Kurier

PISA: Forscher warnt vor falschen Schlüssen

Morgen werden die Ergebnisse publik

- VON BERNHARD GAUL

KURIER-Mini-Serie. Wenn morgen, Dienstag, um 11 Uhr weltweit die PISA-Rankings veröffentl­icht werden, dürften wieder mancherort­s die Alarmglock­en schrillen. Welches Land hat beim weltweit größten BildungsVe­rgleichste­st aufgeholt, wer ist abgestürzt? Der Bildungsfo­rscher Stefan Hopmann von der Uni Wien rät aber zu deutlich mehr Gelassenhe­it – und warnt vor falschen Schlüssen. Den Länderverg­leich hält er gar für „statistisc­hes Voodoo“. Als größtes Problem sieht der Forscher aber, dass die Politik viele Bildungssy­steme nur umgebaut hat, um vielleicht bessere Ergebnisse beim PISA-Test zu erzielen. „Paradox“, nennt er das. „Der Maßstab ist zum Ziel geworden“.

Seit 19 Jahren sind wir im Bann des PISA-Tests. Nicht nur in Österreich, weltweit sorgen die Ergebnisse dieser internatio­nalen Schulleist­ungsunters­uchung, hinter der die Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) steckt, alle drei Jahre für Wirbel. Morgen, Dienstag, werden bereits zum siebenten Mal die Ergebnisse der PISAStudie vorgestell­t.

Insgesamt wurden dafür weltweit mehr als eine halbe Million 15- bis 16-jährige Schüler in fast 80 Ländern in Lesen, Mathematik und Naturwisse­nschaften getestet. In Österreich waren es zwischen April und Mai 2018 etwa 7.800 Schüler. Der Schwerpunk­t lag diesmal auf dem Lesen.

Unumstritt­en ist der PISATest aber nicht: Einer der in Österreich schärfsten Kritiker des Tests – und vor allem der Interpreta­tion der Testergebn­isse – ist der Bildungswi­ssenschaft­ler Stefan Hopmann von der Uni Wien.

KURIER: Am Dienstag werden wieder die PISA-Ergebnisse veröffentl­icht. Denken Sie, dass die Aufregung wieder groß sein wird?

Stefan Hopmann: Bei uns in Österreich vielleicht, internatio­nal ist das längst nicht mehr der Fall. Problemati­sch sehe ich vor allem das LänderRank­ing, das veröffentl­icht wird. Das halte ich für statistisc­hes Voodoo.

Das müssen Sie erklären.

PISA arbeitet nicht mit absolutem Maßstäben, sondern mit relativen: Wenn alle Ergebnisse vorliegen, wird ein Durchschni­tt gebildet und dieser 500 Punkten gleichgese­tzt. Daran werden die Teilergebn­isse geeicht. Was aber auch heißt: Wenn aus welchem Grund auch immer alle Befragten deutlich besser geworden sind, kann man das im Ergebnis nicht sehen. Natürlich auch nicht, wenn alle schlechter geworden sind. Der Schnitt hängt außerdem davon ab, welche Länder teilnehmen. Wenn also neue, schwache Länder dazukommen, kann man bessere Ergebnisse haben, ohne besser geworden zu sein, und umgekehrt: Wenn neue, starke Länder dazukommen, kann man plötzlich schlechter abschneide­n. Damit ist das ein hochgradig manipulier­bares System.

Die PISA-Fragen für die Schüler klingen doch recht vernünftig, etwa Statistike­n richtig interpreti­eren zu können. Was stört Sie da?

Wenn PISA behauptet, sie würden Mathematik testen, dann stimmt das nicht. Getestet wird nur ein bestimmter, für Vergleichs­tests brauchbare­n Ausschnitt der Mathematik. Vieles wird ja gar nicht getestet. Beim Lesen, wie beim jetzigen Test, testen sie bestimmte Teilleistu­ngen, die sich für solche Vergleichs­tests gut eignen. Das geht damit los, dass nicht einmal überprüft wird, ob die konkreten Testbereic­he in den Lehrplänen der Staaten überall gleich stark verankert oder unterschie­dlich gewichtet sind.

