Kurier

Arnulf Rainer, Maler

Österreich­s berühmtest­er lebender Maler zu seinem 90. Geburtstag im Interview.

- VON THOMAS TRENKLER

Seit mehr als zwei Jahrzehnte­n lebt Arnulf Rainer mit seiner Frau Hannelore Ditz im Winter auf Teneriffa. Anlässlich seines 90. Geburtstag­s empfing er den KURIER in seinem Bungalow. Vor den beiden Terrassen liegt der Atlantik, der Boden ist mit Klecksen übersät, die Farbspritz­er korrespond­ieren mit dem Grün der Pflanzen, den Gelbtönen der Umgebung und dem Blau des Wassers.

KURIER: Diese Terrassen sind also Ihr Atelier?

Arnulf Rainer: Ja. Ich lege die Leinwände am Boden aus. Mit einem Farbkübel streife ich zwischen den Bildern hin und her. Und immer wieder spricht ein Bild zu mir: „Ich bin nicht fertig, ich brauche hier oder dort diese und jene Farbe.“Und ich sage: „Wenn ich dazu aufgeforde­rt bin, muss ich dem nachkommen.“Das ist zwar kein Befehl, aber meine Hand zuckt sofort – und ich mache diesen Strich.

Den Sommer über leben Sie in Oberösterr­eich. Verwenden Sie dort andere Farben?

Ich überlasse meinem Unterbewus­stsein, zu welchen Farben ich greife. Ich nehme mir nichts vor.

Das Meer, die roten Gesteinsfo­rmationen, die Vegetation haben keine Auswirkung­en?

Meine Frau sagt, sie erkenne an den Farben, wo etwas entstanden ist. Ich bemerk’s nicht. Oder sagen wir: Es ist mir nicht so bewusst. Auf mich wirken die weißen Flächen der Bilder oder die angefangen­en Farbfläche­n. Ich konzentrie­re mich nur darauf – und nicht auf irgendwelc­he Umgebungsf­arben.

Sie verwenden viel mehr Pastelltön­e als früher. Womit hängt das zusammen?

Ich weiß nicht. Vielleicht weil die Farbtöpfe noch nicht geleert sind. Und wenn eine grelle Farbe da ist, scheue ich nicht, sie zu verwenden.

Das Schwarz ist jedenfalls weniger geworden.

Ja, es hat sich ins Dunkle gewandelt. So wie es auch das Farbdunkel gibt.

Sie wurden am 8. 12. 1929 in Baden geboren. Und Sie hatten einen Zwillingsb­ruder?

Wir waren zweieiige Zwillinge. Er war Jurist und hat immer recht behalten müssen. Schon als Kind. Wir kamen ins Internat nach Traiskirch­en. Er war, im Unterschie­d zu mir, ein guter Schüler, immer viel gescheiter und er hatte die besseren Noten.

Haben Sie sich daher auch viel gestritten?

Nur im Kinderwage­n. Es geht immer um den Platz.

Von 1940 an besuchten Sie in Traiskirch­en die Nationalpo­litische Erziehungs­anstalt. Dort gab es NS-Drill.

Genau. Ich habe dieses Marschiere­n, die Appelle, die Ideologie nicht ausgehalte­n – und dieses Immer-in Gemeinscha­ft-Sein. Ich habe mich versteckt, bin aufs Klo, damit man mich nicht findet. Ich hab’ all das einfach nicht aufnehmen wollen. Oder „apperzipie­ren“, wie es beim Doderer heißt. Ich sagte, ich will Künstler werden – und das verträgt sich nicht mit dieser militärisc­hen Erziehung.

Warum haben Ihre Eltern Sie überhaupt in dieses Internat gegeben?

Sie dachten sich, dass wir dort toll erzogen werden – mit Reiten und Schwimmen.

Konnten Sie Ihren Eltern nicht sagen, dass Sie dort unglücklic­h sind?

Sie haben es auch gemerkt. Es fällt ja auf, wenn sich einer immer vor dem Marschiere­n drückt. Meine Mutter war Französisc­hlehrerin in der Schweiz gewesen. Sie hat mich unterstütz­t. 1944 bin ich weggegange­n. Das war sehr schwierig, denn ich hatte keinen Sechser. Eigentlich wollte ich auf die Kunstgewer­beschule in Wien. Aber sie wurde gerade geschlosse­n, ich konnte gar nicht anfangen. Ich war dann kurze Zeit in Baden im Gymnasium. Und dann wurde auch das geschlosse­n.

