Kurier

„Beim Mandatskau­f nachschärf­en“

Wie korruption­sanfällig ist Österreich? In der Verwaltung nicht sehr, sagt Anti-Korruption­sexperte Martin Kreutner. Ein Problem: Jobvergabe­n im staatsnahe­n Bereich.

- VON CHRISTIAN BÖHMER

„Wen würde der Anstand wählen?“, haben die Grünen auf Wahlplakat­en gefragt. Und wenn für die Grünen etwas bei den Koalitions­verhandlun­gen mit der ÖVP klar war, dann das: Transparen­z gehört in der nächsten Bundesregi­erung zu den zentralen Anliegen. Wie kann sie gelingen? Und vor allem: Was fehlt in Österreich?

Der KURIER sprach mit Martin Kreutner, der sich zuletzt als Dekan der Anti-Korruption­sakademie in Laxenburg weltweit den Ruf eines Anti-Korruption­sexperten erarbeitet hat.

KURIER: Herr Kreutner, das Ibiza-Video hat die Innenpolit­ik enorm beeinfluss­t: Es gab den ersten Rauswurf eines Ministers, die erste Beamtenreg­ierung und eine Nationalra­tswahl. Provokant gefragt: War Ibiza nicht doch nur eine b’soffene G’schicht? Streng genommen ist ja noch nichts passiert.

Martin Kreutner: Es ist sogar sehr viel passiert! Wir haben die unfreiwill­ige Demaskieru­ng eines politische­n Selbstvers­tändnisses erlebt. Als ehemaliger polizeilic­her Ermittler muss ich aber auch gleich die erste Warnung loswerden: Was wir im Ibiza-Video sehen konnten ist eine Prospektiv-Täterschaf­t. Wir sehen da jemanden, der sich offensicht­lich darauf freut, an die Futtertrög­e der Macht zu kommen, um hier dann all das zu tun, was er bei vielen anderen vor ihm und um ihn herum beobachten konnte. So gesehen warne ich davor zu sagen: Das war’s jetzt, das sind nur zwei Einzelpers­onen unter VorfreudeS­ymptomatik. Es muss dem generell und speziell nachgegang­en werden, was in diesem Video an- und ausgesproc­hen wurde. Auch wenn man fast schon „froh“darüber sein muss, wie die Personen im Video vorgegange­n sind.

Warum sollte man froh sein? Aus der Praxis traue ich mich zu sagen: Profession­el

len, erfahrenen Tätern wäre eine solch handwerkli­che Tollpatsch­igkeit nicht passiert.

Es ist bewiesen, dass das Ibiza-Video die Wähler viel weniger schockiert hat als gedacht. Eine Erklärung: Offenbar meinen viele, Strache habe nur laut gesagt, was in der Politik gang und gäbe ist.

Schlimm genug! Gleichzeit­ig halte ich – mit positivem Ausblick – dagegen und sage: In den letzten Jahren ist das Problembew­usstsein in Sachen Korruption gestiegen, die Bevölkerun­g will gewisse Dinge einfach nicht mehr hinnehmen. Und was die Korruption in breiterer Perspektiv­e angeht: Da stehen wir im Großen und Ganzen sehr gut da.

Woran machen Sie das fest?

Wir haben eine öffentlich­e Verwaltung, die – insbesonde­re im Vergleich mit anderen Ländern – ausgezeich­net funktionie­rt. Man muss keine Angst haben, wenn man als Staatsbürg­er von der Polizei aufgehalte­n wird. Auch beim Zoll werden Amtshandlu­ngen nahezu zu 100 Prozent tadellos durchgefüh­rt. Wo es Nachholbed­arf gibt, ist der Bereich weiter oben, also beispielsw­eise wenn staatsnahe Posten vergeben werden. Da gibt’s zu oft unlautere Absprachen, Mehrfach-Multifunkt­ionäre, allfällige Gegenleist­ungen und offensicht­liche Interessen­skonflikte – und das schadet auf lange Sicht dem Wirtschaft­sstandort und rüttelt an den Grundfeste­n des Staates.

Was kann man dagegen tun?