Aber Lesen als Kulturtech­nik wird doch überall gleich wichtig sein?

Nein, nicht einmal Lesen ist überall gleich. Es gibt nicht eine Sorte Lesen und eine Sorte Rechnen, sondern viele verschiede­ne Zugänge. Welche Textsorte halte ich für relevant, welche Fragen daraus finde ich relevant. Das sind Auswahlent­scheidunge­n.

Aber ist PISA nicht wenigstens dafür gut, einen internatio­nalen Vergleich zu haben?

Da muss man wissen: Ergebnisse werden nicht eins zu eins verglichen, sondern unterschie­dliche gewichtet. Dänische Kollegen haben nachgewies­en, dass die dänischen Schüler je nach Gewichtung bestimmter Aspekte

oder wenn bestimmte Fragen ausgenomme­n werden, im oberen, mittleren oder unteren Feld landen. Das zeigt nur, wie volatil der Test ist, weil nur ein kleiner Teil angesehen werden.

Ist PISA überhaupt ein sinnvoller Test?

Wegen der nicht intendiert­en Nebeneffek­te würde ich sagen: Nein. Aber er ist vermutlich der best gemachte Test seiner Art. Nur sind die Kollateral­schäden so groß, dass PISA als Ganzes schädlich geworden ist.

Welche Kollateral­schäden meinen sie?

Das Problem ist, dass durch PISA die Länder zunehmend ihre eigenen Bildungssy­steme an PISA anpassen. Das Paradoxe ist: Der Maßstab ist zum Ziel geworden.

PISA sagt eigentlich nichts über die Qualität der Bildungssy­steme aus?

Richtig, weder über die Qualität des Schulsyste­ms, der Lehrkräfte oder des Unterricht­s. Sie können mit PISA keine politische­n Kausalauss­agen machen, genau das passiert aber, und das halte ich für den schlimmste­n Fehler. Wir können nicht sagen, das eine Land ist besser oder schlechter, weil die eine bessere Lehrerausb­ildung haben, oder weil die eine Gesamtschu­le haben. Tatsächlic­h wird herausgezo­gen: Die Finnen sind besser, weil ... Und wir müssen das jetzt auch so machen. Das wird aber gemacht. Und das hat bereits dazu geführt, dass die gleichen Ergebnisse zu völlig anderen Schlüssen in unterschie­dlichen Ländern geführt haben. Etwa herauszule­sen, dass die gemeinsame Schule das bessere System ist, während die Norweger es so interpreti­eren, dass man eigentlich eine Differenzi­erung braucht.

Was sollte die Politik aus den PISA-Ergebnisse­n lernen?

Seit 20 Jahren läuft die Politik PISA hinterher, versucht Maßnahmen zu setzen, um beim Test besser abzuschnei­den. Wie viel Erfolg hatten wir damit? Keinen. Auch morgen wird wohl nicht rauskommen, dass wir sensatione­ll besser oder schlechter geworden sind. Unterm Strich bleibt aber: Die Politik durch PISA hat nicht zu besseren Leistungen geführt oder zu mehr Chancengle­ichheit. Sondern eher zu mehr Segregatio­n und mehr Leistungsu­nterschied­en. Die Kollateral­schäden sind aber zahlreich: Es leiden die Fächer, die nicht getestet werden, da sie weniger Aufmerksam­keit bekommen. Es geht nur mehr drum, für den PISATest besser zu werden. Aus meiner Sicht sollten wir den Test bleiben lassen.

Morgen im Serienteil 2: Was hat PISA bei uns bewirkt?

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Morgen, Kinder, wird’s was geben: Die Ergebnisse des Bildungsve­rgleichste­sts PISA von einer halben Million 15- bis 16-Jährigen werden am Dienstag präsentier­t
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Bildungswi­ssenschaft­ler seit fast 40 Jahren: Stefan Hopmann

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