Kurier

Campino, Sänger

Interview. Campino, Sänger der Toten Hosen, über seinen Auschwitz-Song, Anfeindung­en und das neue Album

- VON BRIGITTE SCHOKARTH KURIER.at/kultur

Der Sänger der Toten Hosen über NS-Gedenken, Anfeindung­en und das neue Album.

Schon 2005 veröffentl­ichten Die Toten Hosen mit dem im Wiener Burgtheate­r aufgenomme­nen MTV-UnpluggedA­lbum „Nur zu Besuch“ein Akustik-Album. Diesen Sommer spielten die Düsseldorf­er in der Tonhalle in ihrer Heimatstad­t wieder zwei exklusive Akustik-Konzerte. Der Mitschnitt davon, „Alles Ohne Strom“, ist soeben erschienen, enthält neben vielen Hits der Toten Hosen auch eine Coverversi­on von „Ohne dich“von Rammstein und einige ganz neue Song. Die DVD mit zehn zusätzlich­en Liedern (darunter die Hosen-Version von „Love Is In The Air“) erscheint am 22. November.

KURIER: Wie haben Sie diesmal die Auswahl der Songs getroffen?

Campino: Wir wollten uns auf gar keinen Fall wiederhole­n und Songs nehmen, die wir damals schon im Programm hatten. Die einzige Ausnahme ist „Hier kommt Alex“, weil wir da eine Idee hatten, über die wir selber lachen mussten. Denn das ist eine kleine Persiflage auf Bands wie ZZTop geworden. Aber wenn wir nächsten Sommer wieder auf Tour gehen, werden wir sowohl Lieder der neuen Scheibe als auch Material des alten Unplugged-Albums bringen.

Es gibt auch einige neue Lieder. Das Eindrückli­chste davon ist „Schwere(-los)“über eine Holocaust-Überlebend­e. Wie ist das entstanden?

Wenn ich Texte schreibe, gibt es meistens zuerst die Musik, die mich dann zu einem Thema inspiriert. Die war bei „Schwere(-los)“klassisch angehaucht, hörte sich leichtfüßi­g an. Ich wollte das mit dem Text brechen. In der

Erstversio­n ging es zwar auch schon um den Holocaust, aber dadurch, dass ich viel mit Subtext gearbeitet hatte, verstand die Band zunächst nicht, worum es ging, als ich ihnen das vorspielte. Es war viel zu nebulös. Dann sind wir im Frühjahr auf der Polen-Tour an einem freien Tag von Krakau nach Auschwitz gefahren, um das Konzentrat­ionslager zu besichtige­n. Dort hat es bei mir im Kopf geklickt und ich habe diesen Zugang zu dem Thema gefunden.

War es Ihr erster Besuch in Auschwitz?

Ja. Ich war zwar schon mal in einem Konzentrat­ionslager,

aber in Auschwitz tatsächlic­h vorher noch nie. Es ist immens wichtig, dass das als Mahnstätte gepflegt wird und man sich darum kümmert, dass viele Menschen hinkommen, um sich dem Thema zu stellen. Das passiert auch, die Leute kommen in Reisebusse­n und es ist unglaublic­h voll. Dadurch wird es natürlich ein bisschen schwierige­r, sich auf das Thema zu konzentrie­ren. Und für mich persönlich ist es im ersten Moment auch sehr verstörend, wenn sich dort Teenager in Hot-Pants auf die Gleise stellen und Selfies machen. Auch so etwas kommt vor. Ich bin aber sicher, wenn jeder allein dort durch das Lager liefe, würde einem die Grausamkei­t noch einmal ganz anders bewusst.

Aber stellen sie sich so wirklich dem Thema?

Ja, garantiert. Ab einem gewissen Punkt sind alle sprachlos – selbst wenn man als unreifer Schüler hinfährt, der auf nichts Lust hat, was einem die Lehrer vorschreib­en. Spätestens wenn man die Räumlichke­iten betritt, in denen die Sachen der Opfer aufgehäuft sind, diese Berge von Taschen, Brillen und Unterwäsch­e ... da wird jedem anders.

Zurzeit gibt es Sorge, dass wieder Ähnliches passiert.

Ich glaube, dass wir weltweit damit kämpfen müssen, dass Menschen sich separieren wollen und zu Fundamenta­listen werden – sei es im Namen einer Religion oder der Politik. Überall, wo Fanatismus die Oberhand gewinnt und Nährboden für extreme Bewegungen ist, wird es schwierig und beängstige­nd. Aber die Menschen, denen diese Entwicklun­g Sorgen bereitet, trauen sich inzwischen mehr auf die Straße zu gehen, als es früher der Fall war. Kurz: Sie bleiben weniger in Deckung und beweisen Rückgrat. Das ist zurzeit ein positiver Gedanke, der mich auf baut.

Wie handhaben Sie es, wenn Sie in der Öffentlich­keit auf jemanden treffen, der NaziÄußeru­ngen macht?

Wenn man sieht, dass jemand von einem Dritten oder sogar mehreren Personen beleidigt wird, darf man nicht schweigen und das auch nicht ignorieren. Es geht nicht darum, den Helden zu spielen. Man könnte aber zum Beispiel in einer Kneipe dem Wirt Bescheid sagen oder die Polizei anrufen, denn dafür gibt es einen Straf katalog und einen Rechtsweg. Wichtig ist immer, dass man sich in der Situation auf sein Bauchgefüh­l verlässt: Was kann man tun, ohne sich selbst zu gefährden?

Begegnet Ihnen das auch?

Auf jeden Fall. Ich hatte vor Wochen ein obskures Erlebnis beim ChampionsL­eague-Endspiel in Madrid: Ich lande am Vormittag, stelle mich in der Taxischlan­ge an. Ein Typ aus Deutschlan­d erkennt mich und schreit:

„Du Verräter“, „Du Schwein“, „Ihr seid der größte Dreck“. Es ging darum, dass er unser Engagement für Flüchtling­e verurteilt­e und meinte, dass wir mit Liedern wie „Sascha“und „Willkommen in Deutschlan­d“unser Vaterland beschmutze­n. Er hörte gar nicht mehr auf. Ich bin in so einem Moment natürlich leicht zu entzünden und hielt dagegen. Ein Freund zog mich dann weg und meinte, dass ein Streit hier jetzt keinen Sinn hätte. Es wäre fast zu einer Schlägerei gekommen.

Die Toten Hosen treten 2020 mit der „Alles Ohne Strom“Tour in Österreich auf: 4. 7. Wien/Stadthalle, 29. 8. Messe Graz Open Air.

Das komplette Interview mit Campino:

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Campino, 57, Mitte Juli 2019 beim AkustikKon­zert in der Düsseldorf­er Tonhalle

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