Ein Sport, zwei Spiele, zwei Welten
Rugby. Im WM-Finale trifft England auf Südafrika. Danach spielen österreichische Amateure gegen Norwegen
Dieser Samstag wird ein langer für die immer größer werdende Rugby-Community in Österreich: Um 10 Uhr MEZ wird vor mehr als 72.000 Zuschauern in Yokohama das WM-Finale angekickt; England trifft auf Südafrika, die Nummer 1 der Weltrangliste spielt gegen die Nummer 2, der einmalige Weltmeister (2003) fordert den zweimaligen Champion (1995, 2007).
Rund drei Stunden nach Schlusspfiff werden um die 800 Fans am Sport-Club-Platz in Wien-Hernals sein, wenn Österreich um 15 Uhr auf Norwegen trifft; es geht um einen Top-Platz in der Europe Championship, Conference 2 North, das entspricht etwa der vierten Leistungsstufe in Europa. Für Österreich ist es die erste Partie, Norwegen hat zum Auftakt 3:44 gegen Dänemark verloren.
Zwei Spiele der gleichen Sportart – und doch zwei Welten, die kaum miteinander vergleichbar sind.
Massenphänomen
383.154 Rugby-Spieler sind in England registriert, gar 405.438 in Südafrika (siehe Grafik), rund 1.200 in Österreich. „In den großen Nationen spielen Vollprofis“, sagt Stiig Gabriel, der ehemalige österreichische Teamchef.
„Die Spieler wachsen dort mit dem Sport auf. Beginnend mit der Volksschule durchlaufen sie Nachwuchsprogramme, mit 15 bis 16 Jahren kommen sie in Akademien und werden an den Profisport herangeführt.“
Auf der anderen Seite ist Rugby in Österreich (und in Norwegen) ein Amateursport, getragen von Idealisten, Studenten, Angestellten, Arbeitern. Auch wenn schon 1912 erstmals das Rotationsellipsoid genannte Spielgerät vor großem Publikum über die Hohe Warte in Wien getragen wurde (zwei englische Teams zeigten eine Exhibition), Rugby in Österreich ist ein Nischenprogramm.
Spieler wie Max Navas, der Fly Half und Standardkicker der Steinböcke, sind die Ausnahme. Der Pilot in Ausbildung begann mit 14, er spielte in Berlin und verdiente als Spieler in Südafrika, Neuseeland und England sogar ein bisschen Geld. Und nun wird er am Samstag sein 43. – und letztes – Länderspiel bestreiten, weil ihn sein beruflicher Weg ins Ausland führt.
Auch das ist ein Problem des heimischen Teams: Weil sich Lebensplanungen oft ändern, ist es schwierig, eine eingespielte Mannschaft über Jahre zu formen. Immerhin, auf Norwegen hat sich das Team mit einem Camp in Faak am See vorbereitet. „In einer der professionellsten Atmosphären, die wir seit Langem hatten“, lobt Stefan Psota, die Nummer 8 in RotWeiß-Rot – übrigens die einzige Position, für die es nur eine Nummer und keine andere Bezeichnung gibt.
Arbeit vs. Sport
Schon seit 2015 spielt der Wiener auf den Britischen Inseln, er kam bis in die vierte Liga. Seit Ende seines MasterStudiums im September arbeitet der Jurist für eine Londoner Anwaltskanzlei „und mit einem Vollzeitjob ist ein Klub in der Nähe von Wohnung und Arbeit schon besser“. Und so siegte der 1,92 Meter große und 102 Kilo schwere 25-Jährige zuletzt mit Hampstead in der siebenten englischen Liga (London 2 North West) und wurde, wie www.hamhigh.co.uk berichtete, dank „eines sehr kraftvollen Auftritts mit donnernden Tackles“zum „Man of the Match“gewählt.
Stiig Gabriel ist zuversichtlich: „Langsam reift die erste Generation heran, die relativ früh angefangen hat. Von diesen Spielern erhoffen wir uns in den nächsten Jahren einen gewissen Schub.“
Einen Schub erhofft sich auch der entthronte Titelverteidiger: Neuseeland spielt am Freitag (10 Uhr, live Pro7MAXX) gegen Wales um Platz drei bei der WM.