Wichtigste Nagelerzeugung Europas
Um 1500 produzierten 200 Meister, 600 Gesellen und 300 Lehrlinge 4,5 Millionen Nägel pro Woche
„Auf den Hund gekommen“ist eine der Redewendungen, deren Sinn sich auf der Reise in die handwerkliche und industrielle Vergangenheit Losensteins erschließt. Wir stehen vor der Zunfttruhe der Nagelschmiede, die sich im Nagelschmiedmuseum im Ortszentrum befindet. In der 70 cm langen Holzkiste wurden Handwerksordnung, Zeugnisse, Lehrbriefe und Rechnungen aufbewahrt. Ganz unten befand sich Geld, das für die Unterstützung notleidender Gesellen vorgesehen war. Falls alles Geld aufgebraucht war, tauchte eine auf der Innenseite des Bodens gemalte Hundefigur auf. Man war also mangels weiterer finanzieller Mittel „auf den Hund gekommen“.
3500 Einwohner
Losenstein war jahrzehntelang der wichtigste Ort der Nagelerzeugung in Mitteleuropa und gewissermaßen die Perle des Ennstales. „Um 1500 gab es rund 200 Meister, 600 Gesellen und 300 Lehrlinge bei einer Bevölkerung von etwa 3500 Menschen. Jede Woche wurden 4,5 Millionen Nägel geschmiedet“, erzählt Bernhard Blasl, Mitglied des örtlichen Kulturvereins.
Bemerkenswert sind die Totenschilde, die den Sarg eines verstorbenen Nagelschmieds zierten. Grimmige Teufelsgestalten bewachen die in der Höllenglut leidenden Sünder. Daneben wurde eine prunkvolle Totenkrone platziert. Eine Tradition, die von 1450 bis 1956 währte, als mit Johann Hatschenberger der letzte Nagelschmied in Pension ging. Die maschinelle Herstellung der Nägel war dann einfach billiger als die Handfertigung.
Wir begeben uns auf den Nagelschmiedweg, der uns recht anschaulich in die Welt des alten Schmiedehandwerks führt. Zunächst treffen wir auf die
Schlosstaverne, die unmittelbar unter der das Ortsbild beherrschenden Burgruine liegt. Hier befand sich das Zunftlokal der Nagelschmiede und lässt – jetzt prächtig renoviert – auch auf eine wohlhabende Vergangenheit schließen. Wir passieren ein Originalstück der Alten Eisenstraße, die bis 1957 die einzige Straßenverbindung durch das Ennstal war. Den weiteren Streckenabschnitt, „Höll“genannt, hat das 1962 errichtete Kraftwerk Losenstein mit den darin befindlichen Schmiedebauten überflutet.
Arbeitsbeginn um vier
Im Stiedelsbachtal erreichen wir nach etwa zwei Kilometern die „Brandstätter Schmiede“. Alles hier befindet sich im Originalzustand. Jederzeit kann die Esse entzündet und der mit Wasserkraft angetriebene Hammer in Betrieb genommen werden. Tatsächlich arbeitete hier ein Meister, fünf Gesellen und zwei Lehrlinge. Ihr Tagwerk begann um vier Uhr früh und dauerte bis sieben Uhr abends. Zum Frühstück gab es eine Specksuppe, zu Mittag Mehlspeisen und nur alle 14 Tage Fleisch. Das Abendessen bestand aus Kraut, Milch und Brennkoch. Angeblich wurden bei der Arbeit auch Lieder gesungen. Das Lied
„Mir san ja die lustigen Hammerschiedgsölln“erinnert heute noch daran. Das Museum im Oberstock zeigt die Vielfalt der aus den Eisenstäben geschmiedeten Nägeln: 30 unterschiedliche Nagelarten wurden gefertigt.
Nagel mit 1,5 m Länge
Der beeindruckendste ist wohl der eineinhalb Meter lange „Schlachtnagel“, ein Riesennagel, der zur Verankerung von Baumstämmen für Wehranlagen verwendet wurde. Die weitere Palette reichte von Schiffsnägeln, Hufnägeln für Pferde und Ochsen, Schienennägeln für Eisenbahnen, Rahmnägeln für Fensterbeschläge, Schlossnägeln für Türschlösser bis zu den Schuhnägeln mit kuriosen Bezeichnungen wie Mausköpfl und Scheanken. Vertrieben wurden die Nägel bis nach Wien, Budapest, Belgrad und Venedig.