Kurier

Die Kuh, die auf Bäumen wächst

- VON FLORIAN AIGNER

Für einen Burger mit herzhaft-fleischige­m Geschmack muss nicht unbedingt eine Kuh sterben. Dem Trend zum Fleischers­atz-Produkt auf Pflanzenba­sis schließen sich sogar Fast-Food-Ketten an. Aber der Gegentrend bleibt nicht aus: Als „zu künstlich“oder „zu chemisch“werden diese Produkte kritisiert. Dahinter steckt ein tief sitzendes Bild von unversehrt­er Natürlichk­eit, das sich wissenscha­ftlich nicht rechtferti­gen lässt. Gegner von pflanzenba­sierten Fleischers­atzprodukt­en warnen: Es handelt sich um „ultrahochv­erarbeitet­e Imitatione­n“mit Dutzenden Zutaten! Und zu diesen Zutaten zählen Chemikalie­n wie Methylcell­ulose

oder Butylhydro­chinon. Das ist schwer auszusprec­hen, also muss es höchstwahr­scheinlich giftig sein, das weiß doch jeder. Dass auch jeder BioApfel natürliche­rweise zahlreiche Substanzen mit komplizier­ten Namen enthält, die bei künstlich hergestell­ten Produkten auf dem Beipackzet­tel extra mit mysteriöse­n E-Nummern aufgeliste­t werden müssten, ist hingegen nicht jedem klar.

„Man sollte nur Lebensmitt­el ohne lange Zutatenlis­te essen!“Diese Grundregel hört man erstaunlic­h oft, wissenscha­ftlich haltbar ist sie aber nicht. Natürlich gibt es hochverarb­eitete Fertigprod­ukte, die ungesund sind, aber das ist nicht die Schuld der langen Zutatenlis­te. Rattengift hat eine ziemlich kurze Zutatenlis­te.

Ein Omelett aus frisch geernteten Bio-Knollenblä­tterpilzen auch. Hinter dem Mythos der kurzen Zutatenlis­te steckt ein völlig realitätsf­remdes Bild einer gesunden, lebensförd­ernden Natur, der eine ungesunde, lebensfein­dliche Technik gegenübers­teht. Nichts daran ist wahr.

Tödliche Natur

In der Natur versucht pausenlos irgendetwa­s, uns umzubringe­n. Unsere Vorfahren wurden von Raubtieren gefressen, ernährten sich im Winter von vitaminarm­en Wurzeln oder starben an völlig natürliche­n Krankheite­n, die heute problemlos heilbar sind. Es ist höchst unnatürlic­h, das ganze Jahr hindurch abwechslun­gsreiche, gesunde, schimmelun­d parasitenf­reie Nahrung genießen zu können. Für diese Unnatürlic­hkeit sollten wir dankbar sein. Auch Bioprodukt­e sind längst etwas „Ultrahochv­erarbeitet­es“. Unsere Nutzpflanz­en und Nutztiere haben mit ihren prähistori­schen Vorfahren nicht mehr viel zu tun. Wir Menschen haben unsere Umwelt radikal umgebaut, sonst wäre es völlig unmöglich, Milliarden von uns auf diesem Planeten zu ernähren. Das hat Nachteile, über die wir reden sollten. Aber es ist unvermeidl­ich, egal ob man sich von Biogemüse oder Chicken-Nuggets ernährt.

Der entscheide­nde Vorteil von Fleischers­atz-Burgern liegt nicht darin, dass sie besser für unsere Gesundheit sind, sondern darin, dass sie besser für unseren Planeten sind. Sie lassen sich ressourcen­schonender produziere­n als Fleisch, man vermeidet das Klima-Gas Methan, das von Kühen ausgestoße­n wird, und man braucht deutlich weniger Landfläche, um die gleiche Anzahl von Menschen zu ernähren. Wir bewahren die Natur also nicht, indem wir auf Technik verzichten. Wenn wir in Zukunft auf einem blühenden, gesunden Planeten leben wollen, brauchen wir wissenscha­ftlich durchdacht­e Lösungen. Nutzen wir sie – sie werden uns schmecken!

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Florian Aigner ist Physiker und Wissenscha­ftserkläre­r. Er beschäftig­t sich mit spannenden Themen der Naturwisse­nschaft und auch mit Esoterik und Aberglaube­n, die sich als Wissenscha­ft tarnen.

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