Kurier

Wo die Menschheit entstand

Evolution. Warum die Geburtsstä­tte des modernen Menschen wohl doch nicht in Botswana liegt, wie eine Forschergr­uppe behauptete, und was Genetiker aus der DNA herauslese­n können

- VON S. MAUTHNER-WEBER

Warum es die eine Urheimat der Menschen nicht gibt.

Üppig und grün – der Platz muss beeindruck­end gewesen sein: Wir befinden uns südöstlich des OkawangoDe­ltas im Nordwesten der Kalahari an einem gigantisch­en Gewässer doppelt so groß wie der Victoriase­e. Und wir schreiben etwa 200.000 vor unserer Zeit. Hier – im Nordosten Botswanas – kam damals die Ur-Eva zur Welt. Hier soll – glaubt man australisc­hen Forschern – die Wiege der Menschheit gestanden haben. Etwa 70.000 Jahre lang lebten die ersten Homo sapiens sapiens in dieser Gegend, ehe sie durch klimatisch­e Veränderun­gen gezwungen wurden, in andere Gebiete abzuwander­n. Zunehmende Luftfeucht­igkeit hätte dafür gesorgt, dass in den trockenen Regionen grüne Korridore entstanden, durch die die Menschen zuerst nach Nordosten und später nach Südwesten abwandern konnten. Erst dadurch sei vor 200.000 Jahren die Ausbreitun­g des modernen Menschen über Afrika und die ganze Welt möglich geworden.

Zeitkapsel

So beschrieb es die australisc­he Genetikeri­n Vanessa Hayes unlängst in ihrer im Fachmagazi­n Nature veröffentl­ichten Studie. Woher sie das weiß? Sie hat Blutproben von 1.217 Khoesan, Mitglieder einer Bevölkerun­gsgruppe im Südwesten Afrikas, untersucht und dann die DNA der Mitochondr­ien analysiert. Diese DNA wird immer nur von der Mutter zum Kind weitergege­ben und verändert sich nur schwach. „Mitochondr­iale DNA ist wie eine Zeitkapsel unserer Vorfahrinn­en“, sagt Hayes. Mithilfe dieser DNAAnalyse­n, linguistis­chen und geografisc­hen Daten sowie Klima-Modellen haben die Forscher die Wiege des modernen Menschen südlich des Flusses Sambesi verortet: „Zusammenge­nommen denken wir, dass das südliche Afrika der Ursprung der anatomisch modernen Menschen ist.“

Kritik

Mittlerwei­le hagelt es aus der anthropolo­gischen Community aber Kritik an Studiendes­ign und Resultaten. Grund genug, um beim Archäogene­tiker Stephan Schiffels vom Max-Planck-Institut für Menschheit­sgeschicht­e in Jena

Begonnen hat alles in den frühen 1980er-Jahren mit einer 2.400 Jahre alten ägyptische­n Kindermumi­e. Der damalige Doktorand Svante Pääbo hatte sich in den Kopf gesetzt, deren DNA zu extrahiere­n – ein scheinbar aussichtsl­oses Unterfange­n. Denn nur ein winziger Anteil der DNA in einem Knochenfra­gment ist alt, manchmal weniger als 0,1 Prozent. Der Rest stammt von Bakterien und Pilzen, außerdem zerfällt der DNAStrang mit der Zeit in kleine Stücke. Auch ist die Gefahr sehr groß, dass die Probe bei jedem Kontakt mit „moderner“DNA verunreini­gt wird.

Hartnäckig überwand Pääbo alle Hinderniss­e, entwickelt­e

nachzufrag­en, warum die Untersuchu­ng derart angegriffe­n wird, wie der moderne Mensch die Welt tatsächlic­h erobert hat und welchen Beitrag Erbgut-Analysen leisten können.

Herr Dr. Schiffels, was stört Sie an der Studie?

Dass unsere Spezies vor 200.000 Jahren entstand, ist bereits widerlegt. Es war ein langsamer Prozess, der über viele Hunderttau­send Jahre ablief. Außerdem ist der älteste Schädel, den man eindeutig dem modernen Menschen zuordnen kann, 315.000 Jahre alt und stammt aus Marokko und nicht aus dem südlichen Afrika. Am meisten stört mich aber, dass Forscher überhaupt auf die Idee kommen, der Mensch könnte irgendwo eine Urheimat gehabt haben. Das weise ich zurück. Es ist extrem unwahrsche­inlich, dass unsere gesamten Vorfahren zu irgendeine­m Zeitpunkt in einem bestimmten kleinen Raum in Afrika gelebt haben.

Genetikeri­n Vanessa Hayes hat also im besten Fall die Urheimat dieser einen Frau hergeleite­t?

Richtig! Und die der vielen anderen Vorfahren eben nicht. Selbst wenn man das könnte, würde das null darüber aussagen, wo die Vorfahren der modernen Menschen herkommen, denn das sind Tausende und Abertausen­de. Die Ur-Eva aus

Botswana, wenn man sie so nennen will, ist nur eine von vielen, andere könnten im heutigen Kenia gelebet habe, in Äthiopien, in Tansania, in Marokko ... Die Menschheit hatte viele Wiegen.

Sie und viele Ihrer Kollegen finden es sogar wissenscha­ftlich unseriös, nach der einen Urheimat zu suchen ...

Wenn uns die Genetik in den vergangene­n Jahren eines gelehrt hat, dann, dass unsere Menschheit­sgeschicht­e eine sehr komplizier­te Netzwerkst­ruktur hat. Und dass auch andere Regionen, nicht nur Afrika, eine Rolle gespielt haben – etwa Europa: Man denke nur daran, dass auch Neandertal­er-Gene in uns stecken.

Die aktuelle kritisiert­e Studie fußt ausschließ­lich auf der DNA heute dort lebender Menschen. Ein Problem?

Ohne alte DNA kann ich überhaupt keine Informatio­n herleiten. Moderne DNA eignet sich dafür, Stammbäume zu erstellen. Man kann ablesen, wann Menschengr­uppen sich voneinande­r getrennt haben und wer mit wem verwandt ist. Auch, wo Menschen mit einer bestimmten genetische­n Ausstattun­g früher gelebt haben. Das Einzige, was man mit Sicherheit ableiten kann: Die Menschen haben sich bewegt. Immer. Wohin genau, lässt sich aus dem Genom aber nicht sagen.

Was kann man aus alter DNA ablesen?

Alte DNA ist ein wunderbare­s Tool, um direkt in die Vergangenh­eit zurückzusc­hauen. Leider ist der Erhaltungs­zustand von alter DNA ausgerechn­et in Afrika aufgrund der klimatisch­en Bedingunge­n meist schlecht. Das älteste vorgeschic­htliche menschlich­e Genom aus Afrika stammt von einem Mann, der vor 4.500 Jahren im heutigen Äthiopien gelebt hat. Da reden wir also überhaupt nicht von der Zeit, in der die Wiege der modernen Menschen stand, sondern von einer, in der wir bereits den Ackerbau erfanden.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria