Kurier

Kummer über Chemnitz

Der Kraftklub-Sänger rappt in seinem Solo-Debüt über die Stadt, die es ihm nicht einfach macht

- AUS CHEMNITZ SANDRA LUMETSBERG­ER

Manche Städte prägen sich durch einen Sound ein, andere durch ihren Geruch: Chemnitz riecht für Felix Kummer nach feuchten Kellern. So wie das Viertel, in dem er aufgewachs­en ist, mit verwildert­en Hinterhöfe­n, leer stehenden Häusern. „Man konnte überall rein, so wie hier“. Er zeigt auf ein halbverput­ztes Gebäude mit offenen Fensterhöh­len. Das Haus ist eine Ausnahme.

Hier, am Brühl, war früher alles tot, nun reihen sich renovierte Gründerzei­thäuser aneinander. Die Band Kraftklub hat hier ihren Proberaum. 2012 schafften sie es mit dem Album „K“von null auf Platz eins der Charts. „Bin ein Verlierer, Baby“heißt es da. Der Osten ist Avantgarde, schrieb die Zeit. Das war, bevor Kameras auf Merkelmuss-weg-Chöre an ostdeutsch­en Marktplätz­en gerichtet waren und die AfD Wahlerfolg­e erzielte. Auch in Chemnitz.

Die 250.000-EinwohnerS­tadt, die bis 1990 Karl-MarxStadt hieß, ist ein Ort mit Brüchen. Manche lassen sich sanieren, brechen aber wieder auf. Wenn man ihren Namen hört, fallen einem die Bilder vom August 2018 ein. Nach einem tödlichen Messerangr­iff marschiert­en Tausende Neonazis auf. Andere hielten dagegen, „Chemnitz ist weder grau noch braun“stand auf ihren Plakaten.

Oper und Plattenbau

Felix Kummer versucht zu erklären, warum es ein Ort ist, den man auch mögen kann. „Weißt du, ich wäre nicht hier, wenn ich es nicht schön finden würde“. Ja, die Sache mit Chemnitz ist komplizier­t.

Wer am Bahnhof ankommt, sieht erst die Oper, dann den Plattenbau. Dort hat er einen Pop-up-Plattenlad­en eröffnet. Felix Kummer, 30 Jahre, erkennt man sofort: groß, blond, weiße Socken, Rucksack. Er muss noch mit dem Zug nach Berlin, sagt der

Mann, der einst die Hymne zum Hierbleibe­n schrieb („Ich will nicht nach Berlin“). Aber vorher sperrt er die Tür eines Wohnblocks auf. Seit 20 Jahren steht die Kneipe leer. Kummer verkaufte hier sein erstes Solo-Album „Kiox“. So hieß der Schallplat­tenladen seines Vaters, wo er und sein Bruder Till als Kinder herumflitz­ten.

Generation 1989

Mit Kaffee in der Hand schlendert er weiter und erzählt vom Aufwachsen. Dabei gestikulie­rt er mit seinen langen Armen, verstellt mal die Stimme, lacht, wird dann leiser. In Chemnitz zu leben, ist immer ein Sowohl-als-auch. Die DDR-Zeit hat er, Jahrgang 1989, nie erlebt. Seine Eltern, kritische Geister und Musiker, haben viel darüber gesprochen, die Lehrer in der Schule weniger. „Im Unterricht gab’s die richtig heftige Diktatur und dann die, wo alle ein bisschen gelächelt haben.“

Fast 60.000 Menschen haben nach der Wende die Industries­tadt verlassen. Zurück blieben leere Wohnungen und ältere Menschen. Kummer berichtet von illegalen Konzerten; einer Musikszene von Hardcore, Dancehall, HipHop. Sogar Eminem zog es in die Provinz. Er soll Chemnitz als „hässlichst­e Stadt der Welt“bezeichnet haben.

Gehen oder Bleiben, die Frage ist immer geblieben. Damals überwogen die Vorteile: Billige Mieten und viel Platz zum Proben. „Wir hatten uns ja auf ein langes Leben als darbende Indie-Band eingestell­t.“Es ist anders gekommen.

Von erfolgreic­hen Ostlern liest man heute weniger, eher von Abgehängte­n und Verlierern. Ein Narrativ, das Kraftklub halbironis­ch übernommen hat. Seit es ernst geworden ist, wird Kummer oft zum Gemüt der Ostdeutsch­en befragt. Aber wie soll man vermitteln, was man selber nicht versteht? Überhaupt: „Wer ist ‚der Ostdeutsch­e’?“, fragt er. „Das wird oft als gallertart­ige Masse beschriebe­n.“

Genauso wenig sei Chemnitz ein „dystopisch­es Zombieland“, sagt er mit Blick auf Rechtsextr­eme. Aber: Sie existieren, und das hat lange niemanden gejuckt. Er weiß, wovon er spricht. „Wir liefen über die Straßen, getragen von Adrenalin. Liefen schnell wie die Hasen. Doch schneller als Autos waren wir nie“, rappt er etwa in „9010“– Chemnitz’ alter Postleitza­hl. „Wir waren früher alle Opfer, da musstest du nicht einmal einen Hoodie tragen oder links sein.“

In der Fußgängerz­one läuft er an einem Studentenw­ohnheim vorbei – „wie ein Kurhotel an der Ostsee“, amüsiert sich Kummer. Gleichzeit­ig äußert er ein schlechtes Gewissen; er ist viel unterwegs, Chemnitz sein Rückzugsor­t.

Engagierte und Faschos

Es gibt Zeiten, da hält man es hier schwer aus. Wie im August 2018. „Du hast das Gefühl, alles würde unter der gebündelte­n Hitze eines Brennglase­s verkohlen.“Kummer und Bandkolleg­en initiierte­n das #Wirsindmeh­r-Konzert mit 65.000 Menschen. Für jene, die sich vor Ort engagieren – viele kennt er persönlich. „Man will die nicht alleine lassen und auch selber nicht alleine gelassen werden.“

Dass viel über den ImageSchad­en von Chemnitz debattiert wurde, findet er frustriere­nd. „Es gibt Faschos, die anderen aufgrund ihrer Hautfarbe Gewalt antun. Aber Sorgen machen sich die Leute über das Image der Stadt, das Bild in der Welt.“Es sind Widersprüc­he, die ihn beschäftig­en und etwas ratlos machen.

Dazu zählt, dass in die drittgrößt­e Stadt Sachsens noch immer kein ICE fährt. Am Bahnhof steht der Zug nach Leipzig, Marke: Deutsche Reichsbahn aus DDR-Zeiten, bereit. Wer hinein will, muss die Stufen hochklette­rn, die Tür kräftig zuziehen. Kummer fährt gerne mit dem „Hogwarts Express“. Eine Stunde tuckert der Zug durchs Funkloch. Es ist ein bisschen wie zwischen den Welten reisen.

Felix Kummer, derzeit ohne Kraftklub, spielt sein Album „Kiox“morgen und am 16. März in Wien

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