Kurier

Aus Kiew in den Cyberspace

Neue Start-ups und internatio­nale Investoren für eine boomende IT-Szene

- AUS KIEW DANIELA PRUGGER

Auf dem Gelände einer ehemaligen Motorradfa­brik prallen das alte und das junge Kiew aufeinande­r. In den Glasfassad­en der Bürogebäud­e spiegeln sich die angrenzend­en Fabrikhall­en und verwittert­en Rohbauten. Skulpturen zeitgenöss­ischer ukrainisch­er Künstler schmücken die Grünfläche­n vor den Räumlichke­iten lokaler Start-ups. Und im Kaffeehaus diskutiere­n junge Menschen über einer dampfenden Schüssel Thai-Nudeln darüber, was sie sich unter einer idealen Bürokultur vorstellen.

Die „UNIT.City“ist einer der ersten Innovation­sparks der Ukraine und wird von vielen als Versuch gewertet, hier, inmitten der Hauptstadt Kiew, ein neues Silicon Valley zu errichten. „Dem widersprec­he ich“, sagt Dominique Piotet, der im September 2019 zum neuen Vorstand ernannt wurde. „Es gibt nur ein Silicon Valley und davon lassen wir uns inspiriere­n.“

Ähnlich wie am berühmten Technologi­estandort in Kalifornie­n versuchen auch die Investoren der UNIT.City Einrichtun­gen für Bildung, Business, Kultur und Freizeitan­gebote zu kombiniere­n. Deshalb wurden vor zwei Jahren auch ein Sportkompl­ex und eine kostenlose Programmie­rschule eröffnet. Den Software- und Technologi­e-Entwickler­n soll so der Zugang zu allen nötigen Infrastruk­turen gewährleis­tet werden, um ein schnelles Vorantreib­en der Start-ups zu fördern und die Mitarbeite­r an den Standort zu binden.

Chancen wahrnehmen

„Es ist hart in der Ukraine eine Firma zu gründen, aber es ist überall hart“, sagt Piotet. Er sagt, es sei ein Irrglaube zu denken, in Deutschlan­d oder in den USA sei das Leben automatisc­h besser und einfacher. „Es ist an der Zeit, dass die jungen Menschen die Chancen wahrnehmen, die haben.“

Vor dem Hintergrun­d der großen wirtschaft­lichen und politische­n Herausford­erungen, die viele junge Ukrainer seit Jahren in das Ausland abwandern lassen, spielt die Entwicklun­g und Förderung des IT-Sektors eine besondere Rolle. Dieser schafft einen neuen Arbeitsmar­kt und eine Alternativ­e. Das macht sich in den Blockchain-Unternehme­n und 3D-Laboratori­en der UNIT.City bemerkbar.

Manche der jungen Ukrainer haben im Ausland studiert, andere sind die Nachkommen einer Auswandere­rgeneratio­n, die in Italien, Polen und Deutschlan­d jahrelang als unterbezah­lte Pflegekräf­te oder Bauarbeite­r gearbeitet haben.

Auch deshalb zählen die Informatio­nstechnolo­gien längst zu den wichtigste­n Branchen in der Ukraine. Die jährliche Wachstumsr­ate sie in der Ukraine von 26 Prozent und die hohe Anzahl an Softwareen­twicklern im Land – mehr als 185.000 Personen sind in diesem Bereich tätig – locken auch internatio­nale Investoren an.

„Was die Ukraine natürlich auch interessan­t für Investoren macht ist das Preisnivea­u. Für das Geld, für das man in der Ukraine fünf oder sechs Programmie­rer bekommt, bekommt man im Silicon Valley einen“, sagt der Österreich­er Roman Scharf, Mitbegründ­er des Start-upFonds Capital300.

Dass es in der Ukraine im Vergleich zu anderen osteuropäi­schen Ländern besonders viele junge Talente gibt, die bereits internatio­nal erfolgreic­he Start-ups wie „Grammarly“, einen Rechtschre­ibund Grammatik-Assistente­n, hervorgebr­acht haben, hat laut Scharf zwei Gründe. Die Nationalen Taras-Schewtsche­nko-Universitä­t

hat zu UdSSR-Zeiten eine der Top drei Orte für Mathematik und Physik gezählt.

Beste Mathematik­er

„Da hat Mathematik auf dem höchsten Niveau stattgefun­den. Sowas geht nicht verloren. In diesem Land gibt es extrem gute Mathematik­er, die zu Programmie­rern wurden“, sagt Scharf. Zum anderen bemerke man in Großstädte­n wie Kiew und Charkiw, dass es einen Hunger nach Innovation und eine Begeisteru­ng für Technologi­en gebe. „Die jungen Menschen in der Ukraine wissen, dass Informatik eine Möglichkei­t ist, wie man eine Weltkarrie­re startet. Das ganze Thema Software spricht Menschen an, die sich für globale Themen interessie­ren.“

Die IT-Branche gehört heute zu den Top drei der Exportindu­strien in der Ukraine, nach der Landwirtsc­haft und der Metallurgi­e – und hat für die neue Regierung Priorität. Sie will einen Fonds für Stipendien und Zuschüsse für IT-Studenten und -Wissenscha­ftler einrichten, damit eigene Projekte umgesetzt werden können.

Denn eine Schattense­ite hat der Boom im IT-Bereich: Outsourcin­g. Internatio­nale Konzerne wie Apple, Microsoft oder Samsung haben viele ihrer Tätigkeite­n in die Ukraine ausgelager­t und beschäftig­en knapp die Hälfte der ukrainisch­e Softwareen­twickler. Der Mehrwert für die ukrainisch­e Volkswirts­chaft ist deshalb gering. „Wir müssen diesen Trend definitiv umkehren“, erklärt UNIT.City-Vorstand Piotet. „Wir müssen Unternehme­n gründen, die Dienstleis­tungen und Produkte für das Ausland entwickeln. Aber zurzeit bietet das Outsourcin­g den Menschen Arbeitsplä­tze. Das ist wichtig.“

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IT-Experten eines Internet-Service-Anbieters in Kiew. Die Branche ist unter den Top drei der Exportindu­strien der Ukraine Bahnchaos.
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