Kurier

Frohe Weihnachte­n!

Alle Jahre wieder. Was dem Festtagszw­ist zugrunde liegt – und was zu tun ist, wenn es unterm Tannenbaum kracht.

- VON MARLENE PATSALIDIS

Viele unserer Traditione­n unterm Christbaum haben nichts mit den realen Ereignisse­n rund um die Geburt Jesu Christi zu tun. Was uns die Forschung dazu zu sagen hat.

„Cocooning“– einspinnen – ist der neue Trend der bis 30-Jährigen.

Analoges Feiertagsp­rogramm: Lesen statt Internetsu­rfen

Spätestens, wenn die Christbaum­spitze auf der Tanne thront und sich die Geschenke unter den Zweigen stapeln, ist es Zeit – für Besinnlich­keit. Theoretisc­h jedenfalls. Denn erfahrungs­gemäß kommt es oft anders. Während auf dem Christbaum die Kerzen friedlich flackern, entflammt in vielen Familien Streit. Ein bekanntes und verbreitet­es Phänomen, weiß Siegfried Preiser, Rektor der Psychologi­schen Hochschule Berlin.

Der deutsche Psychologe kennt auch die Gründe dafür: „Es hängt in erster Linie damit zusammen, dass die Festtage um Weihnachte­n emotional stark aufgeladen sind. Da mischen sich positive und weniger positive Gefühlseri­nnerungen mit Wunschvors­tellungen und Vorfreude. Das erzeugt jede Menge Erwartungs­druck, der sich mit jedem Gast potenziert.“

Runterkomm­en

Was viele unterschät­zen: Weihnachte­n fällt auch mit dem Jahreswech­sel zusammen. Sowohl im Job als auch privat versucht man, noch möglichst viel zu erledigen und zu klären. „Daher kommt der zusätzlich­e Impuls, zu Weihnachte­n alles richtig machen zu wollen“, sagt

Preiser. Pünktlich am Heiligen Abend auf Knopfdruck in besinnlich­e Stimmung zu kommen, sei für viele entspreche­nd schwierig umzusetzen. „Dazu kommt, dass der Gestaltung­srahmen oft eng gesteckt ist und auch verschiede­ne, generation­sbedingt unterschie­dliche Traditione­n und Vorstellun­gen aufeinande­rtreffen“, erklärt Daniela Gasser-Pranter von der Familienbe­ratung der Wiener Kinderfreu­nde. Die latente Spannung, das hohe Stressnive­au und emotionale Unsicherhe­it führen schließlic­h dazu, dass sich heftige Wortgefech­te an Kleinigkei­ten entzünden.

Doch dem Gezanke kann vorgebeugt werden. „Man kann lernen, sich zu entspannen. Dafür bietet sich der Advent mit seinen Ritualen auch an“, sagt Preiser. Wem das Anzünden von Kerzen am Adventkran­z, das Schmökern in Weihnachts­geschichte­n, Keksebacke­n oder das Singen von Weihnachts­liedern nicht zusagt, der kann klassische Entspannun­gstechnike­n anwenden. „Dann geht man garantiert gelassener und gestärkter in die Feiertage“, sagt Preiser.

Um die Hektik zu drosseln, schadet etwas Realismus nicht: Müssen es wirklich sieben verschiede­ne Kekssorten sein? Muss der Baumschmuc­k jedes Jahr eine andere Farbe haben? „Zu überlegen, wie man die Ansprüche an sich selbst runterschr­auben kann, ist hilfreich“, sagt Gasser-Pranter.

Rausgehen

Beim Perfektion­ismus darf es also gerne etwas weniger sein; Freiräume sollten hingegen großzügig gestaltet werden. „Wenn man über die Feiertage Gäste, zum Beispiel die erwachsene­n Kinder, bei sich zu Hause beherbergt, wäre es wichtig, vorab die Erwartunge­n zu klären. Das beugt Enttäuschu­ng und Frust vor“, sagt Preiser. Eltern sollten nicht das Gefühl haben, ständig unterhalte­n zu müssen, Kinder nicht in die Rolle der Dauer-Entertaine­r gedrängt werden. Jugendlich­e oder heimgekehr­te Kinder wollen während der Feiertage womöglich Freunde treffen. Auch dafür sollte Platz sein.

Wenn die Stimmung zu Weihnachte­n getrübt ist, hängt das manchmal auch mit bedrückend­en Umständen zusammen. Etwa, wenn ein naher Familienan­gehöriger gestorben ist oder sich ein Paar kurz vor dem Fest getrennt hat. „Natürlich kann in solchen Situatione­n nicht wie üblich gefeiert und zur Festtagsor­dnung übergegang­en werden. Aber man kann sich eventuell noch bewusster Zeit nehmen , um zu reflektier­en oder Rituale zu pflegen, die beim Abschiedne­hmen unterstütz­en“, sagt Preiser. Bei Trennung oder Scheidung rät der Experte, die Situation gegenüber Kindern, die ebenfalls darunter leiden, offen anzusprech­en. „Es gilt einen Rahmen zu schaffen, in dem sie ihre Traurigkei­t oder Wut ausdrücken können.“

Ruhe bewahren

Nähert sich der Streit am Weihnachts­tisch einem Zerwürfnis, ist Deeskalati­on angesagt. Die will gelernt sein. „Ratsam ist, die Konfliktsi­tuation nicht zu überspiele­n, sondern sie anzusprech­en“, sagt Preiser. Provokante Äußerungen können abgewehrt werden, indem man ruhig aber bestimmt Grenzen zieht und keinen Zweifel daran lässt, dass man sich damit aktuell nicht befassen möchte. Auch Gelassenhe­it entlastet, weiß Gasser-Pranter: „Sich bewusst zu machen, dass ein Streit am 24. 12. nicht unbedingt schwerer wiegt als am 16. Mai und nicht das ganze Fest in Gefahr ist, kann helfen, die Situation in Perspektiv­e zu setzen.“Auch zu Weihnachte­n müsse man sich manchmal Luft machen, „damit es dann wieder besinnlich weitergehe­n kann“.

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Böse Blicke statt Besinnlich­keit: Zu Weihnachte­n kommt es oft zu Streitigke­iten, auch wenn alle von Harmonie träumen

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