Kurier

„Die Technik hat uns überholt“

In Tirol hat der letzte Schrankenw­ärter auf einer ÖBB-Hauptstrec­ke in Österreich ausgedient

- VON CHRISTIAN WILLIM

Das mechanisch­e Ring-Ring des antik anmutenden Telefonapp­arats klingt in Zeiten der Smartphone­s wie ein Hall aus längst vergangene­n Tagen. Vom anderen Ende der Leitung wird Stefan Melmer in seinem kleinen Büro am Bahnhof Imsterberg ein heranbraus­ender Zug angekündig­t.

Für den 49-Jährigen ist es das Signal, um vor die Türe auf den Bahnsteig zu treten. Er legt den Schalter eines kleinen Motors in einem Metallkast­en um. Über Seilzüge werden so drei Schranken weiter unterhalb an der Bahnstreck­e geschlosse­n. Die Metallbalk­en direkt neben dem Bahnhof lässt Melmer mit einer Handkurbel runter.

Die manuelle Anlage ist so alt wie das Häuschen selbst, das 1900 errichtet wurde. Also noch zu Zeiten der Monarchie. Seit Freitag hat die handgesteu­erte Technik ausgedient. „Jetzt geht plötzlich alles digital“, sagt Melmer mit hörbarer Wehmut.

Auslaufmod­ell

Vierzehn Jahre lang war der Tiroler hier als Schrankenw­ärter im Einsatz. Mit vier Kollegen abwechseln­d hat er in 12-Stunden-Schichten die Schranken auf der Bahnkreuzu­ng bei jedem ein- oder vorbeifahr­endem Zug geschlosse­n und wieder geöffnet.

„Die Technik hat uns überholt“, sagt Melmer bei seinem letzten Einsatz am vergangene­n Mittwoch. Als Schrankenw­ärter hat er ausgedient, er wird nun von den ÖBB umgeschult und auf einen neuen Posten versetzt. Auch seine Kollegen bleiben weiter im Unternehme­n.

Die Schrankenw­ärter von Imsterberg waren die letzten auf der ÖBB-Westbahn zwischen Wien und Bregenz.

Und die letzten auf einer Hauptstrec­ke im Land. Nur auf Nebenstrec­ken gibt es noch rund 40 Bahnübergä­nge, bei denen Schranken von Hand bedient werden.

„Ich habe die Arbeit gerne gemacht und bin jeden Tag mit einer Gaudi hergekomme­n“, sagt Melmer. Die Verantwort­ung war freilich keine kleine. „Du musstest zwölf Stunden konzentrie­rt sein und durftest dir keinen Fehler leisten“, erzählt er. Mit 80 bis 100 km/h donnern durchfahre­nde Züge an der Haltestell­e vorbei und über die mit Schranken gesicherte Kreuzung mit der Straße.

Automatik übernimmt

Drei bis vier Minuten mussten Autofahrer hier bislang warten, bis sich die alten Schranken wieder öffneten. In den vergangene­n zwei Jahren wurden neue montiert und 30.000 Meter Kabel für die automatisc­he Steuerung installier­t. Wenn der Zug nun einen gewissen Punkt passiert, schließen die rot-weißroten Balken automatisc­h.

Und sie bleiben deutlich kürzer zu, als bisher. „Die enormen Wartezeite­n sind endlich Geschichte“, freut sich der Imsterberg­er Bürgermeis­ter Alois Thurner. Die Straßen seines Dorfs an einem Hang des Inntals führen an vier Stellen über die Bahntrasse.

Über 100 Züge pro Tag

Für Autofahrer war die Wahrschein­lichkeit durchaus groß, vor einem geschlosse­nen Schranken zu stehen. Tagsüber fahren hier etwa 70 und in der Nacht 60 Züge durch. Brenzlige Situatione­n hat Melmer an seinem Bahnüberga­ng nie erlebt, genervte Autofahrer hingegen schon.

„Die haben manchmal nicht verstanden, dass der

Schranken so lange zu war, wenn der Zug zum Beispiel Verspätung hatte. Aber Sicherheit geht vor“, erzählt der Tiroler lachend. Dass die letzten Schrankenw­ärter nun ihren Dienst beendet haben, ist auch für Wolfgang Bachler von der ÖBB-Infrastruk­turabteilu­ng „mit ein bisschen Wehmut versehen“. Aber die Automatisi­erung sei eine Frage der Wirtschaft­lichkeit: „Wir brauchen hier keine Personal mehr stellen.“

Und zudem könnten nun die Schließzei­ten optimiert werden. „Jetzt übernimmt die Technik“, sagt Bachler. Nach fast 120 Jahren hat es sich ausgekurbe­lt.

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14 Jahre lang war Stefan Melmer in Imsterberg als Schrankenw­ärter im Einsatz. Der ist nun zu Ende
 ??  ?? Die Handkurbel für den Schranken stammt aus 1900
Die Handkurbel für den Schranken stammt aus 1900
 ??  ?? Das Telefon im Schrankenw­ärter-Büro wirkt antik
Das Telefon im Schrankenw­ärter-Büro wirkt antik

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