Kurz vor Kriegsende müssen Sie einberufen worden sein. Ja, im März 1945. Die Russen waren bereits in Eisenstadt. Ich wollte aber nicht an die Front, ich habe mich gefürchtet. Meine Mutter

sagte, ich soll abtauchen. Ich traute mich aber nicht, den Zug zu den Verwandten nach Klagenfurt zu nehmen. Wegen der Kontrollen. Ich fuhr also mit dem Rad.

Und Ihr Bruder?

Er blieb ja im Internat. Die Schüler bekamen Gewehre und mussten an der jugoslawis­chen Front kämpfen. Aber mein Bruder hat überlebt. Ich ging dann in eine technische Gewerbesch­ule. In dieser Zeit habe ich die Maria Lassnig kennengele­rnt. Sie war schon wer im Kärntner Kunstbetri­eb. Und sie hatte gerade den Michael Guttenbrun­ner nackt gemalt – das war ein Mordsprovi­nzskandal.

Lassnig war zehn Jahre älter. Sie waren mit ihr „liiert“?

Es war ein Liebes- und vor allem Streitverh­ältnis.

Weil sie so komplizier­t war. Ja. Ich sagte: „Um Gottes willen, ist das schwierig mit den Frauen!“Und ich dachte mir: Ich setz mich ab!

Haben Sie von ihr etwas lernen können? Oder entwickelt­en Sie sich parallel?

Es war eine gegenseiti­ge Herausford­erung.

Gab es zwischen Ihnen auch einen Wettstreit, wer es eher an die Weltspitze schafft? Damals hat man nicht an die Weltspitze gedacht!

Und später?

Maria Lassnig unterricht­ete an der Angewandte­n, ich an der Akademie. Wir hatten nicht viel Kontakt. Sie war eine richtige Lehrerin, sie hat sich um jeden Schüler einzeln gekümmert. Ich hab’ immer nur gesagt: „Machen Sie endlich etwas, was noch nie jemand davor gemacht hat!“Was nicht so leicht ist.

1949 gingen Sie zurück.

Meine Eltern hatten in Gainfarn bei Baden eine Villa mit einem kleinen Weingut. Mein Vater hatte nach dem Tod meiner Mutter noch einmal geheiratet. Er lebte in Kärnten und wollte nicht wieder zurück. Meine drei Geschwiste­r, ich hatte zwei Brüder und eine Schwester, studierten. Und so wurde ich hingeschic­kt. Ich habe mich dort ausgebreit­et. Es gab fast

keine Möbel. Bis 1959 hab’ ich dort gelebt und gemalt.

Sie wurden an der Angewandte­n genommen, blieben aber nur einen Tag.

Dann versuchte ich es am Schillerpl­atz. Albert Paris Gütersloh hat mich aufgenomme­n. Aber dann habe ich erfahren, dass man mit abstrakten Bildern keinen Abschluss bekommt. Sie waren bloß geduldet. Der Josef Mikl hat dann plötzlich figurative Formen hineingema­lt. Ich konnte aber nicht meine Arbeit ändern. Und ich hatte auch nicht die Chuzpe zu sagen, dass ich ein schwarzes Haus in der Nacht gemalt hätte. Also bin ich auch von der Akademie gegangen.

Es gelang Ihnen nicht, Ihre Bilder zu verkaufen. Sie gaben aber nicht auf – und lebten in ziemlicher Armut.

Der einzige Nazi-freie Kunstverei­n war der Art Club. Aber die haben mich nicht akzeptiert. Und ich hab’ auch nie einen Auftrag von der Gemeinde Wien bekommen. Die anderen Künstler haben sich mit figurative­n Fassadenge­staltungen durchgefri­stet; aber bei meinen Entwürfen hat man nur den Kopf geschüttel­t. Ich hab’ daher im Winter Schnee geschaufel­t. Und vom Pächter des Weingarten­s bekam ich jedes Jahr Wein. Mit dem hab’ ich gehandelt. Ich hatte überhaupt keinen Geschmack für Wein, konnte nicht verstehen, was die Leute an ihm finden. Ich weiß nur: Ich hab’ sehr gepanscht. Und dann wurde Gainfarn verkauft; jeder der vier Geschwiste­r hat einen Anteil bekommen. Um meinen hab’ ich die Ablöse für ein Atelier in der Wollzeile – über dem Simpl – bezahlen können. Ich musste aber noch von irgendwas leben. Und so beschloss ich, im Atelier einen Altwarenha­ndel aufzuziehe­n. Ich fuhr in die Umgebung von Wien und sammelte altes Glumpert, das ich zwischen meine Bilder gehängt hab’. Ich dachte mir: Vielleicht habe ich ein Glück – und die Leute kaufen lieber die Bilder. Sie waren gleich teuer wie die Antiquität­en. Die Leute sind auch gern zu diesen Partys gekommen. Es gab ja damals nicht viele Angebote. Aber verkauft hab’ ich nix von meinen Sachen.

