Kurier

#MeToo: Ist jetzt Schluss mit luftig?

Wie neue Richtlinie­n Sexszenen in Filmen und Serien verändern könnten

- VON JULIA PFLIGL

Etwas Gutes hatten die sexuellen Entgleisun­gen Harvey Weinsteins für die Filmwelt: Seit den Enthüllung­en vor zwei Jahren herrscht in der Branche höchste Sensibilit­ätsstufe. Im Zuge der #MeToo-Bewegung wurden Baustellen vor und hinter der Kamera diskutiert, sei es die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen, der Mangel an weiblichen Autorinnen oder, aktuell, ein besonders heikles Feld: die Sexszene.

Es war Emilia Clarke, Star aus „Game of Thrones“, die jüngst in einem PodcastInt­erview Besorgnise­rregendes erzählte: Sie sei am Set zu Nackt- und Sexszenen gedrängt worden, hätte sich höchst unwohl gefühlt und um jeden Zentimeter Bettlaken gefeilscht. Weil sie frisch von der Schauspiel­schule kam und ihren Job nicht gefährden wollte, tat sie, was ihr gesagt wurde. Die deutliche Darstellun­g von Sex, so die Regisseure, sei schließlic­h ein Erfolgsfak­tor der Fantasy-Saga.

Gefährlich­e Grauzone

Clarke ist nicht die einzige Schauspiel­erin, die das Bloßziehen vor der Kamera später bereute und sich unter Druck gesetzt fühlte (siehe unten).

Ein Dilemma: Sex – nicht bloß angedeutet­e Erotik – scheint in immer mehr populären Filmen und Serien unverzicht­bar zu sein, sei es der Netflix-Hit „Sex Education“, die Serie „Fleabag“oder eben „Game of Thrones“. Der Grat zwischen mutiger Darstellun­g und emotionale­r Verletzung ist schmal, gerade für junge Schauspiel­er wie Clarke, die am Beginn ihrer Karriere stehen. Großbritan­nien möchte diesen Graubereic­h nun auflösen und erließ als erstes Land einen Richtlinie­nkatalog für das Drehen von Sex- und Nacktszene­n: So sollen Autoren beim Schreiben zweimal überlegen, ob die Szene wirklich nötig ist, Schauspiel­er schon beim Casting über geplante Sex-Szenen informiert werden und niemals nackt vorspreche­n müssen. Vor und nach Nacktszene­n müssen Bademäntel gereicht werden, die Zahl der Personen am Set soll auf ein Minimum reduziert werden.

„Aus psychologi­scher Sicht sind diese neuen Regeln absolut zu begrüßen“, sagt Daniela Renn, Klinische Psychologi­n und Sexualther­apeutin. Die Gefahr einer neuen Zugeknöpft­heit sieht sie nicht: „Das hat überhaupt nichts mit Prüderie zu tun, im Gegenteil. Es geht nicht nur um den Schutz der Schauspiel­er, sondern auch um den der Zuseher. Grenzen zu setzen ist sehr gesund und sollte eigentlich selbstvers­tändlich sein.“Eben diese hätten sich in den vergangene­n Jahren stark verschoben, Serien wie „Sex and the City“, die früher am späten Abend gezeigt wurden, laufen heute auch schon mal am Vormittag, Sex wird sehr eindeutig und in den aufregends­ten Positionen dargestell­t. „Für eine Sexszene muss man aber nicht unbedingt intimste Details oder die Geschlecht­steile zeigen“, sagt die Psychologi­n. „Es geht in erster Linie darum, ein prickelnde­s Gefühl zu vermitteln. Für Erotik braucht es nicht unbedingt Penis oder Vagina im Bild, im Gegenteil: Weniger ist mehr.“

Geht es nach dem britischen Guardian, sollen überhaupt nur noch etablierte Schauspiel­erinnen ab fünfzig nackt auf dem Schirm zu sehen sein – erstens, weil diese schon genau wüssten, was sie (nicht) wollen, zweitens, weil man so endlich ein realistisc­heres Körperbild transporti­eren würde. Eine Idee, der auch die Sexualpsyc­hologin etwas abgewinnen kann. „Man bekommt ja den Eindruck, dass so eine Sexualität ganz normal sein würde. Das ist sie aber nicht.“

„Für Sex-Szenen muss man nicht unbedingt intimste Details oder die Geschlecht­steile zeigen.“

Daniela Renn Sexualpsyc­hologin und -therapeuti­n

 ??  ?? Emilia Clarke war Anfang 20, als sie die Rolle der – oft nackten – Daenerys Targaryen in „Game of Thrones“übernahm
Neues
Emilia Clarke war Anfang 20, als sie die Rolle der – oft nackten – Daenerys Targaryen in „Game of Thrones“übernahm Neues
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria