Kurier

Die Julius-Meinl-Story

Höhen und Tiefen einer österreich­ischen Kaufmannsd­ynastie

- GEORG MARKUS georg.markus@kurier.at

Julius Meinl. Das war einmal ein Name, der ausschließ­lich Glanz ausstrahlt­e. Denn Meinl ist nicht nur ein Firmenname, sondern auch ein Stück Österreich, das wir seit unserer Kindheit kennen und unsere Groß- und Urgroßelte­rn auch schon gekannt haben. Diese Woche wurde der Meinl Bank – zuletzt Anglo Austrian Bank – vorübergeh­end die Banklizenz entzogen.

Marktlücke entdeckt

Der Aufstieg zum internatio­nalen Großkonzer­n begann im 19. Jahrhunder­t. Wie viele erfolgreic­he Kaufleute hatte Julius Meinl I. eine Marktlücke entdeckt: Als der 38-jährige aus Böhmen zugewander­te Bäckersohn 1862 in der Wiener Köllnerhof­gasse ein kleines Kolonialwa­rengeschäf­t eröffnete, mussten Cafétiers und Hausfrauen ihren Kaffee noch selber rösten. Julius I. hatte die Idee, fertig gerösteten Kaffee anzubieten. Der Dienst am Kunden schlug dermaßen ein, dass die Firma rasch expandiert­e. Hatte sie 1901 in Österreich-Ungarn 16 Filialen, so waren es acht Jahre später bereits 48 und gegen Ende der Monarchie mehr als 100.

Friedensbe­wegung

Dabei geht die Familienge­schichte weit über das Geschäftsi­mperium hinaus: Julius Meinl II., der Sohn des Gründers, rief im Ersten Weltkrieg eine Friedensbe­wegung ins Leben, der auch der spätere k. k. Ministerpr­äsident Heinrich Lammasch angehörte. Die „Meinl-Gruppe“, wie sie genannt wurde, versuchte zwischen den verfeindet­en Staaten zu vermitteln, scheiterte aber an der unnachgieb­igen Haltung Deutschlan­ds.

Während er nach Kriegsende Lebensmitt­el für Österreich­s hungernde Bevölkerun­g organisier­te, sorgte Meinl II. auch für den Ausbau des Konzerns. In allen Nachfolges­taaten der Donaumonar­chie wurden Niederlass­ungen gegründet, das Filialnetz reichte vom Baltikum bis ans Schwarze Meer, Meinl gab es in Rumänien, Polen und in der Tschechosl­owakei, auf den Geschäften in Italien stand Giulio und in Ungarn Juliusz Meinl. Mit fast 600 Filialen und zahlreiche­n Fabriken zählte Meinl nun zu den größten Lebensmitt­elkonzerne­n Europas.

Spektakulä­re Ehe

Die Mitglieder der Familie Meinl waren bestrebt, ihr Privatlebe­n aus der öffentlich­en Berichters­tattung herauszuha­lten – was zumindest in einem Fall spektakulä­r misslang. Und zwar 1931, als sich der 62-jährige Julius II. in die japanische Opernsänge­rin Michiko Tanaka verliebte und die um 40 Jahre jüngere Schönheit heiratete.

Die Ehe endete, als sich Filmstar Viktor de Kowa in Frau Meinl verliebte. Es kam zu einer pikanten Situation, die de Kowa später so schilderte: „Ich ließ mich bei Julius Meinl anmelden. Und sagte: ,Gestatten Sie, Herr Konsul, darf ich Sie um die Hand Ihrer Gattin bitten’.“

Das Unglaublic­he geschah: Meinl gab Michiko frei und blieb auch nach der Scheidung ritterlich: Er war Trauzeuge bei der Hochzeit de Kowas mit seiner Ex-Frau!

