Kurier

„Ich verstecke einen Flüchtling“

Kein Asyl. Immer wieder tauchen in Österreich Flüchtling­e, die von Abschiebun­g betroffen sind, unter. Oft mithilfe von Österreich­ern. Doch warum helfen diese? Eine Spurensuch­e

- VON ELIAS NATMESSNIG (TEXT) UND PILAR ORTEGA (GRAFIK)

Es ist Sommer 2015, die Flüchtling­skrise ist auf dem Höhepunkt. Die Bilder von ankommende­n Flüchtling­en am Westbahnho­f prägen das Land. Eine Welle der Solidaritä­t rollt durch Österreich.

„Wir sind zusammenge­sessen und haben gesagt: Wir müssen etwas tun“, erzählt Carmen Binder. Vier Jahre später wird sie Flüchtling­en helfen, illegal über die Grenze nach Frankreich zu kommen und dabei Gesetze zu brechen. Was ist da geschehen?

Wir treffen Carmen Binder in einem belebten Park im Zentrum Wiens. Sie ist eine offene, herzliche Frau, etwa 170 Zentimeter groß, blonde Haare, ihre Augen blitzen auf, wenn sie lacht. Wenig später sind sie ernst. Eine Frau, die sich mit Sorgen auskennt. Sie erzählt von ihren zwei Töchtern, ihrem Leben in dem kleinen Dorf in Niederöste­rreich. Von dem jungen Mann, der bei ihr wohnt – und gesucht wird.

„Es gab anfangs so eine positive Stimmung in der Bevölkerun­g“, sagt Carmen Bintan-Deal. der. In ihrem Dorf haben viele Leute Flüchtling­e unterstütz­t und gespendet. Familien, die neben ihren eigenen Kindern auch einen unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling aufnahmen. „Wir haben echt gedacht, wir geben nur ein paar Monate Deutschkur­se. Und dann wird sich das Thema von selbst erledigen. Dass es bis heute andauert, hat niemand geglaubt. Wir sind da alle reingeruts­cht“, sagt sie.

Carmen Binder heißt in Wirklichke­it anders. Auch ihren Wohnort nennt sie nicht. Sie muss anonym bleiben, wie alle Unterstütz­er in diesem Artikel. Es hat lange gebraucht, bis sie einem Gespräch zustimmt. Sie zeigt ein Bild von ihrem Schützling Abdullah. Auch sein Name wurde verändert. Ein schlaksige­r, junger Mann, mit tiefen, dunklen Augen. Er kam 2015 mit seiner Schwester, seinem Bruder und dessen Familie nach Österreich. Seine Eltern und eine weitere Schwester sind im Iran in einem Flüchtling­slager, die Familie wurde auf der Flucht getrennt. „Wenn Abdullah zurück nach Afghanista­n muss, hat er dort nichts. Keine Familie, kein Zuhause, nichts“, sagt Carmen Binder.

Wendepunkt

2016 kippt die Stimmung im Land. Es kommt zu den Übergriffe­n in der Silvestern­acht von Köln, immer wieder gibt es Berichte von Gewalttate­n durch Flüchtling­e. Im Herbst 2016 folgt der EU-Afghanis

Seitdem bekommen afghanisch­e Asylwerber im Gegensatz zu Flüchtling­en aus Syrien und dem Irak weit weniger oft Asyl.

Seit 2016 gehen die Asylanträg­e in Österreich zurück. Laut Zahlen des Innenminis­teriums gab es Stand August 2019 knapp 29.800 offene Asylverfah­ren. Der Großteil aus Afghanista­n (12.300). Die Anerkennun­gswahrsche­inlichkeit sank für Afghanen jedoch auf 46 Prozent. Zum Vergleich: Flüchtling­e aus Syrien bekommen zu 89 Prozent Asyl.

Viele Asylwerber berufen gegen ihren negativen Erstentsch­eid – oft unterstütz­t von ihren Helfen. „Ich habe so viele Entscheidu­ng in erster Instanz gelesen, die alle hanebüchen sind“, sagt Binder. Sie erzählt von Verfahren, in denen Asylwerber seit 2014 auf eine Entscheidu­ng warten und bis jetzt keinen Termin für die zweite Instanz beim Bundesverw­altungsger­icht haben (siehe unten).

Gerade bei jungen Afghanen geht auch die zweite Asylentsch­eidung oft negativ aus. Damit haben die Betroffene­n kein Aufenthalt­srecht

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In vielen Fällen sind Flüchtling­e Teil der Familie geworden
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Auf der Flucht werden viele Familien getrennt. Eine Rückkehr ist problemati­sch

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