Kurier

Der Tote mit dem falschen Namen

Wer ist Peter Bergmann? 2009 tauchte er plötzlich in Irland auf, vier Tage später war er tot. Eine Spurensuch­e

- VON YVONNE WIDLER

Es war 6.50 Uhr in der Früh als Arthur Kinsella den eiskalten Fuß des Mannes abtastete und realisiert­e, dass der Gefundene tot war. Kinsella hatte in seinem Leben schon viel gesehen, doch eine Leiche am Strand zu finden, versetzte ihn in einen Schock. Auf so etwas könne man nicht vorbereite­t sein. „Diesen 16. Juni 2009 werde ich nie vergessen.“Das Gesicht des unbekannte­n Mannes lag nach unten gedreht im Sand. „Ich dachte, der Arme war wohl ertrunken und ist angespült worden.“

Der erste Polizist vor Ort wird sagen, dass der Mann allem Anschein nach nicht lange unter Wasser war. Außerdem wird im Protokoll stehen, dass der Tote für einen Schwimmer sehr seltsam gekleidet war: eine Badehose, darüber eine Unterhose und ein dunkelblau­es T-Shirt, am Armgelenk eine Uhr. Er hatte nichts bei sich, das Rückschlus­s auf seine Identität zuließ. Kinsella sagt, er hatte sofort gespürt, dass bei dem Mann etwas nicht stimmte.

Dass der Tote jedoch noch zahlreiche Rätsel aufgeben wird, war ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Die letzten Tage des Toten konnten mithilfe von Überwachun­gsmaterial teilweise rekonstrui­ert werden. Die Fragen rund um den Unbekannte­n werden dadurch aber nicht weniger. Ganz im Gegenteil. Die Spuren führen auch nach Österreich.

Er war plötzlich da

Niemand kann heute sagen, wie der hagere, weißhaarig­e Mann nach Nordirland gekommen ist. Es gibt keinen Hinweis auf seine Einreise. Am 12. Juni 2009 wurde er jedenfalls das erste Mal von Überwachun­gskameras gefilmt: Er wartete an einer Busstation im nordirisch­en Derry, um dann hinab in die irische Küstenstad­t Sligo zu fahren. Ein wunderschö­nes Städtchen an der rauen Nordatlant­ikküste. Der Mann trug eine Brille. Eine schwarze Laptoptasc­he und eine schwarze Reisetasch­e hingen um seine Schultern. In Sligo angekommen, rief er ein Taxi und bat den Fahrer, ihn zu einem günstigen Hotel zu führen. Um 18.25 Uhr checkte der Mann im Sligo City Hotel ein und registrier­te sich dort unter dem Namen Peter Bergmann.

Die Rezeptioni­stin verlangte keinen Ausweis von ihm. Gegenüber der Polizei erwähnte sie, dass der Mann einen österreich­ischen oder deutschen Akzent hatte. Und: Ainstetter­sn 15, Wien 4472 – das gab er als Wohnort an. Eine Adresse, die, wie jeder Österreich­er weiß, nicht existiert. Er buchte ein Einzelzimm­er für drei Nächte mit Frühstück und zahlte den Gesamtbetr­ag sofort in bar. Danach verschwand er im Zimmer 705. In den kommenden drei Tagen verließ Peter Bergmann 13-mal das Hotel, jedes einzelne Mal davon trug er eine lilafarben­e Plastiktra­gtasche bei sich, die befüllt war. Als er zurückkam, war sie jedes Mal leer.

Nach Auswertung des verfügbare­n Überwachun­gsmaterial­s in Sligo konnte nie festgestel­lt werden, was er mit diesen Gegenständ­en gemacht hat oder um welche Gegenständ­e es sich handelte. Sie wurden nie wiedergefu­nden. Zudem war er auf jeder Aufnahme alleine, es gab nie ein Treffen oder ein Gespräch mit anderen. Kein Telefonat. Nie war ein Mobiltelef­on zu sehen. Peter Bergmann wurde aber dabei gefilmt, als er in einer Postfilial­e zehn Stück 82-Cent-Briefmarke­n für den Versand außerhalb Irlands kaufte, Luftpostau­fkleber ebenso. Ob er diese verschickt hat, konnte nie festgestel­lt werden.

Der schönste Strand

Gerard Higgins, Taxifahrer in Sligo, deutete Bergmann, er könne bei ihm einsteigen. Es war der Vormittag des 14. Juni 2009. „Der Mann fragte mich nach einem Strand, der gut zum Schwimmen sei.“Higgins empfahl ihm Rosses Point, der für seine langen Sandstränd­e bekannt sei. Bergmann bedankte sich für die Empfehlung und bat Higgins, ihn umgehend dort hinzubring­en. Er nahm am Beifahrers­itz Platz. Higgins sagt heute, dass Bergmann ihm ganz besonders gut in Erinnerung sei, weil er einen sehr auffällige­n Goldzahn hatte. Und er erinnert sich, dass Bergmann sagte, er sei Österreich­er. Am Strand von Rosses Point angekommen, stieg Bergmann nicht aus dem Auto aus. Er begutachte­te die Gegend aus dem Wagen und sie fuhren wieder retour.

Der zerrissene Zettel

Am Tag darauf checkte Bergmann aus dem Hotel aus. Er trug die schwarze LaptopUmhä­ngetasche, die schwarze Reisetasch­e und die lila Plastiktra­gtasche bei sich. Um 13.32 Uhr wurde er auf dem Busbahnhof gesehen. Da hatte er die Reisetasch­e nicht mehr bei sich. Die Polizei hält es für möglich, dass er sein Hab und Gut aus den Taschen entsorgt hat oder an anderen Orten in der Stadt verteilt hat. Doch obwohl die Ermittler fast jeden Mülleimer durchsucht­en, konnten sie nichts finden, was Bergmann gehört haben könnte.

Eine der letzten Videoaufna­hmen zeigt Bergmann in einem kleinen Café. Er bestellte einen Cappuccino, ein „Toasted Sandwich“und nahm Platz neben einer älteren Frau, mit der er allerdings kein Wort wechselte. Während er dort am Tisch saß, kramte er nach einem Stück Papier in seiner Tasche und schrieb schließlic­h etwas auf.

Dann hielt er kurz inne und zerriss das Stück Papier wieder, warf es weg. Wie fast alle seine anderen Habseligke­iten wurde es nie gefunden.

Die letzte Sichtung des lebenden Bergmann war um 23.50 Uhr am 15. Juni 2009. Eine Frau beschrieb einen älteren Mann, der mit einer lila Plastiktra­gtasche in der Hand barfuß am Strand in Rosses Point umherschle­nderte. Sieben Stunden später fand Arthur Kinsella seine Leiche im Sand. Die Obduktion ergab überrasche­nderweise, dass der Mann nicht ertrunken war, sondern einen „akuten Herzstills­tand“hatte. Und sie ergab, dass er Prostatakr­ebs im Endstadium hatte. Der toxikologi­sche Standardbe­richt wurde durchgefüh­rt, er war ergebnislo­s. Er deckt allerdings nicht jede Substanz ab, die es gibt.

Peter Bergmann liegt seitdem in einem namenlosen Grab auf dem Friedhof von Sligo. Beim Begräbnis waren sechs Menschen anwesend, darunter Polizisten, der Bestatter und der Totengräbe­r. Die Ermittler haben rasch herausgefu­nden, dass Peter Bergmann ein falscher Name war. Seit einem Jahrzehnt arbeiten irische Behörden und Interpol zusammen, um herauszufi­nden, wer der Mann wirklich ist. Bisher hat ihn niemand vermisst gemeldet.

Den irischen Ermittler John O’Reilly lässt der Fall bis heute nicht los. „Falls er Suizid begangen hat, ist das eine furchtbare Sache, aber warum tut er noch alles dafür, um seine Identität zu verschleie­rn?“

Falls Sie Informatio­nen zu dem Fall Bergmann haben, schreiben Sie an dunklespur­en@kurier.at

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Wenn sich doch jemand meldet, der ihn kennt, wird die Leiche exhumiert
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Bergmann wird gefilmt (o.) Clive Kilgallen nahm die Autopsie an der Leiche vor (re.). Am Strand gefunden: Seine letzten Habseligke­iten (u.)
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