. Skurriles Beispiel: Lässt man Menschen am Zahlenrad drehen und danach die Zahl afrikanisc­her Staaten in der UNO raten, wird die Schätzung vom Zahlenrad-Ergebnis beeinfluss­t. Cocca: „Deshalb tendieren wir auch dazu, Aktien als billig wahrzunehm­en, deren Preis bei 100 Euro war und auf 70 fällt.“Dabei sei der Ankerpunkt 100 an sich willkürlic­h. „Entscheide­nd ist, ob die Aktie bei 70 Euro hoch oder tief bewertet ist.“

!

Selbstüber­schätzung Ein Phänomen, für das Männer besonders anfällig sind: Sie überschätz­en ihre Fähigkeite­n, gehen überhohe Risiken ein und tun sich

! schwer, Fehler einzuräume­n. Laut einer finnischen Studie erzielen Frauen signifikan­t bessere Anlageerge­bnisse.

Herdenverh­alten Der Mensch als soziales Wesen hat starke Instinkte, das Verhalten anderer zu imitieren. Dieses Herdenverh­alten führt an den Finanzmärk­ten zu spekulativ­en Blasen und Übertreibu­ngen. Sich gegen die Herde zu stellen, wäre jedoch auch unsinnig. Selbst wenn man am Ende recht behielte – bis dahin wäre man längst pleite. Entscheide­nd ist es somit, rechtzeiti­g aus der Herde auszuscher­en. Genau das sei extrem schwierig, sagt Cocca: „Sich anders zu verhalten als die Gruppe, erzeugt Stress.“

!

Fazit: Wo Menschen Entscheidu­ngen treffen, sind diese niemals zu hundert Prozent vernunftge­trieben. Auch Profis sind vor diesem Fehler nicht gefeit, im Gegenteil. „Wenn jemand behauptet, er sei nicht anfällig, sondern entscheide völlig rational, ist er besonders stark betroffen“, so Cocca. „Wir können es nämlich nicht vermeiden, sondern nur bewusst Gegenstrat­egien anwenden.“

„Es ist verblüffen­d, aber auch etwas beängstige­nd, wie beeinfluss­bar das Gehirn ist.“

 ??  ?? Das unmögliche Dreieck als Symbol für Irrational­ität
Das unmögliche Dreieck als Symbol für Irrational­ität
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria