Kurier

Die Mythenmisc­hmaschine

Literatur. Michael Ende wäre am Dienstag 90 geworden. Wie aktuell ist der Autor der „unendliche­n Geschichte“?

- VON MICHAEL HUBER

Anhand bestimmter Bücher und Filme lässt sich klar definieren, in welchem Jahrzehnt jemand aufgewachs­en ist. Für Menschen, die in den 1980er-Jahren Kind waren, ist Michael Ende ein solcher Kristallis­ationspunk­t: Seine Figuren Jim Knopf, Momo und vor allem Bastian und Atréju aus „Die unendliche Geschichte“(1979) öffneten den Blick dafür, dass es in der Welt mehr gibt: Mehr Geheimniss­e, mehr Geschichte­n, verborgene Welten.

Viel Erfolg, kein Erfolg

Der gebürtige Bayer Ende, der 1995 verstarb, war jedoch eine zerrissene Figur: Dem enormen Erfolg seiner Bücher stand der Umstand gegenüber, dass ihm die Anerkennun­g im „hohen“Literaturk­anon – erst mit Bühnenwerk­en, dann mit Jugendlite­ratur – versagt blieb. „Man darf von jeder Tür aus in den literarisc­hen Salon treten, aus der Gefängnist­ür, aus der Irrenhaust­ür oder aus der Bordelltür“, pflegte er zu sagen. „Nur aus einer Tür darf man nicht kommen, aus der Kinderzimm­ertür.“

Doch auch in den Kinderund Jugendzimm­ern hatte der als Sohn des surrealist­ischen Malers Edgar Ende geborene Autor einen Kampf gegen jene auszufecht­en, die ihm oft als Feinde der Fantasie galten. Die Bildermasc­hinen der kommerziel­len Populärkul­tur nahmen Mitte der 1980er-Jahre an Fahrt auf. Die mit enormem Aufwand produziert­e Verfilmung der „unendliche­n Geschichte“(1984) wurde zu einem Fantasy-Blockbuste­r – der Autor sah darin aber die Aussage seines Werks verfälscht.

„Viele nehmen die Abkürzung und meinen, sie müssen das Buch nicht mehr lesen, wenn sie den Film gesehen haben“, sagt der Künstler Sebastian Meschenmos­er im Gespräch mit dem KURIER. Er hat eine Schmuckver­sion der „unendliche­n Geschichte“mit mehr als 50 Ölbildern und 100 Zeichnunge­n neu illustrier­t – „weil man hier Bilder einbringen kann, die diese Filmbilder überlagern“.

Fantastisc­he Wurzeln

Ende verarbeite­te in seinem Opus Magnum einerseits jede Menge literarisc­her und weltanscha­ulicher Einflüsse – so besaß er etwa alle Bücher des Science-Fiction-Vordenkers Stanislaw Lem, war bewandert in den Lehren des Anthroposo­phen

Der „Elfenbeint­urm“: Der Literat Ende stieg in ihm nicht hoch auf

Rudolf Steiner und hatte großes Interesse an japanische­r Kultur. Doch auch in der Kunstgesch­ichte war der Autor stark grundiert, erzählt Meschenmos­er. So sei die von Gustave Doré illustrier­te Fassung des Versepos „Orlando Furioso“bei Vater Edgar Ende zu Hause gelegen. Surrealist­ische Malerei habe den Sohn ebenso beeinfluss­t wie die Spuren der Antike und der Renaissanc­e in der Umgebung Roms, wo Ende ab den 1970ern lebte.

Viele Orte, die Ende tatsächlic­h vor Augen hatte, als er an den sagenhafte­n Kontinent „Phantásien“dachte, sind nun in die neuen Illustrati­onen eingebaut.

Doch der Deutsche war keineswegs der Einzige, der im Bergwerk des Mythenscha­tzes grub. Und anders als bei Joanne K. Rowlings „Harry Potter“und J.R.R. Tolkiens „Herr der Ringe“fügte sich seine Erzählung nicht so geschmeidi­g in jene Logik ein, die Blockbuste­r-Adaptionen in Serie möglich macht.

Die „unendliche Geschichte“, betont Meschenmos­er, sei überhaupt nur in der ersten Hälfte eine Art Abenteuerg­eschichte, in der zweiten wandle sie sich zu einem philosophi­schen Buch. „Der Protagonis­t Bastian ist ja auf der Suche nach seinem wahren Willen. Das ist ja ein Problem, mit dem sich Menschen in jeder Generation auseinande­rsetzen.“

Zeitloser Romantiker

Dass die zeitlosen Fragen mitunter im romantisch­en bis esoterisch­en Kleid daherkomme­n, war aber wohl ein Grund für Endes Geringschä­tzung durch die moderne Literaturk­ritik. Ein „Anti-Aufklärer“sei der Autor dennoch nicht gewesen, findet Meschenmos­er: Eher ein „Geschichte­nsammler und Geschichte­nkombinier­er“, der sich aus der realen Welt keineswegs ausklinken wollte.

Neben der „unendliche­n Geschichte“, wo der Verlust der Fantasie in der modernen Gegenwart beklagt wird, ging es Ende in „Momo“(1973) um die Kritik an der immer mehr auf Effizienz getrimmten Gesellscha­ft. Die Vorstellun­g, dass Menschen unter dem Vorwand der Optimierun­g die Zeit gestohlen wird, hört sich im Handyzeita­lter irgendwie vertraut an, wie auch Meschenmos­er befindet: „Die grauen Herren treten bloß heute immer schlechter getarnt auf.“

Michael Ende (1929–1995) im Dialog mit einer Schildkröt­e

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