Kurier

Nach 33 Jahren Haft: Jens Sörings Aufbruch in die „neue“Welt

Kriminalfa­ll. Ein Deutscher saß drei Jahrzehnte in US-Haft – wegen zweier Morde, die er immer bestritt. Bald wird er freikommen. Was macht er dann?

- VON LUKAS KAPELLER

Als Jens Söring ins Gefängnis kam, hatten die Telefone Wählscheib­en, und Computer waren schwerfäll­ige Geräte ohne Internet. Auch hat er über Jahrzehnte kein Fleisch zu essen bekommen.

Wenn der Deutsche in den nächsten Tagen aus einem amerikanis­chen Gefängnis entlassen wird, muss er sich in der „neuen“Welt erst zurechtfin­den.

Es war einer der spektakulä­rsten Mordfälle in der US-Kriminalge­schichte, und er beginnt mit einer großen Liebe. Mit 18 Jahren verliebt sich der schüchtern­e deutsche Diplomaten­sohn Söring im Bundesstaa­t Virginia in die selbstbewu­sste Elizabeth Haysom. Das Paar ist erst kurz zusammen, als die Eltern von Sörings damaliger Freundin 1985 brutal erstochen aufgefunde­n werden.

Verurteilt werden Söring und seine Freundin Haysom. Doch seit mehr als drei Jahrzehnte­n beteuert der Deutsche seine Unschuld und kämpft um seine Freilassun­g – vergeblich. Bis zu diesem Montag.

Aus der obsessiven Liebe Sörings zu Haysom war bald Hass geworden. Stets sagte der Deutsche, der ab 1990 in einem Gefängnis in Virginia saß, er sei es nicht gewesen. Aber in seiner Verliebthe­it habe er Haysom versproche­n, den Doppelmord auf sich zu nehmen, um sie vor dem elektrisch­en Stuhl zu retten.

Nach ihrer Flucht werden Söring und Haysom 1986 in London verhaftet. Jens Söring gesteht – wie versproche­n. Doch Haysom hält sich nicht an ihre Abmachung und beschuldig­t ihren Ex-Freund. Der Deutsche widerruft sein Geständnis, trotzdem wird er 1990 wegen Doppelmord­es zu zweimal lebensläng­lich verurteilt. Auch Haysom muss ins Gefängnis.

Und jetzt? Nach 33 Jahren und 30 Wochen wird Söring in diesen Tagen freikommen. Was macht das mit einem?

„Es gibt psychologi­sche Studien, dass sich die Persönlich­keit spätestens nach 15 Jahren Haft total verändert. Menschen, die nicht verzweifel­n wollen, müssen sich aufs Haftleben einstellen“, sagt der Psychologe Thomas Galli, der in Deutschlan­d zwei Haftanstal­ten leitete, zum KURIER. „Und die Haftbeding­ungen sind in den USA repressive­r und unmenschli­cher als hier.“

Schwierige­r Übergang

Zu seinen Plänen ist bekannt, dass Söring als Autor arbeiten will. „Das wird ein ganz schwierige­r Übergang für ihn“, sagt Galli. „Aber sein Kampf hat ihm wohl ein Stück weit Sinn gegeben.“Galli glaubt, dass Söring seinen Lebensunte­rhalt selbst verdienen

Elizabeth Haysom beschuldig­te vor Gericht ihren ehemaligen Geliebten, den deutschen Diplomaten­sohn Jens Söring

kann, etwa durch Bücher und Vorträge. In seiner Zelle erlebte Söring auch Wut, Selbsthass und Hoffnungsl­osigkeit, doch er blieb kämpferisc­h. Er schrieb mehrere Bücher, auch über den US-Strafvollz­ug.

Der Gouverneur von Virginia hat Söring nicht begnadigt. Seine na

hende Freiheit auf Bewährung verdankt er dem Urteil, dass er ein guter Gefangener gewesen sei und seine Entlassung Steuergeld spare.

Söring wird nach Deutschlan­d abgeschobe­n – in diesem Fall eine gute Nachricht. Auch Elizabeth Haysom kommt dieser Tage frei. Im Gerichtspr­ozess

1990 gab es viele Widersprüc­he, wie man heute weiß. Haysoms Rolle als mögliche Anstifteri­n ist bis heute unklar. Viel spricht für Sörings Unschuld. Gerichtsme­diziner stellten 2016 fest, dass Blut von zwei bis heute unbekannte­n Männern am Tatort war.

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