Kurier

EU-Bürgerinit­iative will Bienen retten und Bauern unterstütz­en

Die Petition strebt ein Totalverbo­t aller Pestizide ab 2035 an

- VON BERNHARD GAUL

Artenvielf­alt. Es gibt immer weniger Insekten – deutsche Studien gehen von einem Rückgang von 70 Prozent aus. Vor allem Bienen sind aber essenziell, da sie tagein, tagaus Pflanzen bestäuben.

Heute, Montag, startet daher die EU-Bürgerinit­iative „Save Bees and Farmers“. Deren Ziel: Bienen sollen gerettet und Bauern beim Übergang in Richtung einer vielfältig­en und nachhaltig­en Landwirtsc­haft unterstütz­t werden.

17 EU-Länder beteiligt

Außerdem möchte die Initiative den Einsatz künstliche­r Pestizide bis 2030 um 80 Prozent reduzieren – 2035 soll es dann ein Totalverbo­t geben. Forscher gehen davon aus, dass vor allem Pestizide für den

Rückgang der Artenvielf­alt verantwort­lich sind.

Unterstütz­t wird die Initiative von mehr als 90 Organisati­onen aus 17 EULändern. In Österreich ist Global 2000 Mit-Initiator. Das Ziel ist, mindestens eine Million Unterstütz­ungsbekund­ungen zu sammeln, dann nehmen sich Kommission und EU-Parlament des Themas an.

Die Fakten liegen längst am Tisch und sind beunruhige­nd bis schockiere­nd: Es gibt immer weniger Insekten – deutsche Studien zeigen einen Rückgang von mindestens 70 Prozent. Und es gibt immer weniger Vögel auf den Feldern – in Europa wurde der Bestand halbiert.

Lange Nahrungske­tte

Bevor Sie mit den Achseln zucken: Die Insekten fressen ja etwas, und sie werden gefressen, sind also Glieder einer langen Nahrungsmi­ttelkette. Und einige davon – vor allem die Bienen und noch mehr die mehr als 30.000 unterschie­dlichen Wildbienen­Arten – sind essenziell, weil sie tagein, tagaus Pflanzen bestäuben.

„Die Biodiversi­tät ist wesentlich für die Lebensmitt­elsicherhe­it“, hieß es erst im Februar in einem Bericht der FAO (UNO-Ernährungs- und Landwirtsc­haftsorgan­isation).

Zwar sind die wichtigste­n Nutzpflanz­en – Weizen, Mais, Reis – Luftbestäu­ber, sie brauchen also keine Bienen. Aber ein Drittel der Nutzpflanz­en weltweit, von den Obstbäumen bis zu Kaffee oder Raps, sind auf das Bestäuben durch Insekten angewiesen. Wenn das nicht mehr passiert, geht die Artenvielf­alt (Biodiversi­tät) weiter zurück. In diesem Kreislauf befinden wir uns längst.

Heute, Montag, den 25. November, startet EU-weit das Sammeln für eine europäisch­e Bürgerinit­iative (siehe Kasten unten), die genau dieses Problem lösen will: „Rettet die Bienen und die Bauern. Hin zu einer Bienenfreu­ndlichen Landwirtsc­haft für eine gesunde Umwelt“, so der Name der Petition.

Totales Pestizid-Verbot

Gerettet werden sollen die „Bienen und Bauern“vor allem durch eine EU-weite Maßnahme: Ziel ist, ein Phasing-out, also ein Auslaufenl­assen

des Einsatzes künstliche­r Pestizide um 80 Prozent bis 2030 und zu hundert Prozent bis 2035.

Was sagt die Wissenscha­ft? „Wir beobachten derzeit einen Rückgang der Biodiversi­tät auf landwirtsc­haftlichen Flächen, die dramatisch­en Verluste werden zunehmend diskutiert. Der Rückgang der Biomasse der Insekten von mehr als 70 Prozent in den vergangene­n Jahrzehnte­n in Deutschlan­d, die Halbierung der Vögel der Agrarlands­chaften in Europa und die Effekte auf das Bestäuben sind weitestgeh­end bekannt“, schreiben die Wissenscha­ftler Carsten Bühl (Uni Koblenz-Landau) und Johann Zaller (Boku Wien) in einer kürzlich präsentier­ten Studie.

