Kurier

Denkmäler für die Ungewollte­n

Kunsthalle Krems. Adrian Paci und Teresa Margolles finden in Randzonen der Gesellscha­ft wirkmächti­ge Bilder.

- VON MICHAEL HUBER

Eine Kolonne von Menschen stellt sich vor einer Gangway an, die in der sengenden Sonne auf dem Rollfeld eines Flughafens geparkt ist. Die Leute steigen die Stufen empor, die Kamera hält aus kurzer Distanz auf ihre faltigen, stoppelige­n Gesichter. Viele lassen lateinamer­ikanische oder afrikanisc­he Herkunft vermuten. Flugzeuge starten und landen. Keines fährt an die Gangway heran.

Das Video, das im Ausstellun­gsraum in Dauerschle­ife läuft, heißt „Centro di permanenza temporanea“: Der italienisc­he Begriff für „Auffanglag­er“enthält selbst schon den Widerspruc­h einer zeitlich begrenzten Dauerhafti­gkeit. Das Werk entstand 2007, lange vor den Fluchtdeba­tten der Gegenwart, doch es wirkt topaktuell. In der Kunsthalle Krems ist es bis 23. Februar das Herzstück einer Werkschau des 1969 geborenen Künstlers Adrian Paci, der selbst in den 1990er Jahren aus Albanien nach Italien emigrierte.

Wenn Kunst nah an politische­r Aktualität und persönlich­er Betroffenh­eit gebaut ist, kann ihr das zum Nachteil gereichen, weil die Dringlichk­eit oft verpufft. Paci scheint sich der Gefahren einer journalist­ischen oder sentimenta­len Herangehen­sweise bewusst zu sein: Seine Bilder streben nach zeitloser formaler Strenge und einem Rhythmus, der an archaische Rituale oder an antikes Theater erinnert.

Derlei Erhabenhei­t trifft dann auf harte Realität: Im Video „Prova“, das zum Auftakt der Schau zu sehen ist, stehen Männer vor Lautsprech­ern in einem Pavillon. Die Arbeitssuc­henden aus Pacis Heimatort Shkodra könnten Parolen ins Mikro schreien, bringen aber nur „Prova“(„Sprechprob­e“) hervor.

Leere Zeremonien

Für das Video „Vajtoijca“(2002) ließ Paci sich selbst von einem bezahlten Klageweib besingen. Für „Interregnu­m“(2017) montierte er Aufnahmen von Menschensc­hlangen, die kommunisti­sche Führer betrauern.

Das Motiv der Prozession begegnet immer wieder, bis hin zu den Migranten auf der Gangway: Derlei Rituale stiften oft ein Gefühl von Gemeinscha­ft, in der „Lost Communitie­s“

betitelten Schau führen sie in eine Sackgasse.

Kombiniert ist die eindrucksv­olle Schau – die allerdings ruhig noch mehr Material vertragen hätte – mit der

Einzelpräs­entation einer Künstlerin, die ebenfalls marginalis­ierte Gemeinscha­ften im Blick hat: Teresa Margolles beschäftig­t sich seit langem mit den Frauenmord­en in der mexikanisc­hen Grenzstadt Ciudad Juárez, von denen auch transsexue­lle Prostituie­rte in hohem Ausmaß betroffen sind.

In Krems gibt Margolles den Mitglieder­n dieser Gemeinscha­ft eine Bühne – mit einem Video, einem Gedenkraum für die 2015 ermordete Prostituie­rte „Karla“, besonders aber mit einer Fotoserie, auf der sich die Transgende­rFrauen auf einer Abriss-Brache mitten in der Stadt präsentier­en. Die Fliesenböd­en, auf denen sie stehen, sollen laut Bildunters­chrift Tanzböden ehemaliger Nachtclubs sein. Egal ob das stimmt oder nicht, die Botschaft ist klar: Hier wurden und werden Menschen „weggeräumt“. Die Kunst kann dafür sorgen, dass sie sichtbar bleiben.

 ??  ?? Eine Prozession von Menschen, die nirgendwo ankommen: Standbild aus Adrian Pacis „Centro di permanenza temporanea“, 2007
Eine Prozession von Menschen, die nirgendwo ankommen: Standbild aus Adrian Pacis „Centro di permanenza temporanea“, 2007
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Teresa Margolles: Berenice auf der Tanzfläche der Bar Tlaquepaqu­e, 2016

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