Voll im Trend: Spielen ist kein Kinderkram
Kinder spielen 15.000 Stunden, aber auch Erwachsene genießen mehr analoge Spiele. Was macht uns Spaß, und wie prägen Spiele unsere Intelligenz? Und: die Top-Neuerscheinungen.
Rund 1500 Spiele werden jedes Jahr auf den Markt gebracht und noch viel mehr neu erfunden. Man könnte meinen, dass TV, Handy und Computer das gute alte Gesellschaftsspiel abgelöst haben. Aber nein: Gerade verzeichnete die deutsche Spielemesse in Essen einen Besucherrekord – und auch das österreichische „Spielefest“findet nach drei Jahren Pause am kommenden Wochenende wieder statt.
Was die Faszination des Spielens ausmacht, erklärt der erfolgreiche Spielentwickler Arno Steinwender: „Man kann in ein Abenteuer eintauchen, die Fantasie spielen lassen, sitzt mit Menschen zusammen – und wenn man einen guten Spielzug macht, ärgert sich der andere.“
Ohne Spielen kann die Menschheit tatsächlich nicht leben: Schon in der Steinzeit spielten Kinder mit speziell bearbeiteten Steinen, Knochen und Tonfiguren, bewiesen Wissenschafter. Im alten Ägypten waren ausgefeilte Brettspiele wie Dame beliebt. Ende des 18. Jahrhunderts wurde erstmals erzieherisch wertvolles Kinderspielzeug entwickelt.
Spielen macht klüger
In zahlreichen Studien wurde erforscht, wie sich das Spielen auf Menschen auswirkt, und es ist tatsächlich ein Allheilmittel. Kinder, die miteinander gespielt haben, sind eher bereit, ihre Dinge zu teilen – auch mit fremden Kindern, erforschte die Uni Leipzig. Gesellschaftsspiele schaffen eine Verbindung über die Generationen und werden auch in der Demenzprävention eingesetzt. Schach fördert nachweislich die Intelligenz, belegte eine Studie der Uni Trier: Die Schüler machten mit einer Schulstunde Schach pro Woche deutliche Fortschritte in Mathematik, Lesen und Sprachverständnis und waren doppelt so gut wie andere. Vor allem leistungsschwache Kinder profitierten davon, waren die Forscher rund um die Psychologin Sigrun-Heide Filipp beeindruckt. Die Kinder hatten eine bessere Konzentrationsfähigkeit und strukturierteres Denken. Sie lernen beim Schach, erst zu überlegen und dann zu handeln, ist eine Erklärung der Wissenschafter.
Ein Volksschullehrer nützte sogar das FantasySpiel „Die Legenden von Andor“als Inspiration für seinen Deutsch-Unterricht: Er ließ die Schüler das Spiel spielen, bei dem sie in die Rolle von Helden schlüpfen und das Land Andor retten. In weiterer Folge erfanden die Schüler kreative eigene Geschichten zum Spielverlauf, schrieben sie nieder und sprachen sie als Hörgeschichten ein. Passend dazu gab es auf der Essener Spielemesse heuer erstmals einen „Educators Day“für engagierte Lehrer.
Doch nicht nur Kinder lieben Gesellschaftsspiele, zeigt eine deutsche Studie: Fast zwei ein Drittel der Erwachsenen spielen Gesellschaftsspiele, ein Drittel sogar häufig. Die Umsätze sind in den vergangenen fünf Jahren um 40 Prozent gestiegen, meldete der deutsche Branchenverband.
Dessen Vorsitzender Hermann Hutter
nennt Spiele „das analoge Gegengift zur Digitalisierung“. Familien-Strategiespiele und klassische Erwachsenenspiele wurden um jeweils 14 Prozent mehr gekauft, auch Logik-Spiele wurden stärker nachgefragt.
Franka Meusel von Spielkonzept4u beobachtet diesen Trend bei den Messen: „Die Besucher haben immer höhere Ansprüche. Es geht nicht nur um leichte Familienspiele, sondern sie lassen sich auch auf komplexe und längere Spiele ein und auf Themen wie Fantasy, Geschichte oder Weltall.“
Neue Ideen
Was ist sonst gefragt? Steinwender: „Kooperative Spiele, bei denen man miteinander spielt. Seit ein paar Jahren boomen Exit-Spiele, bei denen man wie im EscapeRoom Probleme löst. Würfelund Kartenspiele kommen und gehen je nach Mode.“Im Vorjahr sorgte Erfinder Wolfgang Warsch mit seinem Kartenspiel „The Mind“für eine Sensation. Die Spieler müssen sich aufeinander einstellen und fast wortlos ihre Karten nach steigendem Wert ablegen. Nie erforderte ein Spiel mehr Einfühlungsvermögen.
Wieder beliebter sind Quizspiele, weiß Steinwender aus eigener Erfahrung: „Mein neues Spiel ’Quiz It’ wollte zehn Jahre lang kein Verlag nehmen, weil es immer hieß, dass die Leute Quiz am Handy spielen. Aber das stimmt nicht. Viele Leute wollen gerne zusammensitzen und das Handy mal weglegen.“
Aber nicht ganz, stellt die österreichische Start-upFirma Rudy Games fest.
In ihren bisher fünf Spielen kombiniert sie den Spaßfaktor von Brettspielen mit den interaktiven Möglichkeiten einer App, genannt Hybrid-Games, und holt so Kinder- und Jugendliche zurück
an den Spieltisch. Man braucht keine Spielanleitung zu lesen, denn die App erklärt das Spiel, oder man sieht es sich auf YouTube an, Fragen stellt man per WhatsApp. Der Vorteil: „Bei einem Quiz sind die Fragen irgendwann veraltet. So kann man sie aktualisieren.“
Der Markt werde dichter, weil für jedes Spielersegment spezielle Spiele entwickelt werden, so Steinwender. Immer öfter holen sich Erfinder die Finanzierung direkt von den Spielern: Über die CrowdfundingPlattform Kickstarter bekamen sie im Vorjahr 150 Millionen Euro für künftige Brett- und Kartenspiele.