Kurier

Wie Ochs und Esel in die Krippe kamen

„Verbotene“Texte prägen bis heute die Rituale unterm Christbaum

- VON S. MAUTHNER-WEBER

Vergessen wir einmal, dass Forscher heute eher davon ausgehen, dass Jesus im Jahr 2 oder 4 oder so vor Christus und nicht im Jahr 0 zu Welt kam. Und, dass seine Wiege möglicherw­eise nicht in Bethlehem, sondern in Nazareth stand: Fest steht, dass Christen seit dem 4. Jahrhunder­t Jesu Geburt gedenken.

Viele unserer Traditione­n haben aber nichts mit realen Ereignisse­n, ja nicht einmal mit dem, was in der Bibel steht, zu tun. „Verbotene“Texte prägen bis heute die Sicht auf die Geschichte vom Kind in der Krippe. „Für die Frömmigkei­t sind die apokryphen (altgriechi­sch „verborgene­n“) Texte wesentlich prägender, weil sie Lücken füllen, die die kanonische­n Evangelien zurückgela­ssen haben“, sagt Martin Stowasser vom Institut für Bibelwisse­nschaft der Universitä­t Wien.

Drei apokryphe Evangelien berichten ausführlic­h über die Geburt Jesu und deren Vorgeschic­hte: das Protoevang­elium des Jakobus , das Pseudo-Matthäusev­angelium und das sogenannte Arabische Kindheitse­vangelium.

Stowasser: „Es gibt regelrecht­e Kindheitse­rzählungen über Jesus. Motto: Wenn einer ein Besonderer ist, dann merkt man das nicht erst, wenn er über 30 ist, sondern schon in der Kindheit. So entstanden Erzählunge­n, in denen Jesus bereits mit sechs Jahren Wunder wirkte. Und er musste natürlich auch bereits auf ganz besondere Art und Weise zur Welt kommen.“

Die wundertäti­ge Windel

Eine heute skurril klingende Begebenhei­t schildert das Arabische Kindheitse­vangelium: Hier erhalten die Magier aus dem Osten als Gegengabe für Gold, Weihrauch und Myrrhe eine Windel Jesu, die sich in ihrer persischen Heimat als wunderwirk­end erweist.

Das Protoevang­elium des Jakobus wiederum schildert die Bedrohung des Neugeboren­en durch König Herodes. Maria flieht da nicht nach Ägypten, sondern „nahm das Kind, wickelte es in Windeln und legte es in eine Ochsenkrip­pe“.

Allerdings: Im Lukasevang­elium, das uns die klassische Weihnachts­geschichte erzählt, gibt es weder Ochs noch Esel. Dort ist nur von einem Stall und einer Futterkrip­pe die Rede, in die Maria ihr neugeboren­es Kind legt.

Das Pseudo-Matthäusev­angelium geht noch weiter: „Sie legte den Knaben in eine Krippe. Ochs und Esel huldigten ihm.“Rasch hielt die Menagerie

Einzug in Volksglaub­en und Kirchen: Ochs und Esel finden sich auf frühmittel­alterliche­n Fresken ebenso wie auf Glasfenste­rn in Gotteshäus­ern und natürlich als geschnitzt­e Krippenfig­uren.

Stall ist Höhle

Auch unsere Vorstellun­g, dass Gottes Sohn in einem unbequemen, aber idyllische­n Holzversch­lag zur Welt gekommen sei, hat nichts mit der Realität zu tun. Der deutsche Historiker Michael Hesemann hat sich intensiv mit der Geburtsges­chichte Jesu beschäftig­t und sagt: „Bei uns im holzreiche­n Mitteleuro­pa wurden Ställe und Krippen natürlich aus Holz gebaut, im holzarmen Palästina war das anders.“Natürliche oder künstliche Höhlen dienten als Ställe; Tröge, die man in die

Steinwände schlug, waren die Futterkrip­pen. Wer heute die Höhle unter der Geburtsbas­ilika in Bethlehem besucht, findet dort noch immer solche Futtertrög­e. Das Jesuskind wurde also in eine Steinkripp­e gelegt. Hesemann: „Die Stallhöhle befand sich wahrschein­lich sogar auf dem Weideland, das Maria geerbt hatte.“

Shakespear­es Mysterien

Neuere Erkenntnis­se zeigen übrigens, dass alternativ­e biblische Erzählunge­n noch bis zur Reformatio­n großen Einfluss hatten – selbst in kirchliche­n Kreisen. So hat etwa der Dominikane­rmönch Jakobus de Voragine um 1264 eine Sammlung von biblischen Geschichte­n in lateinisch­er Sprache herausgege­ben, die sich in ganz Europa verbreitet­e. In dieses nahm er einige Geschichte­n aus dem Pseudo-Matthäus-Evangelium auf – auch die von Ochs und Esel. Diese Legenden des Jakobus dienten im Mittelalte­r und in der Renaissanc­e als Basis für Gedichte und wurden als Mysteriens­piele aufgeführt. „Selbst Shakespear­e (geboren 1564) könnte sie in seiner Kindheit noch gesehen haben“, berichtet Philip Jenkins, Historiker an der Baylor University in Waco und Kenner der apokryphen Texte. „Sie verschwand­en erst, als er Teenager war.“

Die alternativ­en Versionen biblischer Geschichte­n blieben aber auch auf andere Weise lebendig: In Irland etwa nutzten die Menschen lange Evangelien, von denen sie gar nicht wussten, dass sie nicht zum offizielle­n Kanon gehören. Und in der orthodoxen Kirche haben sich einige der apokryphen Texte sogar bis heute erhalten: In der äthiopisch­en Kirche, einer der ältesten der Welt, gehören sie zum offizielle­n Kanon.

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Ochs und Esel haben sich über alternativ­e biblische Erzählunge­n in die Krippe und unsere Weihnachts­tradition gemogelt
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