#MeToo: Ist jetzt Schluss mit luftig?
Wie neue Richtlinien Sexszenen in Filmen und Serien verändern könnten
Etwas Gutes hatten die sexuellen Entgleisungen Harvey Weinsteins für die Filmwelt: Seit den Enthüllungen vor zwei Jahren herrscht in der Branche höchste Sensibilitätsstufe. Im Zuge der #MeToo-Bewegung wurden Baustellen vor und hinter der Kamera diskutiert, sei es die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen, der Mangel an weiblichen Autorinnen oder, aktuell, ein besonders heikles Feld: die Sexszene.
Es war Emilia Clarke, Star aus „Game of Thrones“, die jüngst in einem PodcastInterview Besorgniserregendes erzählte: Sie sei am Set zu Nackt- und Sexszenen gedrängt worden, hätte sich höchst unwohl gefühlt und um jeden Zentimeter Bettlaken gefeilscht. Weil sie frisch von der Schauspielschule kam und ihren Job nicht gefährden wollte, tat sie, was ihr gesagt wurde. Die deutliche Darstellung von Sex, so die Regisseure, sei schließlich ein Erfolgsfaktor der Fantasy-Saga.
Gefährliche Grauzone
Clarke ist nicht die einzige Schauspielerin, die das Bloßziehen vor der Kamera später bereute und sich unter Druck gesetzt fühlte (siehe unten).
Ein Dilemma: Sex – nicht bloß angedeutete Erotik – scheint in immer mehr populären Filmen und Serien unverzichtbar zu sein, sei es der Netflix-Hit „Sex Education“, die Serie „Fleabag“oder eben „Game of Thrones“. Der Grat zwischen mutiger Darstellung und emotionaler Verletzung ist schmal, gerade für junge Schauspieler wie Clarke, die am Beginn ihrer Karriere stehen. Großbritannien möchte diesen Graubereich nun auflösen und erließ als erstes Land einen Richtlinienkatalog für das Drehen von Sex- und Nacktszenen: So sollen Autoren beim Schreiben zweimal überlegen, ob die Szene wirklich nötig ist, Schauspieler schon beim Casting über geplante Sex-Szenen informiert werden und niemals nackt vorsprechen müssen. Vor und nach Nacktszenen müssen Bademäntel gereicht werden, die Zahl der Personen am Set soll auf ein Minimum reduziert werden.
„Aus psychologischer Sicht sind diese neuen Regeln absolut zu begrüßen“, sagt Daniela Renn, Klinische Psychologin und Sexualtherapeutin. Die Gefahr einer neuen Zugeknöpftheit sieht sie nicht: „Das hat überhaupt nichts mit Prüderie zu tun, im Gegenteil. Es geht nicht nur um den Schutz der Schauspieler, sondern auch um den der Zuseher. Grenzen zu setzen ist sehr gesund und sollte eigentlich selbstverständlich sein.“Eben diese hätten sich in den vergangenen Jahren stark verschoben, Serien wie „Sex and the City“, die früher am späten Abend gezeigt wurden, laufen heute auch schon mal am Vormittag, Sex wird sehr eindeutig und in den aufregendsten Positionen dargestellt. „Für eine Sexszene muss man aber nicht unbedingt intimste Details oder die Geschlechtsteile zeigen“, sagt die Psychologin. „Es geht in erster Linie darum, ein prickelndes Gefühl zu vermitteln. Für Erotik braucht es nicht unbedingt Penis oder Vagina im Bild, im Gegenteil: Weniger ist mehr.“
Geht es nach dem britischen Guardian, sollen überhaupt nur noch etablierte Schauspielerinnen ab fünfzig nackt auf dem Schirm zu sehen sein – erstens, weil diese schon genau wüssten, was sie (nicht) wollen, zweitens, weil man so endlich ein realistischeres Körperbild transportieren würde. Eine Idee, der auch die Sexualpsychologin etwas abgewinnen kann. „Man bekommt ja den Eindruck, dass so eine Sexualität ganz normal sein würde. Das ist sie aber nicht.“
„Für Sex-Szenen muss man nicht unbedingt intimste Details oder die Geschlechtsteile zeigen.“
Daniela Renn Sexualpsychologin und -therapeutin