Als würde die Haut abgezogen
Martina Gedeck ist heute (20.15) in Elisabeth Scharangs Film „Herzjagen“zu sehen
Dass starke Frauen in berührenden Dramen zu ihren schauspielerischen Spezialitäten zählen, zeigt Martina Gedeck einmal mehr in „Herzjagen“von Elisabeth Scharang (heute, Mittwoch, 20.15 Uhr in ORF2).
Sie spielt eine verheiratete Frau, die nach einer Herzoperation nur schwer zurück ins Leben an der Seite ihres Ehemannes (Rainer Wöss) findet. Einen Cameo-Auftritt im Film hat übrigens die Schriftstellerin Julya Rabinowich, deren Roman „Herznovelle“als literarische Vorlage diente. Für die Autorin, Journalistin und Regisseurin Elisabeth Scharang war der Film – um bei jenem Organ zu bleiben, das seit Urzeiten als Metapher für Mut, Seele, Gefühle und Leidenschaften gilt – so etwas wie eine „Herzensangelegenheit“. Die Hauptdarstellerin und die Regisseurin im Interview.
KURIER: Frau Gedeck, Sie spielen in diesem Film eine emotional-schwierige Rolle
– eine Frau, die mit einer Verwirrung ihrer Gefühle zu kämpfen hat. Man hat den Eindruck, dass Sie diese Rolle nicht spielen, sondern viel von sich selbst preisgeben. Wie schwierig war das für Sie?
Martina Gedeck: Wenn man sich hineinbegibt in die Ängste und Verzweiflung dieser Frau und da nicht mit der beruflichen Routine herangeht
– die ich natürlich aufgrund meiner langen Berufserfahrung auch abrufen könnte – dann ist das schon ein großes Wagnis. Das ist so, als würde die Haut abgezogen von dieser Frau. Ihre Nerven liegen blank, und sie hat keine Schutzmechanismen mehr. Und wenn das Ganze auch für das Publikum ehrlich wirken soll, dann kann ich mich beim Spielen nur voll und ganz hineinbegeben in diese Person und hoffen, dass ich dabei gut begleitet werde. Ohne Vertrauensverhältnis zur Regisseurin wäre das nicht möglich gewesen.
Hat Ihnen, Frau Scharang, dabei geholfen, dass Sie eigentlich vom Dokumentarfilm kommen? Haben Sie dadurch ein besseres Gespür für „richtige Menschen“entwickelt?
Elisabeth Scharang: Ich bin in den letzten Jahren immer mehr draufgekommen, dass es eigentlich egal ist, ob ich Radio-Interviews, Dokumentationen oder Spielfilme mache. Es geht mir dabei immer vor allem um die Menschen und ihre Geschichten. Interessant ist, dass ich dabei mehr und mehr erkannt habe, dass jeder Film – auch ein inszenierter Spielfilm – sehr viel von mir preisgibt. Dazu kommt, dass mir Schauspielerinnen und Schauspieler bei Dreharbeiten erzählen, dass ihre Rollen auch sehr viel mit ihnen selbst zu tun haben. Offenbar gibt es einen menschlichen Nenner, der uns allen gemeinsam ist.
Gibt es da so etwas wie eine Schlüsselszene für die Entdeckungen, die Sie gemeinsam mit Martina Gedeck hatten?
Scharang: Ja, da gibt es die Szene, in der die von Martina Gedeck gespielte Caroline Binder dem Arzt, der sie am Herzen operiert hat, durch einen Markt nachläuft. Wir haben diese Szene am Brunnenmarkt gedreht und da kommt Caroline an einer Straßensängerin vorbei und beginnt mit ihr zu singen. Dieses Zusammenspiel der beiden Frauen war fast durchwegs improvisiert, und da braucht man schon eine Schauspielerin und auch einen Kameramann, die sich gemeinsam darauf einlassen. Gedeck: Für mich hat sich die Szene so angefühlt, als würde die Frau, die ich spiele, einen Teppich lüften und darunter die Schätze des Lebens wiederentdecken, die ihr so lange verborgen waren. Und das Schöne war, dass diese Szene im Drehbuch nicht ausgeschrieben war. Ich konnte daher beim Spielen meinen eigenen Gefühlen freien Lauf lassen. Für mich hat sich diese Szene erst durch die Improvisation beim Drehen entschlüsselt. Beim Lesen des Drehbuchs habe ich mir gedacht: Das Ganze können wir uns sparen. Warum muss die da im Schlafrock herumrennen und wie ein Hippie auf der Straße singen. Und erst als ich mich schließlich doch darauf eingelassen habe, wurde mir klar, dass diese Frau – während sie da herumtänzelt und singt – zum ersten Mal wieder ein Licht am Ende des langen Tunnels sieht, durch den sie aufgrund ihrer Krankheit gehen musste.
Der Film zeigt auch, wie diese Frau nach ihrer Operation einen Mann verfolgt. Es kommt einem die #MeTooDebatte in den Sinn, obwohl die sich in erster Linie um sexuellen Missbrauch dreht und in dem Film das Herz sozusagen treibendes Organ für das Stalking ist.
Gedeck: Ich finde es interessant, wie viele Facetten bei diesem Film mitschwingen – und auch die Metapher „Herz“. Was die #MeToo-Debatte betrifft, so ist sie für mich wie eine alte Schlangenhaut, die wir längst abgestreift haben sollten. Und das ist ja auch ein Thema im Film „Herzjagen“. Es geht auch darum, ob und wie die Frau aus den eingefahrenen Bahnen ihres Lebens und ihrer Ehe herauskommt. Nach der Herzoperation, bei der sie auch hätte sterben können, will sie eben nicht mehr, dass alles genauso weitergeht wie davor.