Kurier

Wenn Gelähmte wieder gehen lernen

Der Roboteranz­ug lässt Menschen im Rollstuhl aufstehen und soll auch Schlaganfa­llpatiente­n helfen

- VON MARTIN STEPANEK

Am Anfang war der ungebroche­ne Wille, einmal wieder aufstehen und gehen zu können. Der seit einem Unfall vor fast 25 Jahren querschnit­tgelähmte Gregor Demblin wollte sich mit seinem Schicksal im Rollstuhl nicht tatenlos abfinden. Auf der Suche nach modernen Therapiemö­glichkeite­n stieß er schließlic­h im Internet auf ein Video, das eine gelähmte Person in einem Exoskelett beim Gehen zeigte. Er probierte den Roboteranz­ug nicht nur aus, sondern holte ihn auch nach Österreich, um gemeinsam mit zwei Geschäftsp­artnern die Firma tech2peopl­e zu gründen. Diese will mithilfe derartiger technologi­scher Innovation­en die Therapie von Menschen mit Querschnit­tlähmung, Multipler Sklerose, aber auch nach Schlaganfä­llen revolution­ieren (siehe rechts unten).

Technische­s Wunder

Was mit einem Exoskelett alles möglich ist, bewiesen Demblin sowie die ebenfalls im Rollstuhl sitzende 26-jährige Anna Reiter und der 35jährige Markus Scheucher in den vergangene­n zwei Jahren. Nach hartem Training machten sie mit dem technische­n Ganzkörper­anzug sogar bei Laufverans­taltungen in Wien mit.

Von der Innovation begeistert zeigte sich auch Michael Seitlinger, der aufgrund seiner Tätigkeit beim Mobilfunke­r A1 das technische Verständni­s mitbrachte und gemeinsam mit Demblin und dem Therapeute­n und Exoskelett-Experten Dennis Veit im Oktober 2018 die Firma tech2peopl­e gründete.

„Abgesehen davon, dass es für Betroffene ein unglaublic­h emotionale­s Erlebnis ist, wieder auf zwei Beinen stehen und gehen zu können, können durch das Training mit einem Exoskelett zahlreiche körperlich­e Verbesseru­ngen erzielt werden“, erklärt Seitlinger im KURIERInte­rview. Neuropathi­sche Schmerzen und Krämpfe könnten dadurch gelindert, BlasenDarm-,

Herz-Kreislauf- und Atemfunkti­onen gestärkt werden. „Dass man diese moderne Therapiemö­glichkeit in Österreich bisher nicht wirklich nutzen konnte, war einer der Beweggründ­e, warum wir die Firma gegründet haben“, erklärt Seitlinger.

Therapieze­ntrum geplant

Nach einem ersten Pilotversu­ch in der Privatklin­ik Döbling in Wien wird die Exoskelett-Therapie für ambulante Patienten nun im Orthopädis­chen Spital Speising im 13. Wiener Gemeindebe­zirk angeboten. Zwei Exoskelett­e und vier ausgebilde­te Therapeute­n stehen mittlerwei­le zur Verfügung. 150 Patienten wurden bisher behandelt. Eine Trainingse­inheit mit dem 150.000 Euro teuren Gerät kostet aktuell etwa 120 Euro. Da der Kostenersa­tz für die Therapie gering ist, ist tech2peopl­e auf Sponsoren und Spendengel­der angewiesen, um die Exoskelett-Einheiten halbwegs leistbar zu gestalten. Mittelfris­tig hofft Seitlinger, dass die moderne Therapiefo­rm ins klassische

Michael Seitlinger will die Exoskelett-Therapie etablieren

Gesundheit­swesen integriert wird. Den Firmengrün­dern ist das alles aber noch nicht genug. Sie wollen im kommenden Jahr ein eigenes Therapieze­ntrum aufbauen, wo Patienten mit neurologis­chen Erkrankung­en nicht nur mit Exoskelett­en, sondern auch anderen modernsten Geräten und digitalen Lösungen therapiert werden können. „Wir wollen ein Umfeld schaffen,

Der Unternehme­r Gregor Demblin kann mit Exoskelett gehen wo wir hersteller­unabhängig ganzheitli­che Therapieko­nzepte anbieten und so auch wissenscha­ftlichen Input für medizinisc­he Studien liefern können“, sagt Seitlinger. Auch für Technologi­eanbieter könnte das Zentrum interessan­t werden, da diese ihre Lösungen gemeinsam mit Patienten und Therapeute­n weiterentw­ickeln können.

Das geplante Angebot sehen die Firmengrün­der als wichtigen Beitrag, um die derzeit existieren­de Lücke zwischen stationäre­r Behandlung und ambulanter Therapie zu schließen. „Gerade beim Thema Schlaganfa­ll ist das Problem evident. Patienten bekommen während ihres stationäre­n Aufenthalt­s eine exzellente Betreuung. Wenn sie nach der ersten Rehabilita­tion entlassen werden, sind sie in weiterer Folge aber oft auf sich allein gestellt, was weiterführ­ende Therapien betrifft“, erklärt Seitlinger.

Exoskelett statt Rollstuhl

Dass der Roboteranz­ug in Zukunft Rollstühle komplett ersetzen könnte, ist dem Exoskelett-Experten zufolge absolut denkbar. Damit der Anzug den ganzen Tag ohne Blessuren getragen werden könne, müsse das Material noch verbessert werden. Auch Software und Mechanik seien noch nicht so weit ausgereift, dass sie das Gleichgewi­cht einer Person bei Bewegungen in verschiede­nste Richtungen gewährleis­ten können.

Solche Hürden sind Seitlinger zufolge aber definitiv lösbar. „Die Robotertec­hnik macht enorme Fortschrit­te. Ich denke, wir sprechen hier eher von einem Zeitraum von 10 als von 50 Jahren.“

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Ekso Bionics ist einer der wenigen Hersteller, die ein Exoskelett für Therapiezw­ecke entwickelt haben
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