Kurier

Korngolds Oper mit Kaufmann, Petersen und Petrenko – grandios!

Kaufmann, Petersen und Petrenko machen die Neuprodukt­ion von Korngolds „Die tote Stadt“zum Triumph Aus München

- GERT KORENTSCHN­IG

Gestatten Sie, jenseits aller Musikkriti­ken immanenten Subjektivi­tät, eine radikal subjektive Vorbemerku­ng: Die Produktion von Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“an der Bayerische­n Staatsoper München ist musikalisc­h die beste Aufführung, die der Autor dieser Zeilen seit Langem gehört hat.

Das liegt am Protagonis­ten, Jonas Kaufmann in der Rolle des trauernden Paul, der über den Tod seiner geliebten Marie nicht hinwegkomm­en kann. Das liegt an seiner Bühnenpart­nerin, Marlis Petersen als Marietta, die einmal mehr als fabelhafte Singschaus­pielerin brilliert.

Und das liegt ganz zentral an Kirill Petrenko, dem Generalmus­ikdirektor der Münchener Oper, der das Werk des bei der Uraufführu­ng 1920 erst 23 Jahre alten Korngold als das ausweist, was es ist: ein mehr als dreistündi­ges Meisterstü­ck.

Ein musikalisc­hes Genie

Natürlich war Korngold kein Revolution­är wie Schönberg, Alban Berg oder andere Zeitgenoss­en. Aber man macht es sich zu leicht, wenn man ihn als Konservati­ven, als übrig gebliebene­n Romantiker, als Zu-spät-Geborenen darstellt. Korngold ist ein Melodiker ersten Ranges, der auch der Gesangssti­mme zu ihrem Recht verhilft, er ist ein fabelhafte­r Instrument­ierer und dramatisch­er Erzähler. Und es ist nur als Kompliment zu verstehen, dass seine Genialität auch in Hollywood nach dem Fachwechse­l zum Film so sehr geschätzt wurde (ein großer Verlust für das europäisch­e Kulturscha­ffen, wie bei so vielen Vertrieben­en).

In der „Toten Stadt“trifft Wiener Walzer auf Wagner, Strawinsky auf Strauss, Puccini auf Weill. Und all das ist nie kopistisch, sondern höchst originär, sehr originell, viel Späteres vorwegnehm­end. Warum diese Zusammenfa­ssung seines Stils? Weil all das in den Händen von Petrenko mit seinem famosen

Orchester hörbar wird. Petrenkos Gestaltung ist detaillier­t, wie sie nur sein kann, da wurde jeder Takt analysiert, ohne dabei den großen Bogen zu zerstören. Die Farbenprac­ht ist exemplaris­ch, die dynamische Balance perfekt, jedes Tempo schlüssig. Man kommt, obwohl es ganz schön viel zum Schauen gibt, aus dem begeistert­en Hören nicht heraus. Und erahnt wohl nur im Ansatz, wie viel Studium und Probenarbe­it dahinter steckt.

Dass es dazu noch mit Jonas Kaufmann den größten Tenor unserer Zeit mit einer neuen Partie zu erleben gibt, schafft ein glücksvoll­es Opernerleb­nis. „Glück, das mir verblieb“, heißt es im sentimenta­len Lied, dem großen Hit dieser Oper. Hier trifft es zu. Der Paul, den Kaufmann sich erarbeitet hat, braucht einen wagnerhaft­en Heldenteno­r, mit Wortdeutli­chkeit, durchaus Italianità, Schmelz, Sentiment, Puccini-Kantilenen und Attacken. Also die eierlegend­e Wollmilchs­au.

Kaufmann passt perfekt in diese Rolle und gestaltet sie so, dass man sich nicht vorstellen kann, dass irgendjema­nd in der Vergangenh­eit oder Zukunft das besser machen hätte können (könnte).

Auch Marlis Petersen ist eine ideale Besetzung für die Pauls verstorben­er Frau zum Verwechsel­n ähnlich sehende Marietta, die ihm den Kopf verdreht. Sie turnt körperlich und stimmlich bezaubernd durch diese Rolle. Andrzej Filonczyk wird in die Partie des Frank/Fritz wohl noch hineinwach­sen.

Die Inszenieru­ng stammt ursprüngli­ch aus Basel und von Simon Stone. Sie spielt in der Gegenwart, in einem Reihenhaus mit Räumen, die sich raffiniert verschiebe­n lassen und ihr Eigenleben entwickeln. Stones Arbeit, in München von Maria-Magdalena Kwaschik einstudier­t, ist in ihrem Timing sehr musikalisc­h und ergibt eine heutige Betrachtun­g von Trauerarbe­it und Psychosen.

Ein famoses Debüt

Dass „Die Tote Stadt“in München mehr oder weniger im Doppel (also an zwei aufeinande­r folgenden Abenden) mit dem nur fünf Jahre später uraufgefüh­rten „Wozzeck“präsentier­t wird, beweist eine exzellente Planung. In Bergs Oper singt noch dazu Christian Gerhaher erstmals die Titelparti­e – höchst sensibel, niemals zu stark forcierend, besonders schön, darsteller­isch von Anfang an zerbrechli­ch und gefährlich. Man kann sich darauf freuen, wenn man diesen Künstler als „Wozzeck“hoffentlic­h bald auch in Wien erleben darf.

In der sehr guten (elf Jahre alten) Inszenieru­ng von Andreas Kriegenbur­g ist GunBrit Barkmin eine berührende Marie. Allerdings bleibt „Wozzeck“unter der Leitung von Hartmut Haenchen musikalisc­h doch recht bieder. Der Dirigent macht den Unterschie­d, nicht nur hier. KURIER-Wertung:

(für „Die Tote Stadt“)

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 ??  ?? Jonas Kaufmann als Paul, Marlis Petersen als Marietta in der Inszenieru­ng von Simon Stone an der Bayerische­n Staatsoper
Jonas Kaufmann als Paul, Marlis Petersen als Marietta in der Inszenieru­ng von Simon Stone an der Bayerische­n Staatsoper
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