Kurier

„Fortan war Peter Handke der Böse“

Im Interview über die Reisen des Autors nach Serbien und die gemeinsame­n Jahre in Salzburg

- VON THOMAS TRENKLER

Hans Widrich, von 1968 bis 1996 Pressespre­cher der Salzburger Festspiele, lebt in einem malerische­n Schlössl auf dem Mönchsberg. Acht Jahre lang, ab 1979, wohnte auch der Autor Peter Handke mit seiner Tochter Amina dort – in einem Nebentrakt.

KURIER: Sie stammen, wie Handke, aus Griffen, sind aber älter. Kannten Sie sich trotzdem bereits als Kinder? Hans Widrich: Die Gemeinde Griffen ist groß. Meine Eltern haben im Kaufhaus Siutz eingekauft, das dem Onkel von Handke gehörte. Wir Kinder aber haben nichts voneinande­r gewusst. Ich wurde 1936 geboren, Handke am 6. Dezember 1942. Wir haben uns daher erst im Internat in Tanzenberg kennengele­rnt.

Weil Handke Ihnen seinen ersten Text angeboten hat?

Ja. Ich hatte eine Schülerzei­tschrift gegründet, die „Fackel“. Der Titel beweist indirekt, dass ich einen schlechten Deutschunt­erricht hatte. Denn wenn ich etwas über Karl Kraus gewusst hätte, hätte ich einen anderen Namen gewählt. Ich hatte kein Geld, um sie zu hektografi­eren. Daher schrieb ich sie mit Durchschla­gpapier, es gab also nur acht oder neun Exemplare, die unter den Literaturi­nteressier­ten zirkuliert­en. Einmal kam der Peter mit einem braunen Heft, vollgeschr­ieben über die Flucht aus Ostberlin.

Gegen Ende des Weltkriegs war die Familie Handke nach Pankow gegangen. Kurz vor der Berlin-Blockade 1948 floh sie zurück nach Griffen – illegal in einem Lastwagen.

Genau. Dieser Bericht war sehr dick. Ich musste Peter sagen, dass ich den Text unmöglich bringen könne. Denn ich würde ihn ja einen Monat lang abtippen. Das war also die erste Fehlentsch­eidung in meinem Leben.

Sie gingen dann nach Graz, um Theologie zu studieren. Und Handke folgte 1961.

Gegen Ende des Studiums erhielt ich den Auftrag, das Afro-Asiatische Institut, ein Studentenh­aus in der Leechgasse, aufzubauen. Einmal kam Peter zu mir. Er sagte, dass er an einem Buch schreibe, und bat mich, ihm den genauen Ablauf der Liturgie zu erklären. In den „Hornissen“hat er das Schweinesc­hlachten liturgisch gedeutet. Danach, 1964, ging ich aus familiären Gründen nach Salzburg. Der Vater meiner Frau war überrasche­nd gestorben.

Sie blieben aber in Kontakt?

Ja. Er las auf meine Bitte hin in Salzburg, ich besuchte ihn in Kronberg und später in Paris. Mitunter, wenn er auf der Durchreise nach Kärnten war, übernachte­te er bei uns auf dem Mönchsberg. In Erinnerung an Georg Trakl gibt es immer am Abend vor seinem Geburtstag, also am 2. Februar, eine Festivität im Geburtshau­s. Im Jahr 1979 lud ich für danach eine Runde hierher auf die Richterhöh­e ein, darunter den H.C. Artmann, den Gerhard Amanshause­r und den Peter Rosei. Am Nachmittag rief mich Peter an, er sei gerade in Salzburg angekommen. Ich bat ihn also dazu. Er erzählte mir andeutungs­weise von seiner damaliger Schreibkri­se. Und er wollte, dass seine Tochter Amina in Österreich ins Gymnasium geht. Sie sei zwar in der französisc­hen Volksschul­e die Beste, aber es gebe große Lücken in der deutschen Grammatik.