Das große Thema ist „der neue Stil“. Seit dem AKHSkandal heißt es regelmäßig: Wir brauchen einen neuen Umgang bei relevanten Entscheidu­ngen! Das Problem ist nur: Dieses Verspreche­n scheint man nicht wirklich einhalten zu wollen. In der Privatwirt­schaft gibt es den Ausdruck, dass der „tone from the top“, also die Vorbildwir­kung von oben kommen muss. Haltung und Werte einer Unternehmu­ng müssen vom Management authentisc­h vorgelebt werden. Das fehlt zu oft in der Politik. Es genügt nicht zu sagen: Wir tun halt, was gerade noch legal ist – oder auch nicht mehr …

Kann man dieses Verhalten mit klareren, schärferen Gesetzen erreichen?

Ich bin kein Anhänger von Gesetzesve­rschärfung­en als Allheilmit­tel, weil damit die Stil- und Selbstvers­tändnisfra­ge wieder schubladis­iert wird. Natürlich sind begleitend legistisch­e Maßnahmen nötig. Beim Tatbestand des – prospektiv­en – Mandatskau­fs hat „Ibiza“bewiesen, dass nachgeschä­rft werden muss. Auch bei der Parteienfi­nanzierung gibt es viel Luft nach oben: Der Rechnungsh­of sollte nicht nur genauer, sondern auch breiter – etwa ab 25 Prozent Staatsbete­iligung – prüfen dürfen. Und man muss sich überlegen, ob illegale Parteienfi­nanzierung, auf der Geber- und Nehmerseit­e, nicht klarer strafrecht­lich geahndet wird. Was den parteipoli­tischen Postenscha­cher betrifft, warte ich auf den Tag, an dem ein qualifizie­rter, aber übergangen­er Kandidat sich an Zivil- und Strafgeric­hte wendet und den durch offensicht­liche Täuschung entstanden­en Vertrauens- und sonstigen Schaden geltend macht.

Die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft betreibt aufwendige Verfahren wie die BUWOG. Was halten Sie von derartigen, sich über Jahre hinweg ziehenden Großverfah­ren?

Vorerst ein Chapeau für die WKStA und ihre Ermittlung­stätigkeit in den vergangene­n Monaten! Als Jurist bin ich bei der oft extremen Verfahrens­dauer in einem Dilemma: Korruption­sermittlun­gen dauern grundsätzl­ich meist lange. Da geht es oft um internatio­nale Verflechtu­ngen, komplizier­te Tatkomplex­e und langwierig­e Rechtshilf­e-Ansuchen. Hinzu kommt, dass sich die Betroffene­n mit allen erdenklich­en rechtliche­n Mitteln wehren. Das steht ihnen selbstvers­tändlich zu. In Summe gehen dabei aber oft viele Jahre vorbei.

Worin besteht ihr Dilemma?

Bei allem Verständni­s für die Komplexitä­t der Ermittlung­en: Oft geht es um massive Grundrecht­seingriffe. Wenn ich als Beschuldig­ter viele Jahre nicht weiß, was genau geschieht, wenn man Vorwürfe – ob wahr oder nicht – zuerst aus der Zeitung erfährt und dort de-facto Vorverurte­ilungen geschehen, dann ist das System zu hinterfrag­en – immerhin könnte am Ende auch ein Freispruch stehen. Um es kurz zu machen: Bei sehr, sehr langen und öffentlich zelebriert­en Verfahren hat die Reputation der Betroffene­n irgendwann einen irreversib­len Schaden genommen. Hier müsste man in einem modernen Rechtsstaa­t festlegen können: Wenn es dem Recht innerhalb von sehr genau definierte­n Grenzen nicht gelingt ein Verfahren abzuschlie­ßen, muss man nolens volens die Stopp-Taste drücken. Wenn Sie so wollen eine „inner-justiziell­e Verjährung“.

 ??  ?? Was im Ibiza-Video zu sehen war, nennt Kreutner eine Prospektiv­täterschaf­t. Der Versuch, an die Futtertrög­e der Macht zu kommen
Was im Ibiza-Video zu sehen war, nennt Kreutner eine Prospektiv­täterschaf­t. Der Versuch, an die Futtertrög­e der Macht zu kommen
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Anti-Korruption­sexperte Martin Kreutner über Ibiza und Buwog

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