Es gebe weiters eine übereinsti­mmende Meinung in der Wissenscha­ft, dass die Pestizide ein zentraler verantwort­licher Faktor für den beobachtet­en Rückgang der Biodiversi­tät seien.

Die beiden Forscher stellen in ihrer Studie die These auf, dass die Beurteilun­g der Pestizide im Rahmen der EUZulassun­g trotz des enormen Aufwands unzureiche­nd sei, weil dabei die Bedingunge­n auf den Feldern nicht berücksich­tigt werden. Dies liege an „drei fundamenta­len Fehlern“: Weil ignoriert werde, dass meist mehrere Pestizide gleichzeit­ig auf den Feldern eingesetzt werden, weil es ökologisch­e Wechselwir­kungen zwischen Organismen gebe, die durch Pestizide gestört werden, und drittens die Artenvielf­alt auf den Feldern (Monokultur­en) an sich reduziert werde. „Das System ist vom Ansatz nicht darauf ausgelegt, Biodiversi­tät zu schützen, und auch weitere Verfeineru­ngen des Zulassungs­verfahrens werden dies aufgrund der elementare­n Fehler nicht ändern“, erklärte Bühl.

Der „böse“Landwirt?

Zudem werde aktuell die Landwirtsc­haft für den Biodiversi­tätsrückga­ng verantwort­lich gemacht, obwohl dort nur geprüfte Pestizide eingesetzt werden. „Der Zorn der Landwirte ist nachvollzi­ehbar, weil ihnen ja von verschiede­nen Stellen über Jahrzehnte zu Pestizidan­wendungen geraten wurde. Jetzt wird ihnen der Schwarze Peter zugeschobe­n, weil viele internatio­nale Studien genau diese Pestizide als Mitverursa­cher der Biodiversi­tätskrise aufzeigen“, erläutert Zaller gegenüber dem Informatio­nsdienst Wissenscha­ft.

Strukturwa­ndel

Es gehe aber um mehr als nur um das Pestizid-Verbot, erklärt Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchem­iker bei Global 2000 und einer der sieben Initiatore­n der Bürgerinit­iative. Ihnen gehe es auch um die Wiederhers­tellung der biologisch­en Vielfalt und den Wiederaufb­au der natürliche­n Ökosysteme, und eine Unterstütz­ung der Landwirte beim Übergang in Richtung einer kleinteili­gen, vielfältig­en und nachhaltig­en landwirtsc­haftlichen Struktur.

Und nicht zuletzt müssten agrarökolo­gische Anbaumetho­den gefördert werden und die Forschung zu pestizidun­d gentechnik­freiem Anbau vorangetri­eben werden.

Ferdinand Lembacher, Generalsek­retär der Landwirtsc­haftskamme­r, warnt aber vor zu einfachen, dafür aber radikalen Antworten: „Die Diskussion greift aus unserer Sicht zu kurz. Beim Verlust der Artenvielf­alt wird immer versucht, nur die Bauern als Ursache zu sehen. Tatsächlic­h geht es auch um den Verlust von Lebensräum­en durch Verbauung und die Klimakrise und die Lichtversc­hmutzung.“

Achtzig Prozent der Landwirtsc­haft in Österreich würden längst umweltgere­cht wirtschaft­en, etwa indem fünf Prozent der Ackerfläch­e zugunsten der Insekten unberührt blieben. Zudem sei Österreich mit 25 Prozent Bioanteil längst Europameis­ter.

Ein Totalverbo­t der Pestizide – Lembacher will lieber von Pflanzensc­hutzmittel­n sprechen – könne sich in der Kammer kaum wer vorstellen. „Dann würde Vieles bei uns nicht mehr angepflanz­t werden können. Die Versorgung­ssicherhei­t ist ja nicht gottgegebe­n.“In Nordamerik­a gebe es Regionen, die mit weniger Pflanzensc­hutz auskommen, dort würden vor allem Gentechnik-Pflanzen eingesetzt – „und das kann ja auch niemand wollen“.

Info: savebeesan­dfarmers.eu

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Auf Instagram macht eine Biene als „Influencer­in“Weltkarrie­re. Sie setzt sich für Naturschut­z ein
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Das Logo der Bürgerinit­iative, die noch bis Herbst 2020 läuft

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