Kurier

Löwen, die Stadt der sieben Wunder

- VON EVA GOGALA

Jung, quirlig, bunt. Das Städtchen Löwen in Belgien ist zwar weit weniger bekannt als seine großen Schwestern Antwerpen oder Brügge, aber dafür umso spannender. Ein Ort, an dem Geschichte auf Jugend trifft und das obendrein die längste Theke Europas ist

Ganz langsam erwacht der „Oude Markt“, der Alte Markt, in Löwen (Leuven) am Morgen zum Leben. Der Platz, gesäumt von schmalen Backsteinh­äusern mit Giebeln und reich verzierten Fassaden, rühmt sich, die längste Theke Europas zu sein, wo sich ein Lokal ans andere reiht. Stimmt. Gegen Mittag tragen die Kellner Hunderte Tische und Sessel ins Freie und langsam lässt sich erahnen, was sich hier ein paar Stunden später abspielen wird.

Das Hunderttau­send-Einwohner-Städtchen in Flandern, nur eine halbe Auto- oder Bahnstunde von Brüssel entfernt, ist wohl die jüngste Stadt Belgiens, obwohl sie mehr als tausend Jahre alt ist: Jeden September strömen mehr als fünfzigtau­send Bachelorun­d Masterstud­enten hierher. Sie sind dafür verantwort­lich, dass es in der Innenstadt von Löwen mehr als vierhunder­t Lokale gibt. Das pralle Leben, nur an den Wochenende­n ist es ein wenig ruhiger, wenn die Studis ins „Hotel Mama“zurückkehr­en, um am Montag mit einer Tasche frisch gewaschene­r Wäsche und Essensvorr­äten für die Woche wieder anzurücken.

Seinen Reichtum und sein prächtiges Erscheinun­gsbild verdankt Löwen der Lage am Dijle-Fluss, die es zur wichtigen Handelssta­dt machte. Der Tuchhandel sorgte ab dem vierzehnte­n Jahrhunder­t für Wohlstand, die schönsten Gebäude entstanden. Eines davon ist das Rathaus im Stil der Brabanter Spätgotik. Es ist so üppig verziert, dass einem schwindlig werden könnte: Drei Etagen, fünf Türme, in den Nischen zwischen den Fenstern befinden sich 236 Figuren – die steinerne Geschichte der Stadt.

Nicht nur die Holländer, auch die Belgier lieben ihre „Fietsen“, wie die Fahrräder hier heißen. Die Schüler radeln damit zur Schule, die Studenten zur Uni und der Tourist kann zur Stadtrundf­ahrt antreten. Die Sehenswürd­igkeiten in der Innenstadt lassen sich mühelos zu Fuß erwandern, wer allerdings die berühmten Abteien von Löwen kennenlern­en will, der leiht sich am besten ein Fiets. Das ist – trotz des holprigen Pflasters auf vielen Plätzen, ungefährli­ch: Autofahrer nehmen auf die Radler Rücksicht und trödeln geduldig hinter ihnen her, statt wie hierzuland­e um jeden Preis zu überholen. Vierzehn Kilometer ist die Tour lang, die von der Gertrudisa­btei mit dem ruhigen grünen Innengarte­n bis zur Parkabtei führt, in der Gebäude wie Bauernhof, Wassermühl­e und der kleine Friedhof seit dem siebzehnte­n Jahrhunder­t praktisch unveränder­t sind.

Oase der Stille in der Stadt

Genau wie der Große Beginenhof, der wie eine Insel der Stille in der Stadt liegt, mit schmalen Gassen, Plätzen, sattgrünen Gärten und Kanälen. Die Beginen waren fromme Frauen, aber keine Klostersch­western und lebten ab dem dreizehnte­n Jahrhunder­t in den einundacht­zig Häusern aus Backstein. Sie hatten zwar ein Keuschheit­sgelübde abgelegt, durften aber Geld verdienen. Das taten sie mit Nähen, Sticken, Waschen und Krankenpfl­ege. Mitte des zwanzigste­n Jahrhunder­ts war der Beginenhof allerdings verlassen und herunterge­kommen. Die Universitä­t kaufte ihn, in den restaurier­ten Häusern, mittlerwei­le UNESCO-Weltkultur­erbe, leben heute Studenten, Uni-Mitarbeite­r und Gastprofes­soren.

Kurios sind die sieben Wunder von Löwen, die die Bewohner in Anlehnung an die sieben Weltwunder in ihrer Stadt fanden. Drei davon existieren heute noch. Der Turm ohne Nägel der Gertrudisa­btei ist komplett aus Stein, kein einziger Nagel wurde verbaut; die Glocke außerhalb des Turms der Jakobskirc­he war angeblich vom Teufel besessen und hängt deshalb an der Außenwand des Turms und schließlic­h der Altar außerhalb der Kirche – die barocke Fassade der Michaelski­rche, die tatsächlic­h wie ein Altar aussieht.

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Obwohl Löwen mehr als tausend Jahre alt ist, ist es mit Tausenden Studenten wohl die jüngste Stadt Belgiens

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