Kurier

Farbencode

Türkis und Grün sind die Farben der Saison. Höchste Zeit, sich mit Polit-Kolorit zu beschäftig­en

- VON S. MAUTHNER-WEBER

Kai Kupferschm­idts Lieblingsf­arbe ist Blau. „Wie die der meisten Menschen“, sagt der Molekularb­iomedizine­r. Doch Blau ist in der Natur selten. Bereits vor 100.000 Jahren stellten die Menschen Pigmente aus rotem und gelbem Ocker sowie Holzkohle her, ein Blau hatten sie nicht. Erst vor 5.000 Jahren mischten die alten Ägypter Sand, Pflanzenas­che und Kupfer zum ersten synthetisc­hen Blau. Ägyptischb­lau war geboren. Und es war eindeutig eher – Türkis.

Womit wir beim eigentlich­en Thema wären: Farben sind elementare Orientieru­ngsmuster der politische­n Öffentlich­keit. Sie ordnen das parteipoli­tische Spektrum und markieren weltanscha­uliche Positionen – auf den ersten Blick.

Der Ursprung der politische­n Farbenlehr­e findet sich bereits in der Antike. Bei den römischen Zirkusspie­len kämpften vier Wagen, die von Die Farben der Parteien haben ähnliche Funktion wie Fußballtri­kots: Man erkennt in Sekundensc­hnelle, wer wo hingehört. Als Schwarze werden alle Anhänger christlich­er Parteien bezeichnet. Sie haben ihre Farbe von den Talaren der Priester, für die seit dem 17./18. Jahrhunder­t Schwarz vorgeschri­eben war. Die Roten haben sich die Farbe nach der Französisc­hen Revolution zugelegt: Rot waren die Mützen der Jakobiner.

In keinem anderen Fall ist die Verbindung von politische­m Anliegen und Parteifarb­e so naheliegen­d wie bei Grün: Es ist die Farbe der Vegetation und der Inbegriff für Natur sowie Ökologie.

Blau leitet sich von der blauen Kornblume ab, die Anfang des 19. Jahrhunder­ts als Symbol für Natürlichk­eit populär war. Blau steht für Konservati­smus und Optimismus.

Pink stieg zur politische­n Kategorie auf, weil das bei der Parteigrün­dung eine der wenigen Farben war, die noch nicht vergeben war.

Renngesell­schaften gestellt wurden, um den Sieg. Jeder hatte seine Farbe. Die römischen Kaiser hatten meist einen „Lieblingsr­ennstall“, konkurrier­ende Gesellscha­ften wurden terrorisie­rt. Von Kaiser Nero wird berichtet, dass er ein leidenscha­ftlicher Anhänger der „Grünen“war. In Konstantin­opel entwickelt­en sich die Renngesell­schaften dann zu Gruppierun­gen mit politische­m Hintergrun­d.

Kostbare Nuancen

Für die historisch­e Bedeutung der Farben muss man wissen: Anders als heute waren reine Farbstoffe so teuer, dass sie sich nur die obersten Schichten leisten konnten. Farben untermauer­ten also den Herrschaft­sanspruch. Nur der Spitze der Hierarchie war es erlaubt, farbige Kleider zu tragen; ein Privileg, das durch entspreche­nde Kleiderord­nungen abgesicher­t wurde. So durften nur römische Kaiser Purpur tragen, allen anderen war es unter Androhung der Todesstraf­e verboten. Im Mittelalte­r war Rot den höheren Ständen vorbehalte­n. Es war nicht nur der teuerste Farbstoff, sondern auch jene Farbe, mit der Stärke und Macht verbunden wurde.

Das Privileg des Adels schrumpfte Stück für Stück, bis im 18. Jahrhunder­t nur das Vorrecht blieb, rote Absätze zu tragen – nach der Französisc­hen Revolution wurde Rot zur Leitfarbe der unteren Schichten, ihres sozialen Protestes und schließlic­h der Arbeiterbe­wegung. Keine andere politische Farbe wird seither internatio­nal so eindeutig verstanden.

Auch Schwarz hat auf politische­n Bühnen eine lange Tradition: Es ist das uralte kirchliche Symbol für Bußfertigk­eit und die Leiden Jesu. Im Mittelalte­r, in einer Phase dunkler Frömmigkei­t, war Schwarz am spanischen Hof dominieren­d. Zu Beginn der Neuzeit bevorzugte es der gesamte europäisch­e Adel. Es wurde zur Farbe der Trauer, aber auch zum Symbol für Stärke und Kraft.

„Heute leben wir in einer blauen Ära“, sagt Kupferschm­idt: „Blau wird als beruhigend und vertrauens­voll wahrgenomm­en. Twitter und Facebook haben nicht von ungefähr blaue Logos.“Letzteres übrigens deshalb, weil der farbenblin­de Mark Zuckerberg nur diese Farbe richtig sehen kann. Prominent ist Blau daneben auch als internatio­nale Friedensfa­rbe.

Einwanderi­n Kornblume

Blau-Experte Kupferschm­idt denkt aber immer an Richard Willstätte­r: Dem deutschen Chemienobe­lpreisträg­er gelang, woran Generation­en von Forschern gescheiter­t waren: Er isolierte den blauen Farbstoff, Cyanidin, aus den Blüten der Kornblume. „Wegen des wachsenden Antisemiti­smus floh der Jude Willstätte­r in die Schweiz“, erzählt er und denkt – wann immer von der Kornblume die Rede ist – „an die Parteien, die sie als Zeichen vereinnahm­en. Und dass Willstätte­r für all das steht, was gegen diese Ideologien spricht.“

Übrigens: Die Kornblume kam einst als blinder Passagier aus dem Mittelmeer­raum nach Europa – ihre Samen waren unter Getreide gemischt. Daher auch der Name. „Sie ist also eine Einwanderi­n“, sagt Kupferschm­idt und enthüllt ein weiteres erhellende­s Faktum: „Weil Blau so schwer herzustell­en war, gab es lange nur Blautöne, die einen Grünstich haben“. Türkis eben. „Die Farbe ist nach der Türkei benannt und liegt zwischen Grün und Blau“, erklärt er. „Im Grunde ist die angestrebt­e Koalition also einfarbig.“

 ??  ??
 ??  ?? Kai Kupferschm­idt: „Blau. Wie die Schönheit in die Welt kommt.“Hoffmann und Campe Verlag. 240 Seiten. 26, 80 Euro.
Kai Kupferschm­idt: „Blau. Wie die Schönheit in die Welt kommt.“Hoffmann und Campe Verlag. 240 Seiten. 26, 80 Euro.

Newspapers in German

Newspapers from Austria