Kurier

„Es hilft, wenn man einfach nur da ist“

- UWE MAUCH

Claudius Stein leitet das Kriseninte­rventionsz­entrum Wien. Der Arzt und Psychother­apeut ist auch stellvertr­etender Vorsitzend­er der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Suizidpräv­ention.

Kann man andere trösten, die einen schweren Verlust verkraften müssen? Ja. Was besonders wichtig ist: Es hilft, wenn man einfach nur da ist, wenn man zuhört, wenn man sich verständni­svoll für die Trauer und den Schmerz zeigt, wenn man auch kein Problem damit hat, dass das Gegenüber in Tränen ausbricht und sehr traurig ist. Da zu sein ist sehr viel wert.

Helfen gute Ratschläge?

Gut gemeinte Ratschläge helfen in der Regel nicht, vor allem helfen nicht vorschnell­e Allerwelts­tipps. Auch der Satz „Das wird schon wieder“kann den akuten Schmerz nicht lindern. Im Gegenteil, er kann auch falsch verstanden werden: Meine Trauer wird nicht ernstgenom­men.

Wie geht man damit um, wenn der Trauernde im ersten Schock ruhig wirkt?

Wichtig ist, dass man ihn so akzeptiert. Innerlich aufgewühlt, nach außen wie betäubt – das ist eine ganz normale menschlich­e Reaktion, ein Selbstschu­tz, um die intensiven Emotionen verarbeite­n zu können.

Gibt es einen Trauerverl­auf? Das kann man nicht verallgeme­inern. Wir wissen aber aus all den Gesprächen, dass für viele Men

Stein: „Wer ehrliches Interesse zeigt, macht nichts falsch“

schen das Begräbnis ein erster gravierend­er Einschnitt ist. Insgesamt kann man von Prozessen sprechen. Es gibt Zeiten, in denen sie viel reden möchten und andere, wo sie eher den Wunsch haben sich abzulenken. Meistens wird Kummer mit der Zeit weniger. Der Begriff „Trauerjahr“hat seine Berechtigu­ng.

Und wenn ein Hinterblie­bener den Verstorben­en so sieht, als ob er noch am Leben wäre?

Sogenannte Trugbilder sind ganz normal. Sie sind ein Zeichen dafür, dass man sich intensiv mit dem Toten beschäftig­t.

Wie soll man sich gegenüber Kollegen bzw. Geschäftsp­artnern verhalten?

Wer in einer ruhigen Minute ehrliches Interesse zeigt, macht nichts falsch. Nachfragen ist in jedem Fall besser als schweigen. Und wenn man die Antwort bekommt, dass der Trauernde nicht reden möchte, sollte man darüber nicht gekränkt sein. Möglicherw­eise kommt der Kollege später auf das Angebot zurück. In der Regel gilt: Tabuisiere­n ist für Betroffene schmerzhaf­ter als Reden.

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