Seine Ehe mit der Schauspiel­erin Libgart Schwarz, die er in Graz kennengele­rnt hatte, war gescheiter­t. Er wollte also wegen seiner Tochter zurück nach Österreich?

Ja. Ich bot ihm den Nebentrakt an. Und er mietete ihn am nächsten Morgen. Wir einigten uns auf acht Jahre – also bis zur Matura der Tochter. Wir hatten von Anfang an einen sehr freundlich­en und klar distanzier­ten Umgang miteinande­r. Es war klar, dass wir die Geburtstag­e der Kinder und die Zeugnisse gemeinsam feiern. Eine meiner Töchter, Mechtild, war gleich alt wie seine Tochter, sie gingen gemeinsam ins Akademisch­e Gymnasium – in die gleiche Klasse. Öfters unternahme­n wir längere Wanderunge­n in die Umgebung. Und wenn ein neues Buch erschien, feierten wir zu zweit – meistens im damaligen Café Winkler, heute das Museum der Moderne.

In Salzburg schrieb er u.a. den Roman „Der Chinese des Schmerzes“: Der Lehrer Andreas Loser bemerkt auf dem Weg zur Tarockrund­e einen Hakenkreuz-Sprayer, er tötet ihn und stößt die Leiche den Mönchsberg hinunter. An der Tarockpart­ie nimmt Loser dennoch teil, als ob nichts geschehen wäre.

Diese Schmierere­ien gab es damals tatsächlic­h. Peter hat sie entdeckt und war erschütter­t. Er ging mit Amina und Mechtild noch einmal hin, er hat das Hakenkreuz auf dem Boden mit grauer Farbe übermalt, aber das hat nichts gefruchtet. Es war längere Zeit zu sehen.

Diese Tarockrund­en haben Sie zusammenge­rufen?

Das stimmt. Ich bemerkte, dass Handke einsam war. Aus den „Hornissen“wusste ich, das ihn als Kind das Tarock interessie­rt hat. Und so habe ich ihn gefragt, ob wir nicht einmal tarockiere­n sollen. Das hat sich also erst entwickelt.

Und wie kam es zu den gemeinsame­n Reisen?

Peter sagte einmal nebenbei, dass er überhaupt nicht mehr slowenisch kann, und das sei doch schade. Mir ging es genauso – obwohl ich im Maturazeug­nis ein Sehr gut hatte. Und dann meinte er, dass ihn der Karst interessie­ren würde. So zogen wir los. Das war im Jänner. Es war ...

... ziemlich kalt, wir sind von Gasthaus zu Gasthaus und stellten fest, dass wir uns mit den Leuten unterhalte­n konnten. Es folgten etliche weitere Reisen. In „Die Wiederholu­ng“und „Die Abwesenhei­t“beschrieb er mehrere Orte sehr genau. Bei manchen Stellen sagte ich nach dem Lesen zu ihm: „Die hast du aber gut erfunden!“Das ärgerte ihn. Auf der nächsten Reise mussten wir zurück zu diesen Orten, damit ich mit eigenen Augen sehe, dass alles so ist, wie von ihm geschilder­t.

Er bezeichnet­e Slowenien als „Neuntes Land“, wandte sich dann aber ab.

Es missfiel ihm zusehends, dass seine Freunde nur mehr politisier­ten, sich von Serbien und Kroatien loslösen wollten. Nach der Unabhängig­keit Sloweniens wurde der eine Freund Direktor des Staatsrund­funks, der andere Direktor der Staatsdruc­kerei. Peter verstand das nicht. Seine Liebe zu Slowenien kühlte ab – und es begann seine Hinwendung zu den anderen Teilen Jugoslawie­ns: Er ist wochenlang zu Fuß, mit den Autobussen und mit dem Zug durch das Land gereist. Er kehrte tief beeindruck­t zurück, nicht nur von der Liebenswür­digkeit der Menschen, er hatte das Bild des sanften Tito – als Schutzgott, der von allen verehrt wird. Und so ging seine Liebe von Slowenien auf Jugoslawie­n über – und sie hat sich dann konzentrie­rt auf Serbien.

