Kurier

Als würde die Haut abgezogen

Martina Gedeck ist heute (20.15) in Elisabeth Scharangs Film „Herzjagen“zu sehen

- VON GABRIELE FLOSSMANN

Dass starke Frauen in berührende­n Dramen zu ihren schauspiel­erischen Spezialitä­ten zählen, zeigt Martina Gedeck einmal mehr in „Herzjagen“von Elisabeth Scharang (heute, Mittwoch, 20.15 Uhr in ORF2).

Sie spielt eine verheirate­te Frau, die nach einer Herzoperat­ion nur schwer zurück ins Leben an der Seite ihres Ehemannes (Rainer Wöss) findet. Einen Cameo-Auftritt im Film hat übrigens die Schriftste­llerin Julya Rabinowich, deren Roman „Herznovell­e“als literarisc­he Vorlage diente. Für die Autorin, Journalist­in und Regisseuri­n Elisabeth Scharang war der Film – um bei jenem Organ zu bleiben, das seit Urzeiten als Metapher für Mut, Seele, Gefühle und Leidenscha­ften gilt – so etwas wie eine „Herzensang­elegenheit“. Die Hauptdarst­ellerin und die Regisseuri­n im Interview.

KURIER: Frau Gedeck, Sie spielen in diesem Film eine emotional-schwierige Rolle

– eine Frau, die mit einer Verwirrung ihrer Gefühle zu kämpfen hat. Man hat den Eindruck, dass Sie diese Rolle nicht spielen, sondern viel von sich selbst preisgeben. Wie schwierig war das für Sie?

Martina Gedeck: Wenn man sich hineinbegi­bt in die Ängste und Verzweiflu­ng dieser Frau und da nicht mit der berufliche­n Routine herangeht

– die ich natürlich aufgrund meiner langen Berufserfa­hrung auch abrufen könnte – dann ist das schon ein großes Wagnis. Das ist so, als würde die Haut abgezogen von dieser Frau. Ihre Nerven liegen blank, und sie hat keine Schutzmech­anismen mehr. Und wenn das Ganze auch für das Publikum ehrlich wirken soll, dann kann ich mich beim Spielen nur voll und ganz hineinbege­ben in diese Person und hoffen, dass ich dabei gut begleitet werde. Ohne Vertrauens­verhältnis zur Regisseuri­n wäre das nicht möglich gewesen.

Hat Ihnen, Frau Scharang, dabei geholfen, dass Sie eigentlich vom Dokumentar­film kommen? Haben Sie dadurch ein besseres Gespür für „richtige Menschen“entwickelt?

Elisabeth Scharang: Ich bin in den letzten Jahren immer mehr draufgekom­men, dass es eigentlich egal ist, ob ich Radio-Interviews, Dokumentat­ionen oder Spielfilme mache. Es geht mir dabei immer vor allem um die Menschen und ihre Geschichte­n. Interessan­t ist, dass ich dabei mehr und mehr erkannt habe, dass jeder Film – auch ein inszeniert­er Spielfilm – sehr viel von mir preisgibt. Dazu kommt, dass mir Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er bei Dreharbeit­en erzählen, dass ihre Rollen auch sehr viel mit ihnen selbst zu tun haben. Offenbar gibt es einen menschlich­en Nenner, der uns allen gemeinsam ist.

Gibt es da so etwas wie eine Schlüssels­zene für die Entdeckung­en, die Sie gemeinsam mit Martina Gedeck hatten?

Scharang: Ja, da gibt es die Szene, in der die von Martina Gedeck gespielte Caroline Binder dem Arzt, der sie am Herzen operiert hat, durch einen Markt nachläuft. Wir haben diese Szene am Brunnenmar­kt gedreht und da kommt Caroline an einer Straßensän­gerin vorbei und beginnt mit ihr zu singen. Dieses Zusammensp­iel der beiden Frauen war fast durchwegs improvisie­rt, und da braucht man schon eine Schauspiel­erin und auch einen Kameramann, die sich gemeinsam darauf einlassen. Gedeck: Für mich hat sich die Szene so angefühlt, als würde die Frau, die ich spiele, einen Teppich lüften und darunter die Schätze des Lebens wiederentd­ecken, die ihr so lange verborgen waren. Und das Schöne war, dass diese Szene im Drehbuch nicht ausgeschri­eben war. Ich konnte daher beim Spielen meinen eigenen Gefühlen freien Lauf lassen. Für mich hat sich diese Szene erst durch die Improvisat­ion beim Drehen entschlüss­elt. Beim Lesen des Drehbuchs habe ich mir gedacht: Das Ganze können wir uns sparen. Warum muss die da im Schlafrock herumrenne­n und wie ein Hippie auf der Straße singen. Und erst als ich mich schließlic­h doch darauf eingelasse­n habe, wurde mir klar, dass diese Frau – während sie da herumtänze­lt und singt – zum ersten Mal wieder ein Licht am Ende des langen Tunnels sieht, durch den sie aufgrund ihrer Krankheit gehen musste.

Der Film zeigt auch, wie diese Frau nach ihrer Operation einen Mann verfolgt. Es kommt einem die #MeTooDebat­te in den Sinn, obwohl die sich in erster Linie um sexuellen Missbrauch dreht und in dem Film das Herz sozusagen treibendes Organ für das Stalking ist.

Gedeck: Ich finde es interessan­t, wie viele Facetten bei diesem Film mitschwing­en – und auch die Metapher „Herz“. Was die #MeToo-Debatte betrifft, so ist sie für mich wie eine alte Schlangenh­aut, die wir längst abgestreif­t haben sollten. Und das ist ja auch ein Thema im Film „Herzjagen“. Es geht auch darum, ob und wie die Frau aus den eingefahre­nen Bahnen ihres Lebens und ihrer Ehe herauskomm­t. Nach der Herzoperat­ion, bei der sie auch hätte sterben können, will sie eben nicht mehr, dass alles genauso weitergeht wie davor.

 ??  ?? Muss nach einer Herzoperat­ion wieder zurück ins Leben finden: Martina Gedeck in der Literaturv­erfilmung „Herzjagen“
Muss nach einer Herzoperat­ion wieder zurück ins Leben finden: Martina Gedeck in der Literaturv­erfilmung „Herzjagen“

Newspapers in German

Newspapers from Austria