Die ersten Übermalung­en kamen auch deswegen zustande, weil Sie Ölgemälde am Naschmarkt und im Dorotheum gekauft haben.

Sie waren eben viel billiger als neue Leinwände. Das, was draufgemal­t war, musste ich langsam ins Dunkle versinken lassen.

Die ersten Erfolge kamen ab 1955 mit Ausstellun­gen bei Monsignore Otto Mauer in der Galerie nächst St. Stephan. Was war eigentlich Ihr wirklicher Durchbruch?

Den hatte ich eigentlich gar nicht. Ich hab’ mit der Galerie nächst St. Stephan zusammenge­arbeitet. Das ging gut, bis Oswald Oberhuber sie übernommen hat. Wir haben uns nicht vertragen, und so bin ich gegangen. Wichtig waren zum Beispiel die Ausstellun­gen im Lenbachhau­s und in der Berner Kunsthalle 1977. Und dann wurde es internatio­nal.

Sie haben die Werke anderer übermalt. Aber es gab auch viele Gemeinscha­ftsarbeite­n, etwa mit Günter Brus. Mit wem haben Sie am besten kooperiert?

Mit dem Dieter Roth. Das war der Versuch eines dialogisch­en Arbeitens. Er war der Großzügigs­te.

Wichtig sind Ihre Fotoüberma­lungen. Warum gibt es keine Face Farces mehr?

Ich hab’ genug von meinem Gfries.

Hat Egon Schiele Sie auf die Idee gebracht? Auch er hat oft Grimassen geschnitte­n.

Es ist möglich, dass ich seine Zeichnunge­n kannte. Aber er hat mich nicht beeinfluss­t. Ein Spiegel hing mir beim Zeichnen gegenüber. Immer, wenn ich aufgeschau­t habe, habe ich mein Gesicht gesehen. Ich dachte mir, dass ich die Arbeit viel rationelle­r machen könnte. Eben mit einem Foto. Aber dann hab’ ich gemerkt, dass die Fotos nicht intensiv genug sind. Daher habe ich ins Foto hineingeze­ichnet und die Linien akzentuier­t. Auch die Fotos sind immer dunkler geworden.

Die Personale 1989 im Guggenheim-Museum war ein besonderer Höhepunkt?

Natürlich. Das war eine Ausnahme-Ausstellun­g – vor allem für einen Künstler, der nicht in New York lebt.

Dominant waren im Guggenheim-Museum die Kreuzbilde­r.

Mit ihnen assoziiert man sofort Arnulf Rainer. Obwohl es gar nicht so viele gibt. Die zentrale Form ist für mich das Rechteck.

Die Kreuzform hat aber schon etwas Religiöses?

Ich habe in den 50er-Jahren sehr viel über christlich­e Mystik gelesen, ich war besonders beeindruck­t vom Johannes vom Kreuz. Das war der Einstieg.

Sind Sie gläubig?

Nicht im konfession­ellen Sinn. Ich bin kein frommer, aktiver Katholik. Aber ich glaube, dass es eine Blickricht­ung gibt.

Können Sie mir das genauer erklären?

Das Religiöse ist für mich als Maler eine Blickricht­ung. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich lass das so stehen.

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 ??  ?? Im Hintergrun­d der Atlantik: Arnulf Rainer auf seiner Terrasse – und damit auf seinem Malboden
Im Hintergrun­d der Atlantik: Arnulf Rainer auf seiner Terrasse – und damit auf seinem Malboden
 ??  ?? Ein Farbenraus­ch – auch im ehemaligen Frauenbad von Baden, seit 2009 das Arnulf Rainer Museum
Ein Farbenraus­ch – auch im ehemaligen Frauenbad von Baden, seit 2009 das Arnulf Rainer Museum
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Interview auf Teneriffa: Arnulf Rainer und Thomas Trenkler

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