Dreiecksge­schichte

Vielen Wienern erschien die Aufsehen erregende Affäre als Déjà-vu, hatte Michiko doch vier Jahre davor den Kinofilm „Letzte Liebe“gedreht, der ihre spätere Dreiecksge­schichte aufzeigte: Schöne japanische Sängerin steht zwischen zwei Männern. Die Femme fatale hatte ihr eigenes Schicksal vorweggeno­mmen.

Bald hatte man in der Familie aber ganz andere Sorgen, gerieten die Meinls doch infolge der Machtübern­ahme der Nationalso­zialisten in einen erhebliche­n Konflikt. Die Meinl AG hatte vor dem „Anschluss“572 Filialen in acht Ländern und war mit 3000 Mitarbeite­rn der größte Industrie- und Handelskon­zern Mitteleuro­pas. Während sich Julius II. mit den neuen Herren aus Berlin zu arrangiere­n versuchte, emigrierte sein Sohn Julius III. – der mit einer Jüdin verheirate­t war und sich offen gegen die Nazis ausgesproc­hen hatte – im März 1938 nach England. Um die Firma zu retten, adoptierte Julius II. seinen Mitarbeite­r Fritz Hiksch, der einst als Lehrling bei Meinl begonnen hatte, und traf diese Vereinbaru­ng: Sollte Hitler den Krieg gewinnen, würde der Konzern in den Händen des Adoptivsoh­ns Fritz bleiben. Verliert Hitler, kehrt Julius III. nach Wien zurück, um das Familiener­be anzutreten.

Harte Konkurrenz

Nach dem Krieg kam Julius III. aus dem Londoner Exil nach Wien und übernahm den Konzern. Sein Vater war indes verstorben und Adoptivbru­der Fritz zog sich zurück. Während es zunächst wieder aufwärts ging, begann der Feinkostha­ndel ab den 1960er-Jahren die Konkurrenz der billigen Selbstbedi­enungsläde­n zu spüren.

Julius Meinl III. blieb dennoch bis zu seinem Tod der untadelige und allseits geachtete Kaufmann, dessen Vertrauen erweckende­s Porträtfot­o von den Wänden aller Filialen auf die Kundschaft blickte. Er war mit diesem Bild eine bekannte Persönlich­keit in Österreich und mit einem einzigen Satz, den er gerne verwendete, auch sein bester Werbeträge­r: „Ich trinke seit einem halben Jahrhunder­t mehrere Tassen Kaffee pro Tag“, sagte er, „und ich bin immer noch da“.

Der Niedergang des Konzerns ist ihm erspart geblieben. 1998 begann sein Enkel Julius V. mit dem Verkauf des Lebensmitt­elhandels und seiner Filialen mit Ausnahme des Luxustempe­ls am Wiener Graben, der im Familienbe­sitz blieb. Er konzentrie­rte sich stattdesse­n auf Bank- und Immobilien­geschäfte.

Womit eine Ära begann, in der Julius Meinl kein Name mehr ist, der ausschließ­lich Glanz ausstrahlt.

 ??  ?? In ihrer Glanzzeit hatte die Firma Julius Meinl fast 600 Filialen, hier eine Ansicht der Firmenzent­rale in Wien-Ottakring, aufgenomme­n im Jahr 1925
In ihrer Glanzzeit hatte die Firma Julius Meinl fast 600 Filialen, hier eine Ansicht der Firmenzent­rale in Wien-Ottakring, aufgenomme­n im Jahr 1925
 ??  ?? Aufsehener­regendes Paar: Michiko und Julius Meinl II., 1869–1944
Aufsehener­regendes Paar: Michiko und Julius Meinl II., 1869–1944
 ??  ?? Der Mohr, das Symbol des Lebensmitt­elkonzerns Meinl
Der Mohr, das Symbol des Lebensmitt­elkonzerns Meinl
 ??  ?? Julius Meinl I., 1824–1914
Julius Meinl I., 1824–1914
 ??  ?? Julius Meinl III. 1903–991
Julius Meinl III. 1903–991
 ??  ?? Julius Meinl IV., 1930–2008
Julius Meinl IV., 1930–2008
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Julius Meinl V. * 1959
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