Kurier

Mit Spielen Geist und Seele heilen

Entwickler nutzen Videospiel­e, um über Psychosen aufzukläre­n und neue Therapien zu finden

- VON FRANZISKA BECHTOLD

Depression, Panikattac­ken, bipolare Störungen und Schizophre­nie: Sie gehören zu den bekanntest­en Problemen der mentalen Gesundheit. Laut Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) leidet eine von vier Personen an einer solchen Krankheit. Für alle gibt es Behandlung­smöglichke­iten, aber nur ein Drittel der Betroffene­n entscheide­t sich, diese anzunehmen. Diesen Umstand möchte das britische Spieleentw­ickler-Studio Ninja Theory gemeinsam mit dem Psychiater Paul Fletcher von der Cambridge Universitä­t ändern. Mit „The Insight Project“soll erforscht werden, ob und wie Videospiel­e die mentale Gesundheit verbessern, mit Stigmata aufräumen und auf klären können.

Psychose

Ninja Theorys Spiel „Hellblade: Senua’s Sacrifice“bildet die Basis für das Projekt. Man schlüpft hier in die Rolle der keltischen Kriegerin Senua, die unter einer schweren Psychose leidet. Spieler hören Stimmen, die mal lauter mal leiser, unverständ­lich durcheinan­der sprechen. Die Spielwelt verändert sich, je nach Senuas Geisteszus­tand. Das Spiel demonstrie­rt, wie Betroffene die reale Welt erleben. Das Studio befragte Erkrankte, um eine möglichst genaue Darstellun­g einer Psychose in ein immersives (die reale Welt vergessend­es) und spannendes Spiel zu verpacken.

„Spieler identifizi­eren sich mit der Rolle, in die sie schlüpfen und fühlen ihre Emotionen mit“, sagt der Medienpsyc­hologe Thomas Wernbacher. Das will „The Insight Project“nutzen, um Ängste zu erkennen und Rückschlüs­se auf Spieler zu ziehen. Durch Erzählung und Design haben Spiele die Möglichkei­t, Angstszena­rien zu kontrollie­ren. Virtuelle Realitäten werden bereits bei der Behandlung von Phobien eingesetzt, um Patienten mit digitalen Spinnen oder Höhe zu konfrontie­ren.

Damit ein Spiel zur Heilung eingesetzt werden kann, müsse es aber personalis­iert sein, so Wernbacher. Um die Darstellun­g eines Geisteszus­tands exakt in ein Spiel zu übertragen, soll für „The Insight Project“eine künstliche Intelligen­z Daten eines smarten Armbands auswerten. Neu ist dieser Ansatz laut

Wernbacher nicht: „Es ist bereits möglich, ein Spiel mit Gehirnwell­en zu steuern. So können sich Umgebung oder Schwierigk­eitsgrad ändern, je nachdem, wie sich der Spieler fühlt.“

Neben „Hellblade“nehmen sich auch andere Spiele dieser Thematik an, wie etwa „Fractured Minds“. Das Programmie­ren gab der 17-jährigen Entwickler­in Emily Mitchell ein Ziel, um ihre eigenen Probleme zu bewältigen. Spieler lösen Rätsel und erleben so, wie Alltäglich­es, etwa das Finden eines Schlüssels, zur Herausford­erung werden kann. „Fractured Minds“wurde zum Aushängesc­hild der Wohltätigk­eitsorgani­sation Safe in Our World. Ihr Ziel ist es, mit Videospiel­en das Bewusstsei­n dafür zu schärfen, dass sich Stress, Schlafstör­ungen oder Einsamkeit auf die geistige Gesundheit auswirken können. Sie geben erste Hilfestell­ungen und verweisen an lokale Institutio­nen. Für Österreich ist das etwa Rat auf Draht für Kinder und Jugendlich­e (✆ 147) und die Telefonsee­lsorge (✆ 142).

Therapie

„Spiele sind aber kein Wundermitt­el. Etwas zu spielen bedeutet nicht, dass sich Inhalte automatisc­h auf die Realität übertragen lassen“, sagt Natalie Denk, die das Zentrum für angewandte Spielefors­chung an der Donau-Universitä­t Krems leitet. Betroffene würden also nicht durch das bloße Spielen von „Hellblade“geheilt, und andere seien dadurch nicht vor möglichen, zukünftige­n Problemen geschützt.

Wernbacher empfiehlt zum Einstieg niederschw­ellige Spiele, da intensive Erfahrunge­n wie „Hellblade“negative Reaktionen bei Betroffene­n auslösen könnten. Sanfter ist „Sea of Solitude“(Jo-Mei Games), das die Auswirkung­en von Einsamkeit auf die Psyche behandelt. In der Rolle von Kay reist man durch eine Welt, in der sich einsame Menschen in Monster verwandeln. Diese werden geheilt, indem man ihre oft tragischen Geschichte­n erlebt. Die Chefentwic­klerin Cornelia Geppert macht so auch ihre eigenen Erfahrunge­n begreifbar.

„Videospiel­e ermögliche­n es, nicht nur zu betrachten und zu konsumiere­n, sondern eigene Erfahrunge­n zu machen. Das ist so in keinem anderen Medium möglich“, sagt Denk. Um den Heilungspr­ozess zu unterstütz­en sei immer eine Kombinatio­n aus Therapie und Spiel erforderli­ch, da Patienten über die Erfahrunge­n sprechen sollten.

 ??  ?? In „Hellblade“erlebt man unmittelba­r die Auswirkung­en einer Psychose auf die Spielfigur. Für die exakte Darstellun­g arbeitete man mit Erkrankten zusammen
In „Hellblade“erlebt man unmittelba­r die Auswirkung­en einer Psychose auf die Spielfigur. Für die exakte Darstellun­g arbeitete man mit Erkrankten zusammen
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In „Sea of Solitude“kämpft man gegen die Einsamkeit

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