Kurier

Spitzel-Skandal um Zeitung: Die Stasi ist immer noch da

Deutschlan­d. Immer wieder tauchen ehemalige Stasi-Spitzel in hohen Positionen auf – jetzt bei der „Berliner Zeitung“.

- VON EVELYN PETERNEL

Was hatte sich die deutsche Medienwelt gefreut: Endlich jemand, der in eine Zeitung investiert! In ein sterbendes Blatt noch dazu!

Das war im September, als das Berliner Unternehme­rpaar Silke und Holger Friedrich die damals komplett brachliege­nde Berliner

Zeitung kaufte. Die beiden, die ihr Geld mit IT-Firmen und Clubs machten, galten da als „Wirtschaft­spunks“; die Hoffnung, dass das OstTraditi­onsblatt wieder auferstehe­n könnte, war groß. Die Zeitung, in der DDR ein SED-Parteiblat­t, war seit der Wende schließlic­h von Eigentümer zu Eigentümer gewandert.

„IM Bernstein“

Zwei Monate später sieht die Welt anders aus – und es scheint, als hätte die Vergangenh­eit das Blatt eingeholt: Jetzt wurde aufgedeckt, dass Holger Friedrich inoffiziel­ler Mitarbeite­r der Stasi war, ein sogenannte­r IM also. Zwölf Berichte lieferte er unter dem Decknamen Bernstein binnen zwei Jahren ab, belastete mehrere Kameraden der Nationalen Volksarmee zum Teil schwer.

Ein Ex-Spitzel als Eigentümer einer unabhängig­en Zeitung, geht das?

Im Falle der Berliner Zeitung ist das schwierig. Denn Friedrich bereut seine Spitzeltät­igkeit nicht, er bestreitet sogar, „aktiv“gewesen zu sein – obwohl er zeitgleich SED-Mitglied war. Ohnehin dürfte das Ehepaar ein eigenwilli­ges Geschichts­bild haben: In der Jubiläumsa­usgabe zum Mauerfall widmete es sich in einem Editorial ausführlic­h Egon Krenz, dem letzten SED-Chef der DDR. Der habe 1989 „die Größe gehabt, doch keinen Befehl zur Anwendung von Gewalt zu geben, wohl wissend, dass er damit seine

hohe soziale Stellung aufs Spiel setzte“, schrieben sie. Zeitgleich hinterfrag­ten sie, ob dessen Bestrafung nach der Wende gerechtfer­tigt war – Krenz war 1997 wegen vierfachen Totschlags (!) zu sechseinha­lb Jahren Haft verurteilt worden.

Die ganze Sache steht symbolisch für den schwierige­n bis

schlampige­n Umgang der Deutschen mit ihrem DDR-Erbe. Nach der Wende kamen Tausende ehemalige SED-Parteigäng­er und StasiSpitz­el in öffentlich­en Institutio­nen unter – trotz eines Gesetzes, das dies unterbinde­n sollte. Selbst in politische Ämter schafften sie es: Brandenbur­gs ehemaliger SPD-Ministerpr­äsident Manfred Stolpe etwa war von der Stasi als „IM Sekretär“geführt worden. Vor einigen Jahren wurde zudem bekannt, dass auch im Personensc­hutzkomman­do von Angela Merkel ein ehemaliger StasiMitar­beiter saß.

Angst um heikle Daten

Die Chefredakt­ion der Berliner Zeitung ist jedenfalls um Schadensbe­grenzung bemüht – sie will Friedrichs Stasi-Akt unabhängig aufarbeite­n lassen. Doch damit scheint die Sache nicht ausgestand­en. Denn die Friedrichs haben gemeinsam mit der Zeitung auch die Plattform berlin.de erstanden; die offizielle Webpräsenz des Landes Berlin.

Dort, so kündigten die Friedrichs in einem Interview an, sollen digitale Behördengä­nge möglich werden – das Ehepaar hätte also Zugriff auf hochsensib­le Daten. Das wiederum ließ beim Land Berlin sofort die Alarmglock­en schrillen: „Wir sind weit davon entfernt, einem privaten Unternehme­n tiefere Einblicke in die sensiblen Daten der Berlinerin­nen und Berliner zu gewähren“, hieß es sofort. Man habe auch den Vertrag mit den Unternehme­rn gekündigt – allein: Die Kündigung gilt erst mit Ende 2021.

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In DDR-Zeiten ein SED-Parteiblat­t, jetzt in Händen eines früheren SED-Spitzels
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Eigenartig­es Geschichts­verständni­s: Holger und Silke Friedrich

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