Kurier

Stresstest für die Große Koalition

Analyse. Die neue SPD-Spitze ist ein Bruch mit dem Bisherigen. Wie könnte es nun weitergehe­n?

- AUS BERLIN S. LUMETSBERG­ER

Es ist Samstag, 18.10 Uhr, als das Gesicht von Vizekanzle­r und Finanzmini­ster Olaf Scholz einfriert. Er erfährt von einem Abstimmung­sergebnis, das nicht nur seine Zukunft, sondern auch die der SPD völlig verändern kann. Der Ökonom Norbert Walter-Borjans (67) und die Abgeordnet­e Saskia Esken (58), zwei Parteilink­e, werden die SPD führen.

Zwei, die vielen unbekannt sind. Nur so viel weiß man zu diesem Zeitpunkt: Beide sehen die Koalition skeptisch. Esken wird noch am Abend in einem TV-Interview sagen: „Für die Demokratie ist die GroKo Mist“.

Es ist ein Bündnis, das es eigentlich nicht mehr hätte geben dürfen. Da Verhandlun­gen mit Grünen und FDP 2017 scheiterte­n, kam die dritte GroKo in vier Legislatur­perioden doch zustande. Monatelang wurde verhandelt, die SPD befragte ihre

Mitglieder. 66 Prozent stimmten dafür.

Keine zwei Jahre später – die SPD liegt bei 14 Prozent – haben diese Mitglieder klar gemacht, dass sie einen Neuanfang wollen: personell und inhaltlich. Ein Mitte-Kurs hat sie Jahrzehnte an der Regierung beteiligt, ihr Kanzler verschafft, sie aber auch ausgezehrt. Und nach verlorenen Landtagswa­hlen glaubt man nicht mehr, dass es besser wird, wenn man den Kurs fortsetzt. Da hat alles Werben von Ministern und Landespart­eichefs nichts geholfen.

Walter-Borjans und Esken bleibt nicht viel Zeit. Am Freitag beginnt der Parteitag, wo beide offiziell gewählt werden und man über die Zukunft der Koalition abstimmt.

Kaum Spielraum

Realistisc­h ist, dass sie den Delegierte­n einen Katalog mit Bedingunge­n an CDU/CSU vorlegen. Dort aber will man nicht nachverhan­deln. Allerdings steht im Koalitions­vertrag, dass beide Partner zur Mitte der Legislatur­periode prüfen, inwieweit der Koalitions­vertrag „umgesetzt wurde, oder „aufgrund aktueller Entwicklun­gen neue Vorhaben vereinbart werden müssen“. Es wird also auf die Forderunge­n ankommen – da sind die Erwartunge­n der Parteilink­en hoch.

Sollte man sich nicht einigen, und sollten die neuen Chefs versuchen, SchwarzRot zu beenden, müssten sich Kanzlerin und Bundespräs­ident beraten. Es gibt die Option einer Minderheit­sregierung, die Angela Merkel bisher ablehnte. Nur: Bereits ihre Entscheidu­ng, die Ämter als CDU-Chefin und Kanzlerin

zu trennen, zeigte, dass sie sich von Prinzipien verabschie­den kann. Chaos droht trotzdem nicht: Der Bundeshaus­halt für 2020 ist beschlosse­n. Ein Experiment wäre es in jedem Fall, vor allem mit Blick auf Deutschlan­ds EU-Ratspräsid­entschaft ab 1. Juli. Ob sie es wagt?

Risiko Neuwahl

Da wäre noch das NeuwahlSze­nario: Die Kanzlerin kann sie herbeiführ­en, wenn sie die Vertrauens­frage stellt und verliert. Auch das ist mit Blick auf den EU-Vorsitz fraglich. Ebenso die Folgen: Bisher klammerten sich Union und SPD aus Furcht vor miesen Ergebnisse­n aneinander. Die CDU kommt in Umfragen nur auf 27 Prozent. Zudem ist die Frage um den Kanzlerkan­didaten umstritten. CDU-Chefin Kramp-Karrenbaue­r hat sich mit der Vertrauens­frage über den Parteitag gerettet. Allerdings böte sich ihr jetzt die Gelegenhei­t, ihre internen Gegner zu überrumpel­n – sie könnte die Koalition platzen lassen und der SPD die Schuld geben. Gleichzeit­ig käme das einem Sturz der Kanzlerin gleich.

Es ist also komplizier­t und erhöht die Chancen, dass sich diese Große Koalition so zäh auflösen könnte, wie sie einst zusammenka­m.

 ??  ?? Merkel führt zum dritten Mal eine Große Koalition. Deren Zukunft ist mit der Wahl einer koalitions­kritischen SPD-Führung unklar
Merkel führt zum dritten Mal eine Große Koalition. Deren Zukunft ist mit der Wahl einer koalitions­kritischen SPD-Führung unklar

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