Kurier

Der aberwitzig­e Wahnsinn hat hier mehr als Methode

Kritik. „König Karotte“von Jacques Offenbach an der Wiener Volksoper – ein auch exaltierte­r Spaß der Superlativ­e.

- VON PETER JAROLIN

Sie mögen kein Gemüse? Sie sind kein Vegetarier oder gar Veganer? Macht doch nichts! Denn dieses Gemüse, das an der Wiener Volksoper in der Neuprodukt­ion von Jacques Offenbachs „König Karotte“die Macht übernimmt, steht wirklich im Saft und hat sehr viel (musikalisc­hes wie szenisches) Fleisch in sich.

Denn „König Karotte“(Libretto: Victorien Sardou) ist vieles. Eine „komische Zauberoper“, eine wahnwitzig­e Mixtur aus Oper, Operette, Revue und politische­r Parabel, eine groteske, nicht immer der Logik verpflicht­ete Szenenfolg­e skurriler Situatione­n – kurzum also ein Werk, das sich gar nicht so leicht fassen lässt.

Regisseur Matthias Davids, seinem kongeniale­n, weil extrem filmisch operierend­en Ausstatter Mathias Fischer-Dieskau und der Kostümbild­nerin (was für eine herrlich gearbeitet­e, bunte, fantastisc­he Optik!) Susanne Hubrich aber ist es gelungen, dieses Stück perfekt in den Griff zu bekommen. Denn jedes Theater ist immer auch eine Behauptung.

Donald und Boris

Und so wird einfach behauptet, dass der verschwend­erische Müßiggänge­r Prinz Fridolin von Krokodyne gestürzt (und letztlich geläutert) werden muss. Dass die böse Hexe Kalebasse einen Gemüsegart­en zum Leben erweckt und eine Karotte – Ähnlichkei­ten mit Donald Trump oder Boris Johnson sind rein zufällig – als Herrscher inthronisi­ert. Dass die überdrehte Prinzessin Kunigunde zur Karottenfr­au mutiert. Dass die liebliche Rosée-du-Soir mit Fridolin ins Reich der Ameisen und der Affen zieht. Oder dass Karotte

ohne seinen stramm nationalen, jedoch situations­elastische­n Geheimdien­stchef „nach links zu kippen“droht. Auch das legendäre Pompeji (Zeitreisen sind Teil der Geschichte) muss untergehen, ein magischer Ring wird gefunden, ein Kleeblatt und ein Affe sorgen letztlich für das Happy-End.

Irre Wundertüte

Eine theatralis­che Wundertüte, die unendlich viel Spaß macht, die an der Volksoper – die Staatsoper Hannover fungierte als Kooperatio­nspartner – in perfekter Weise umgesetzt wird. Auch in musikalisc­h-spielerisc­her Hinsicht. Denn am Gürtel sind tolle Singschaus­pieler am Werk. An der Spitze: SungKeun Park als grandioser, aber letztlich doch vor sich hin welkender König Karotte, gefolgt von Mirko Roschkowsk­i als auch vokal imponieren­der, naiver Prinz Fridolin.

Ein Genuss auch die Damen: Amira Elmadfa in der Hosenrolle des guten Geistes Robin beeindruck­t stimmlich wie darsteller­isch. Johanna Arrouas ist eine quirlig-entzückend­e Rosée-du-Soir und Julia Koci eine köstlich exaltierte, Justin Bieber anhimmelnd­e Kunigunde. Als Hexe Kalebasse (und als alter Zauberer Quribibi) liefert Christian Graf ein Gustostück ab; Marco Di Sapia, Yasushi Hirano, Josef Luftenstei­ner, Boris Eder, Jakob Semotan oder Martina Dorak als Brigadefüh­rerin („Hojotoho!“) der Ameisen führen ein großartige­s Ensemble an.

Dazu kommen Chor (Einstudier­ung: Holger Kristen) und Ballett (Choreograf­ie: Kati Farkas) des Hauses, die ihre großen, szenisch bewusst schrillen Momente haben. Ebenso wie das sehr gute Orchester unter der kundigen Leitung von Guido Mancusi, der alle Offenbach-Melodien samt Zusatz-Couplets (es gibt ja auch die CasinosAff­äre) zum Klingen bringt. Das Premierenp­ublikum jubelte! Oder, um es mit Karl Farkas zu sagen: „Schau’n Sie sich das an!“KURIER-Wertung:

 ??  ?? Revolution statt Impeachmen­t: Sung-Keun Park (li.) als König Karotte regiert kurzzeitig ein inkompeten­tes Gemüse-Kabinett
Revolution statt Impeachmen­t: Sung-Keun Park (li.) als König Karotte regiert kurzzeitig ein inkompeten­tes Gemüse-Kabinett

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