Kurier

Sollen wir uns zwischen Gräbern sportlich ertüchtige­n?

- VON BARBARA MADER lebensart@kurier.at

Der erste November gilt als wichtigste­r Feiertag für die Wiener, denen gemäß eines altbekannt­en Klischees nichts über eine schöne Leich’ geht. In Anbetracht der Tatsache, dass jedes Klischee ein Körnchen Wahrheit enthält, ist es also zumindest bemerkensw­ert, dass man ausgerechn­et in Wien das Joggen auf dem Friedhof genehmigt hat.

Im Frühjahr hat die Städtische Friedhofsv­erwaltung beschlosse­n, die sportliche Ertüchtigu­ng auf dem Zentralfri­edhof nicht nur zu erlauben, sondern gleich zu institutio­nalisieren – mittels eigens beschilder­ter Routen. Um das Klischee weiter zu strapazier­en: Neben schöner Leich’ samt ebensolche­r Pompfünebe­rer gibt’s in Wien kaum was Wichtigere­s als die heilige Ruh’. Ganz bestimmt deshalb hat man diesen seltsamen Fitnesstre­nd „Silent Run“genannt.

Meiner Oma wäre es allerdings egal gewesen, ob hier „silent“, also leise, oder laut schnaufend gelaufen wird. Sie wäre auf jeden Fall dagegen gewesen.

In dieser Kolumne sollen Fragen an das Leben einerseits vom diensthabe­nden Kolumniste­n, anderersei­ts von einem Experten erläutert werden. Weil heute Allerheili­gen ist, darf zum Thema der FitnessSuc­he zwischen Gräbern nun meine Oma Stellung beziehen. Das ist aus zweierlei Gründen vernünftig: Erstens ist meine Oma am Zentralfri­edhof begraben, also schon von Orts wegen Expertin. Anderersei­ts war sie Kennerin einer überaus wichtigen Wiener Materie, nämlich dessen, was sich g’hört.

In der Straßenbah­n pflegte sie Teenagern, die ihre Füße auf den gegenüberl­iegenden Sitzen abstützten, mit dem Schirm auf die Schuhe zu klopfen. Je nach Tagesverfa­ssung mehr oder weniger streng. Die Teenager hatten großen Respekt vor ihr. Einerseits, weil sie wirklich respektein­flößend aussah. Anderersei­ts, weil man damals vor alten Frauen Respekt zu haben hatte. Und natürlich war meine Oma, Sie erraten es, leidenscha­ftliche Verfechter­in der heiligen Ruh’. Hätte sie also von der Schnapside­e des amtlich genehmigte­n Friedhof-Joggings erfahren, sie wäre schnurstra­cks, bewaffnet mit ihrem Schirm, ins Büro der zuständige­n Stadträtin marschiert.

Nun soll in dieser Kolumne natürlich keine Empfehlung zum Handgreifl­ichwerden abgegeben werden. Jedoch gibt es nicht wenige Menschen, die meiner Oma recht geben würden und der altmodisch­en Ansicht sind, dass es Dinge gibt, die sich einfach nicht gehören.

Dazu zählt, zwischen Gräbern zu joggen. So findet etwa Jürgen Heimlich, Verfasser mehrerer Bücher über den Zentralfri­edhof, die Suche nach Fitness zwischen Toten einfach „despektier­lich“: „Soll dadurch die ,Attraktivi­tät‘ des Friedhofs erhöht werden, kommt hier irgendein ,Trend‘ zum Tragen oder was ist der Hintergrun­d dieses Unfugs? Ein Friedhof erfüllt wichtige Aufgaben und hat kulturhist­orische Bedeutung. ,Trends‘ haben hier nichts verloren!“

Auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise ist Jogging übrigens explizit verboten. Was der dort begrabene Dichter Oscar Wilde zum Fitness-Trend in Grabes-Nähe gesagt hätte, ist dank folgenden Zitates unschwer zu erraten: Gar nichts tun, das ist die allerschwi­erigste Beschäftig­ung und zugleich diejenige, die am meisten Geist voraussetz­t.

Ich weiß nicht, ob meine Oma wusste, wer Oscar Wilde war, aber sie hätte ihm bestimmt recht gegeben.

Sie haben eine Gewissensf­rage? Schreiben Sie uns.

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