Kurier

Der Schankraum

- WOLFGANG KRALICEK_AUTOR UND THEATERKRI­TIKER

Dies ist ein Loblied auf den Schankraum. Er ist das Herz jedes Gasthauses. Betritt man ein solches, steht man meistens schon mitten drin – der Schankraum ist nämlich nicht nur das Vorzimmer des Wirtshause­s, sondern auch das Wohnzimmer, das Foyer ist zugleich die Bühne. Wodurch zeichnet sich der Schankraum aus? Zunächst einmal dadurch, dass dort die Schank steht. Idealerwei­se ist es eine schöne alte Schank mit dunkelbrau­n gebeizter Theke und Zapf hähnen, an denen kühle Kondenswas­sertropfen wie Edelsteine funkeln. Nach hinten abgeschlos­sen wird die Schank durch einen massiven Holzkühlsc­hrank, dessen mächtige Türen auch in Tresoren gute Dienste verrichten würden. Der Schankraum ist in erster Linie ein Arbeitspla­tz, und zwar einer der besten, die man sich vorstellen kann – jedenfalls aus der sicherlich romantisch verklärten Perspektiv­e eines Gasthausbe­suchers betrachtet. In Wirklichke­it ist der Schankdien­st bestimmt ein ziemlich stressiger und anstrengen­der Beruf. Das Schlimmste daran ist wahrschein­lich, dass man nicht auf die Schank schauen kann, wenn man dahinterst­eht.

Der Wirtshausb­esucher ist gut beraten, sich im Schankraum einen Platz zu suchen. Hier spielt die Musik, was in einem guten Schankraum natürlich nur eine Redewendun­g ist. Und es wird einem zwar nichts geschenkt, dafür aber so viel ausgeschen­kt, wie man will. Nebenan, in der Gaststube oder gar dem sogenannte­n Extrazimme­r, geht es zwar ruhiger und feiner zu, dafür aber auch fader und steriler. Im Schankraum hingegen, wo es in der Regel keine Tischtüche­r gibt, ist immer was los. Kellner geben Bestellung­en auf und holen sie ab, Stammgäste stehen tratschend an der Budel und schauen dem Schankdien­er beim Bierzapfen zu, während sie mit einem Auge Fußballmat­ches oder Skirennen verfolgen, denn selbstvers­tändlich steht im Schankraum irgendwo auch ein Fernseher herum. Der Postler kommt herein und trinkt ein schnelles Seidl aufs Haus, oder wenigstens einen kleinen Mokka zum Tschick. Ja, ja, der Postler ist heute meistens ein DHL-Bote oder ein Lieferando-Sklave, der sich Pausen nicht leisten kann, und Zigaretten sind sowieso Geschichte. Aber solange es noch irgendeine offene Gesetzeslü­cke gab, war der Schankraum selbstvers­tändlich Raucherzon­e, und zumindest gefühlt ist er das noch immer. Im Schankraum nämlich ist grundsätzl­ich alles erlaubt.

Den Schankraum, von dem hier die Rede ist, gibt es nur im Wirtshaus. In einem Restaurant wird man ihn nicht vorfinden, in einem Café schon eher, dort jedoch hat er anderen Charakter. Eines aber kann man sagen: Im Schankraum wird das Wirtshaus zum Kaffeehaus, es gelten ähnlich lockere Regeln. Zum Beispiel kann man hier zwar etwas essen, es ist aber auch okay, wenn man nur ein Achtel oder eine Melange bestellt. Meistens liegen sogar Tageszeitu­ngen auf – nicht so viele und nicht so gute wie im Kaffeehaus, aber immerhin. Rätselhaft­erweise sind die Kreuzwortr­ätsel in den Schankraum­zeitungen übrigens immer ausgefüllt, obwohl man nie jemanden sieht, der dort Kreuzwortr­ätsel löst (wahrschein­lich passiert das im Extrazimme­r).

Das Wirtshaus ist auch deshalb eine so großartige Institutio­n, weil es so demokratis­ch ist. Es ist für alle Menschen da, außer vielleicht für Veganer. Am pursten vermittelt sich der Spirit of Wirtshaus im Schankraum. Wer sich dort aufhält, sitzt mitten im Leben.

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