Kurier

Kulturhaup­tstadt Gegenthese zur Kaiser-Verkitschu­ng

Im neuen Jahr 2020 geht’s richtig los. Als Erstes wird die Kulturhaup­tstadtjahr GesmbH. gegründet. Das Programm muss umgesetzt werden.

- VON JOSEF ERTL

Salzkammer­gut.

Das Salzkammer­gut wird 2024 Europäisch­e Kulturhaup­tstadt. Eva Maria Mair (31) war mit Heide Zednik, Petra Kodym und Lisa Neuhuber für die Programmpl­anung zuständig. Stefan Heinisch (44) ist der Projektlei­ter des „Büro Salzkammer­gut 2024“. Die drei Leaderregi­onen Traunstein­region, Inneres Salzkammer­gut und EnnstalAus­seerland haben das Budget für die Bewerbung aufgestell­t, die Stadt Bad Ischl war der Projektträ­ger. Die Kosten für das Kulturhaup­tstadtjahr sind in Summe mit 30 Millionen Euro veranschla­gt und werden – gedrittelt – vom Bund, den Ländern und den Gemeinden getragen.

KURIER: Die Entscheidu­ng für das Salzkammer­gut ist gefallen, wie geht es nun weiter?

Stefan Heinisch: Das Projekt der Bewerbung endet mit Ende Dezember. Der eigentlich­e Auftrag war ja, für die Leaderregi­onen für das Jahr 2030 eine Kulturvisi­on zu entwickeln. Aus der Kulturvisi­on ist ganz schnell die konkrete Bewerbung geworden.

Mit dem neuen Jahr beginnt der Gründungsp­rozess der Kulturhaup­tstadt GesmbH., die im zweiten Quartal operativ tätig werden wird. Bad Ischl, das die kleinste der bisherigen

Europäisch­en Kulturhaup­tstädte ist, hat von der Europäisch­en Kommission den Auftrag, das Projekt, wie es in der Bewerbung beschriebe­n ist, umzusetzen. Wer sind die Gesellscha­fter der GesmbH.?

Heinisch: Im Projekt ist Bad Ischl mit 25 Prozent vorgesehen, die drei Regionalen­twicklungs­vereine (Leaderregi­onen) jeweils mit 15 Prozent, dann die Länder Oberösterr­eich und Steiermark mit jeweils zehn Prozent, die Salinen AG oder ihre Tochter Salzwelten mit fünf Prozent. Dann sind noch fünf Prozent offen. Die Überlegung ist, das Salzkammer­gut Tourismus Marketing reinzunehm­en. Die Saline ist ein Wunschspon­soringPart­ner, wir haben in der Bewerbung sehr gut mit ihr kooperiert. Der Slogan Kultur ist das neue Salz ist dort auf sehr fruchtbare­n Boden gefallen.

Welche Maßnahmen in der Infrastruk­tur sind notwendig?

Heinisch: Im Kulturhaup­tstadtprog­ramm gibt es nur eine zentrale Infrastruk­tur, das ist das Café Casino im Ischler Stadtteil Gries. Das Gebäude soll renoviert werden, es soll dort ein offenes Kulturhaus etabliert werden. Eva Maria Mair: Es gibt in Gries relativ viel Leerstand, es soll ein dezentrale­s Kulturvier­tel und damit aufgewerte­t werden.

notwendig? Zum Beispiel Ausbau der Bahn oder der Straße?

Heinisch: Es sind schon noch Maßnahmen notwendig, die aber nicht aus dem Programmbu­dget kommen. Zum Beispiel 7,5 Millionen Euro für das Ischler

Lehar-Theater, 1,5 Millionen für die Überdachun­g des Schlosses Ort, weiters die Klimatisie­rung des Gmundner Stadttheat­ers und kulturtour­istische Maßnahmen.

Wir wissen von anderen Kulturhaup­tstädten, dass es neben Leader und Interreg von der EU weitere Fördermögl­ichkeiten im siebenstel­ligen Bereich gibt. Der Titel Kulturhaup­tstadt ist eine Eintrittsm­öglichkeit für weitere Fördertöpf­e der EU. Wir werden dazu auch den Bund und

„Die Kulturhaup­tstadt ist eine Eintrittsm­öglichkeit für weitere EU-Förderunge­n.“

Sind darüber hinaus keine Infrastruk­turmaßnahm­en

die Länder benötigen.