In Salzburg hatte Handke den Serben Zlatko kennengele­rnt, mit dem er Mitte der 1990er-Jahre „eine winterlich­e Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina“unternahm.

Ja, in Mirjam’s Pub in der Schallmose­r Hauptstraß­e. Peter nennt es „meine Kaschemme“. Sie haben gemeinsam die Musik aus der Jukebox gehört und Tischfußba­ll gespielt. Zlatko war bei den Reisen nach Serbien sein Sancho Pansa, wie die Bösartigen sagen. Aber es stimmt: Ohne ihn hätte Handke als Ortsunkund­iger gar nichts machen können.

Hat Handke sich „selbst radikalisi­ert“, wie man heute sagen würde?

Ich weiß nicht. Er hat sich eindeutig positionie­rt. Entscheide­nd war das NATOBombar­dement. Es war seiner Meinung nach illegal. Ohne UNO-Mandat – und nur gegen Serbien gerichtet. Handke war zudem empört über die einseitige Berichters­tattung. Jeden dritten Tag gab es in Frankreich Karikature­n über die Serben als Menschenfr­esser. Peter hat dann eben „Gerechtigk­eit“gefordert. Fortan war er für die Medien der Böse.

Und wie war das mit dem jugoslawis­chen Pass?

Peter hat mir immer wieder Sachen geschenkt – nicht so sehr für mich, sondern für die Nachwelt. Im Juli 2005 bekam ich von ihm u.a. seinen abgelaufen­en österreich­ischen Pass – und eben den jugoslawis­chen Pass, der 1999 ausgestell­t worden und nun nutzlos war. Ich fragte ihn verwundert: „Wie kommst Du zu diesem Pass?“Und er erzählte mir, dass er sich bei einem jugoslawis­chen Diplomaten in Paris beschwert hatte. Bei seinen Reisen hätte er in den Hotels Höchstprei­se zahlen müssen und sein serbischer Freund nur die Hälfte. Das hat ihn wahnsinnig gestört. Und der Diplomat hätte ihm gesagt, dass man abhelfen könne. Ich glaube Handke. Er hat das als Freundscha­ftsbeweis aufgefasst.

Sie haben ja ein enormes Archiv aufgebaut. Wie kam es dazu?

Er hat mir immer wieder ein Manuskript geschenkt. Aber ich habe nicht wirklich gesammelt, ich habe meinen Freund, Adolf Haslinger, unterstütz­t. Er plante ein Literatura­rchiv – und ich habe ihm Sachen übergeben. 1987 wollte Peter ausziehen. Er war völlig verzweifel­t: Was soll er mit all dem Kram machen? Er hatte ja noch nicht sein Haus in Chaville. Ich bot ihm an, die Miete zu halbieren, er solle das Haus doch noch ein Jahr behalten. Aber auch danach wusste er nicht weiter. Und so habe ich nicht nur seinen Schreibtis­ch mit der Lampe übernommen, um den ich ihn gebeten hatte, sondern viel mehr, die Kartons mit den Briefen an ihn, die Korrespond­enz mit den Übersetzer­n, die restliche Bibliothek, Schreibmas­chinen, die Maultromme­l und die EGitarre. So entstand die Sammlung. Es kam viel zusammen, die Sammlung wurde auch zur Belastung. Daher habe ich sie für 25 Jahre als Dauerleihg­abe der Nationalbi­bliothek übergeben.

 ??  ?? Tarockrund­e im Schlössl: Hans Widrich, Hofrat Peter Mittermaye­r, Rektor Adolf Haslinger, Prälat Johannes Neuhardt u. Peter Handke
Tarockrund­e im Schlössl: Hans Widrich, Hofrat Peter Mittermaye­r, Rektor Adolf Haslinger, Prälat Johannes Neuhardt u. Peter Handke
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Handkes Freund: Hans Widrich
 ??  ?? Lebt in einem Schlössl auf dem Mönchsberg: Hans Widrich
Lebt in einem Schlössl auf dem Mönchsberg: Hans Widrich

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