Mit Spielen Geist und Seele heilen
Entwickler nutzen Videospiele, um über Psychosen aufzuklären und neue Therapien zu finden
Depression, Panikattacken, bipolare Störungen und Schizophrenie: Sie gehören zu den bekanntesten Problemen der mentalen Gesundheit. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) leidet eine von vier Personen an einer solchen Krankheit. Für alle gibt es Behandlungsmöglichkeiten, aber nur ein Drittel der Betroffenen entscheidet sich, diese anzunehmen. Diesen Umstand möchte das britische Spieleentwickler-Studio Ninja Theory gemeinsam mit dem Psychiater Paul Fletcher von der Cambridge Universität ändern. Mit „The Insight Project“soll erforscht werden, ob und wie Videospiele die mentale Gesundheit verbessern, mit Stigmata aufräumen und auf klären können.
Psychose
Ninja Theorys Spiel „Hellblade: Senua’s Sacrifice“bildet die Basis für das Projekt. Man schlüpft hier in die Rolle der keltischen Kriegerin Senua, die unter einer schweren Psychose leidet. Spieler hören Stimmen, die mal lauter mal leiser, unverständlich durcheinander sprechen. Die Spielwelt verändert sich, je nach Senuas Geisteszustand. Das Spiel demonstriert, wie Betroffene die reale Welt erleben. Das Studio befragte Erkrankte, um eine möglichst genaue Darstellung einer Psychose in ein immersives (die reale Welt vergessendes) und spannendes Spiel zu verpacken.
„Spieler identifizieren sich mit der Rolle, in die sie schlüpfen und fühlen ihre Emotionen mit“, sagt der Medienpsychologe Thomas Wernbacher. Das will „The Insight Project“nutzen, um Ängste zu erkennen und Rückschlüsse auf Spieler zu ziehen. Durch Erzählung und Design haben Spiele die Möglichkeit, Angstszenarien zu kontrollieren. Virtuelle Realitäten werden bereits bei der Behandlung von Phobien eingesetzt, um Patienten mit digitalen Spinnen oder Höhe zu konfrontieren.
Damit ein Spiel zur Heilung eingesetzt werden kann, müsse es aber personalisiert sein, so Wernbacher. Um die Darstellung eines Geisteszustands exakt in ein Spiel zu übertragen, soll für „The Insight Project“eine künstliche Intelligenz Daten eines smarten Armbands auswerten. Neu ist dieser Ansatz laut
Wernbacher nicht: „Es ist bereits möglich, ein Spiel mit Gehirnwellen zu steuern. So können sich Umgebung oder Schwierigkeitsgrad ändern, je nachdem, wie sich der Spieler fühlt.“
Neben „Hellblade“nehmen sich auch andere Spiele dieser Thematik an, wie etwa „Fractured Minds“. Das Programmieren gab der 17-jährigen Entwicklerin Emily Mitchell ein Ziel, um ihre eigenen Probleme zu bewältigen. Spieler lösen Rätsel und erleben so, wie Alltägliches, etwa das Finden eines Schlüssels, zur Herausforderung werden kann. „Fractured Minds“wurde zum Aushängeschild der Wohltätigkeitsorganisation Safe in Our World. Ihr Ziel ist es, mit Videospielen das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass sich Stress, Schlafstörungen oder Einsamkeit auf die geistige Gesundheit auswirken können. Sie geben erste Hilfestellungen und verweisen an lokale Institutionen. Für Österreich ist das etwa Rat auf Draht für Kinder und Jugendliche (✆ 147) und die Telefonseelsorge (✆ 142).
Therapie
„Spiele sind aber kein Wundermittel. Etwas zu spielen bedeutet nicht, dass sich Inhalte automatisch auf die Realität übertragen lassen“, sagt Natalie Denk, die das Zentrum für angewandte Spieleforschung an der Donau-Universität Krems leitet. Betroffene würden also nicht durch das bloße Spielen von „Hellblade“geheilt, und andere seien dadurch nicht vor möglichen, zukünftigen Problemen geschützt.
Wernbacher empfiehlt zum Einstieg niederschwellige Spiele, da intensive Erfahrungen wie „Hellblade“negative Reaktionen bei Betroffenen auslösen könnten. Sanfter ist „Sea of Solitude“(Jo-Mei Games), das die Auswirkungen von Einsamkeit auf die Psyche behandelt. In der Rolle von Kay reist man durch eine Welt, in der sich einsame Menschen in Monster verwandeln. Diese werden geheilt, indem man ihre oft tragischen Geschichten erlebt. Die Chefentwicklerin Cornelia Geppert macht so auch ihre eigenen Erfahrungen begreifbar.
„Videospiele ermöglichen es, nicht nur zu betrachten und zu konsumieren, sondern eigene Erfahrungen zu machen. Das ist so in keinem anderen Medium möglich“, sagt Denk. Um den Heilungsprozess zu unterstützen sei immer eine Kombination aus Therapie und Spiel erforderlich, da Patienten über die Erfahrungen sprechen sollten.