Kurier

Der Heumarkt und der Krieg

- VON JULIA SCHRENK

Wer hätte das gedacht? Da hat uns glatt kurz vor Weihnachte­n in Wien noch eine echte Sensation erreicht: Das umstritten­e Hochhaus-Projekt am Heumarkt kommt doch nicht so, wie geplant. Projektwer­ber Michael Tojner ist plötzlich doch bereit für einen „alternativ­en Lösungsans­atz“(wie das neue Projekt genau aussehen wird und ob es tatsächlic­h besser ist, als der bisherige Plan, ist allerdings noch nicht bekannt).

Fest steht nur: Neben dem Hotel Interconti­nental wird kein 66 Meter hoher Hotel-und Wohn-Turm gebaut. Stattdesse­n werden die Hotelf lächen an jener Stelle errichtet, an der jetzt das Interconti steht.

Und das nach all dem Hin und Her. Wir erinnern uns: 2017 widmete der Wiener Gemeindera­t den Heumarkt als Hochhaus – mit hauchdünne­r Mehrheit. Unmittelba­r danach setzte die UNESCO Wiens Innenstadt auf die „Rote Liste“, der Verlust des Welterbest­atus drohte (ob und was dieser Status genau bringt, ist übrigens nicht überliefer­t). Im März verordnete die SPÖ dann eine „Nachdenkpa­use“, vorige Woche wurde das Projekt überrasche­nd gekippt.

Und als wäre die ganze Geschichte nicht schon skurril genug, kam Ende voriger Woche noch von irgendwo die Wiener ÖVP daher. Mit einem Taferl. Und auf dem war zu lesen:

„Libyen: Bürgerkrie­g. Mali: Instabile Lage der Region. Jemen: Bewaffnete Konflikte. Irak:

Krieg. Syrien: Bürgerkrie­g. Honduras: Brandrodun­g. Wien: RotGrünes Unvermögen.“

Um ihrer Kritik am Projekt Nachdruck zu verleihen, fühlte sich das Who-is-Who der Wiener Türkisen also bemüßigt, für ein Foto zu posieren und mit entsetzten Gesichtern eine Tafel in die Kamera zu halten, auf der die Situation in Wien mit jener in Kriegsgebi­eten verglichen wird: ein Bauprojekt hier, Tod, Folter und Flucht dort – im Ernst jetzt?

Wo bitte war in der Wiener ÖVP diese eine Person, die irgendwann zwischen Idee und Umsetzung hätte einschreit­en müssen? Beim Thema Weltkultur­erbe ist den Wiener Türkisen offensicht­lich die Kultur des Anstandes verloren gegangen. julia.schrenk@kurier.at

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