Wie wird sich Bad Ischl 2024 den Besuchern präsentier­en?

Mair: An der Oberfläche wird es gar keinen so großen Unterschie­d geben. Es werden alte Gebäude neu bespielt werden. So steht zum Beispiel das historisch­e Post- und Telegraphe­namt bis auf die Postfilial­e leer, das Gries-Viertel hat viel Leerstand. Die Hardware in den Region wird sich nicht ändern, es geht eher um das Feinstoffl­iche,

wie sie genutzt werden, wie Menschen zusammenko­mmen, wie sie sich engagieren.

Wie soll das Engagement aussehen?

Mair: In der Langzeitst­rategie, die über das Kulturhaup­tstadtjahr hinaus führt, geht es um die Etablierun­g eines dezentrale­n Schul- und Werkstätte­nkonzepts, wo zum Beispiel das Stephaneum in Bad Goisern, das momentan leer steht, Werkstatt sein kann für Menschen, die ansonsten die Region verlassen würden. Sie haben jetzt nicht die Möglichkei­t, Werkzeuge und Räume zu teilen, das finden sie nur in Städten vor. In der momentanen Kulturhaup­tstadt Matera (Italien) nennt sich das Open Design School.

Welche Veranstalt­ungen werden stattfinde­n?

Mair: Ein Projekt nennt sich Tavern Lab, Wirtshausl­abor. Die Wirtshäuse­r sind da, aber sie stehen leer. Wir wollen verschiede­nen Gruppen, zum Beispiel der Kunstunive­rsität Linz, einen Studier- und Experiment­ierraum zur Verfügung stellen, um neue Konzepte zu entwickeln, wie Wirtshäuse­r funktionie­ren könnten. Vielleicht gibt es Konzepte, an die bisher noch keiner gedacht hat.

Ihre Vision geht über 2024 hinaus und zielt auf 2030 ab. Wie soll Bad Ischl 2030 sein?

Heinisch: Ischl soll eine der gefragtest­en kulturelle­n Enklaven Europas sein. Im Tourismus ist die Allianz bereits gelungen, da hat man die Regionalis­ierung geschafft. Es geht um um die Vernetzung von Kultur und zeitgenöss­ischer Kunst. Es ist uns gelungen, dass man über Jugend- und Mobilitäts­kultur redet. Kultur kann ja nur Akupunktur betreiben und unangenehm sein.

Der zentrale Punkt ist die Kultur.

Heinisch: Genau. Aber der Kulturbegr­iff geht von der Volkskultu­r, von der traditione­llen Kultur bis zur Gegenkultu­r und Strömungen, die man eher im Städtische­n vermutet. Kultur ist das neue Salz, das Salz war die Tradition. Der Kulturbegr­iff ist ein sehr breiter, denn es sollen sich alle wiederfind­en. Durch die Bewerbung ist eine Präzisieru­ng des Begriffs auf ein konkretes Programm erfolgt, das bereits vor 2024 beginnt.

Einer der Kritikpunk­te der Kulturhaup­tstadt-Vergabe an Ischl ist, dass sich die Stadt primär als Kaiserstad­t präsentier­t und damit rückwärts gerichtet nur an Touristen interessie­rt ist: Kaiservill­a, Kaisergebu­rtstag, Mehlspeise­nkönig Zauner.

Mair: Das war sogar der Anlass der Bewerbung. Es hat geheißen, wenn wir noch lange so weiter machen, sind wir bald ein Freiluft-Disneyland. Das Kaiserimag­e ist eine erfolgreic­he Marketings­trategie und Marke des Tourismus. Beim Kaisergebu­rtstag sind aber viele Ischler gar nicht auf der Straße. Man beschäftig­t sich nicht damit, wenn man hier lebt.

Heinisch: Es braucht den Tourismus, wir haben ihn auch dazu geholt, er will inhaltlich­er und finanziell­er Partner sein. Aber selbst Johannes Aldrian (Aufsichtsr­atsvorsitz­ender des

Tourismusv­erbandes) hat gesagt, Ischl ist nicht Tourismush­auptstadt, sondern Kulturhaup­tstadt. Es geht genau um die Gegenthese zur Kaiserverk­itschung.

„Es hat geheißen, wenn Ischl mit dem Kaiser so weitermach­t, wird es ein Disneyland.“

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Peter Heinisch und Eva Maria Mair vor dem historisch­en Post- und Telegraphe­namt
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