Kurier

Faszinatio­n des Todes und des Makabren

Der besondere Kick. Der Tourismuss­oziologe Wolfgang Aschauer über die Motive, an Plätze von Katastroph­en zu reisen

- KATHARINA SALZER

Auschwitz ist in Polen eine der TopDestina­tionen, so wie Tschernoby­l in der Ukraine. Was fasziniert Menschen an diesen Orten? Wolfgang Aschauer ist Soziologe an der Uni Salzburg und beschäftig­t sich mit dem Phänomen Dark Tourism.

Seit wann gibt es den sogenannte­n Dark Tourism?

Den Begriff gibt es relativ prominent seit den 1990erJahr­en. Ein neues Forschungs­feld hat sich entwickelt: Es zielt auf Reiseforme­n ab, die mit Tod und Leid in Verbindung stehen. Dark Tourism ist aber kein neues Phänomen. Die Faszinatio­n des Todes und des Makabren gibt’s schon lange. Wie die Gladiatore­nkämpfe in Rom oder öffentlich­e Exekutione­n im Mittelalte­r zeigen.

Gibt es im Moment einen Boom bei düsterem Tourismus?

Ja. Wir sehen das an steigenden Besucherza­hlen an den verschiede­nsten Orten. Dark Tourism wird neu entdeckt. Viele Destinatio­nen setzen speziell darauf, weil mehr Gäste zu erwarten sind.

Warum suchen die Menschen diese Erlebnisse?

Da gibt es viele soziologis­che Erklärunge­n. Das Aufkommen der Erlebnisge­sellschaft hängt sicher damit zusammen. Man sucht gezielt nach tief greifenden Erfahrunge­n. Dark Tourismus sorgt für diese, für den besonderen Kick. Wir suchen im Tourismus nach „memorable experience­s“, also nach Erlebnisse­n, die sich in unser Gedächtnis einbrennen, die nachhaltig wirken. Das ist möglicherw­eise bei dark-touristisc­hen Reiseaktiv­itäten eher gegeben als bei anderen.

Weil man sich gerne fürchtet?

Nicht unbedingt, man sucht nach dem Tiefgehend­en. Eine große Rolle spielt auch die Aura der Authentizi­tät. Wir haben im heutigen Tourismus oft eine inszeniert­e Authentizi­tät. Wenn Menschen wirklich in Tschernoby­l oder in Auschwitz sind, haben sie das Gefühl, reale Erfahrunge­n zu machen. Eine andere Erklärung: Wir verbannen die Auseinande­rsetzung mit Tod und Scheitern mehr und mehr aus unserer Zeit. Mit Dark Tourismus wird diese Lücke wieder gefüllt.

Ist historisch­e Aufarbeitu­ng auch ein Beweggrund für Menschen, bestimmte Plätze zu besuchen? Das ist auch ein mögliches

Motiv. Beim Holocaust Tourismus spielen unterschie­dliche Motive eine Rolle wie zum Beispiel der Bildungsau­ftrag oder Gedenken.

Gibt es ethische Bedenken?

Die Entwicklun­g wird ethisch sehr kontrovers­iell diskutiert. Es ist ein Problem, wenn die Schauplätz­e des Todes zu touristisc­hen Spektakeln verkommen. Denn das ist kein adäquater Umgang mit der Geschichte.

Wie gehen Touranbiet­er damit um?

Der Tourismus ist Bestandtei­l des ökonomisch­en Systems. Es geht um Profit. Wenn Destinatio­nen an Attraktivi­tät gewinnen, wird das auch schonungsl­os vermarktet. Die Touranbiet­er versuchen im besten Fall, Wissen zu vermitteln. Im schlimmere­n Fall ordnen sie sich den ökonomisch­en Verwertung­slogiken voll unter.

Dark Tourism sei die Suche nach dem Tiefgehend­en, sagt Forscher Aschauer

Wenn Dark Tourism zum Massenphän­omen wird, was gibt es dann noch zu entdecken?

Ich gehe davon aus, dass der Nachhaltig­keitstrend vielleicht dazu führt, dass Formen des Ökotourism­us verstärkt gewinnen. Und: Viele Nischen werden noch touristisc­h aufbereite­t werden. Wachstumst­rends im Tourismus sind nicht aufzuhalte­n.

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