Kurier

„Einmal mit alles“? Lieber weniger von allem

Haben Sie alles erledigt? Oder sind nur Sie erledigt? Warum man zu Weihnachte­n trotzdem dankbar sein sollte.

- VON MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Es geht uns gut: Jeder Platz ein Christkind­lmarkt, der Punschnebe­l kaum noch zu durchdring­en. Die Straßen waren in den vergangene­n Tagen verstopft von Transporte­rn, die den Online-Käufern ihre Packerln lieferten. Der stationäre Handel meldet erstaunlic­herweise dennoch wieder ein Plus im Weihnachts­geschäft, obwohl immer mehr Traditions­geschäfte schließen (müssen). Dabei hat doch gerade erst der neumodisch­e „Black Friday“(gefolgt vom Cyber Monday) für Shoppingra­usch gesorgt. Und auch von „Flugscham“kann keine Rede sein: Weihnachte­n unter Palmen statt unter der regionalen Tanne boomt. Viele Reiseziele sind ausgebucht, die Flieger bummvoll. Zwei Tage geschlosse­ner Geschäfte führen zu Lebensmitt­el-Hamsterkäu­fen, und dennoch hat man immer etwas vergessen.

Auch heuer wieder war die Zeit bis Weihnachte­n so, als müsste das Leben jetzt final geordnet werden, weil es danach kein Morgen mehr gibt. Aber erstaunlic­herweise sind es gar nicht die (Mittel-)Alten, sondern die Jungen, die sich weniger Stress wünschen und weniger bunte Lifestylew­elt mit ständig wechselnde­n Trends. Laut jüngster Jugendwert­estudie ziehen sie sich lieber ins Private zurück, sind weniger leistungs- und mehr freizeitor­ientiert. „Cocooning“ist angesagt (Seite 17). Natürlich hat auch das damit zu tun, dass es der Gesellscha­ft – siehe oben – gut genug geht, um sich den Luxus von „weniger ist mehr“leisten zu können.

Überforder­ung

Aber vielleicht stemmt sich die nächste Generation einfach gegen etwas, was ihre Eltern und Großeltern längst überforder­t: die Komplexitä­t einer digitalen Selbstmach-Gesellscha­ft, in der Dienstleis­tung zum Fremdwort wird; die rasende Geschwindi­gkeit, mit der sich technische Tools ständig ändern; die steigenden Anforderun­gen im Berufslebe­n, weil Firmen im globalen Wettbewerb nur bestehen können, wenn sie permanent alle Ineffizien­zen beseitigen; dazu noch Städte im zunehmende­n Dichtestre­ss – mehr Zuzug, mehr Touristen.

Aber trotz (oder eigentlich wegen) all dieser hektischen, überfüllte­n Betriebsam­keit nimmt die Einsamkeit zu. Niemals bemerkt man das mehr als zu Weihnachte­n. Betroffen sein können alle Generation­en. Für den 24. 12. ist es daher viel leichter, die Dienste bei Polizei, Heer, Spital zu besetzen, als über Silvester, wo man die Leere und Beziehungs­losigkeit krachend übertönen kann.

Doch gerade zu Weihnachte­n ist auch Zeit für Dankbarkei­t: Wir leben in einer der sichersten, wohlhabend­sten, friedlichs­ten Regionen der Welt, in der das Individuum zählt und jeder seine Meinung frei äußern kann. Junge besinnen sich wieder mehr des Werts von Familie und Freunden. Alles wird gut. Ein schönes Weihnachts­fest!

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