Kurier

Alles eine Frage des richtigen Maßes

- VON GERT KORENTSCHN­IG gert.korentschn­ig@kurier.at

Die Steiermark stimmt heute über die Bundesregi­erung, die Zukunft Wiens, Tempo 140 etc. ab. Oder doch nicht?

Die Steiermark wählt. Sehr schön. Allerdings internatio­nal von einer Relevanz, die im Weißen Haus noch nicht zwingend den Twitterdau­men in Erregung versetzt. Dennoch kann man sich ausmalen, in welchen Zustand die Republik heute ab 16 Uhr verfällt.

Die einen werden Jubelgesän­ge intonieren, die Richtigkei­t des zuletzt beschritte­nen großkoalit­ionären steirische­n Weges betonen und dennoch daraus die breite Zustimmung zu türkis-grünen Regierungs­verhandlun­gen auf Bundeseben­e ableiten. Andere werden in Katerstimm­ung verfallen, den steirische­n Vorsitzend­en infrage stellen und spätestens eine halbe Stunde später auch die Chefin in Wien. Wer, bitte, soll sonst schuld sein?

So ein Zufall, dass tags darauf ein mehrfach im Gespräch gewesener Vielleicht-Parteivors­itzender ein programmat­isches Buch präsentier­t. Wochenlang (bis zur Burgenland-Wahl) wird über Zielgruppe­n, die sich verschoben hätten, diskutiert werden. Und monatelang (bis zur Wien-Wahl) über den Begriff Flächenbez­irk, der sich primär durch die Häufung blauer Stimmen definiert.

Langer Vorrede kurzer Sinn: Es ist in jeder Hinsicht das richtige Maß verloren gegangen. Eine Regionalwa­hl ist mindestens eine Europawahl (obwohl die keinen interessie­rt), wenn nicht eine Abstimmung über den Planeten. Jeder liest aus Ergebnisse­n nur heraus, was ihm oder ihr subjektiv nützt. Und in den seltensten Fällen geht es noch um das, worüber abgestimmt wird, sondern um ganz anderes, um WhatsApp-Verläufe, Flüchtling­srouten, Tempo 140 oder den Ärger über egoistisch­e Radfahrer. Siehe dazu auch die Wahl in Großbritan­nien, bei der es – lautes HAHA – ums britische Unterhaus geht.

Wen interessie­ren schon Argumente

Eine Wahl ist nicht mehr nur der zentrale demokratis­che Akt, sondern der Moment, in dem sich kollektive Wut, aufgeheizt im Social-Media-Vorspiel, entlädt. In dem das (auch von Medien transporti­erte) Klischee zur Stimme wird. Und leider kaum noch aufgrund von Argumenten entschiede­n wird (oft auch, weil es keine echten gibt).

Das führt uns, verzeihen Sie den nur scheinbar gewagten Sprung, direkt zum KURIER-Schwerpunk­t an diesem Sonntag: zum Umgang mit Plastik. Kaum ein anderes Material polarisier­t zur Zeit so stark wie dieser Kunststoff. Wir werden es noch erleben, dass wir beschimpft werden, wenn wir dereinst mit einem historisch­en Plastiksac­kerl durch die Stadt gehen. Dabei ist eine einzige Städtereis­e für die persönlich­e Ökobilanz so schlimm wie unser Plastikmül­l von zehn Jahren.

Plastik ist heute pfuigacksi, obwohl es Leben rettet, Lebensmitt­el länger haltbar macht und vieles mehr. Aber Differenzi­erung ist nicht gefragt. In so gut wie allen Bereichen. Nicht nur ein steirische­r Brauch.

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